JAHRESKREIS
29. SONNTAG (LESEJAHR C)
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GEBET,
GLAUBEN, AUSDAUER
Die Macht
ausdauernden Betens.
Der ungerechte Richter und die Witwe.
Wahrheit, Gebet und Glauben.
I.
Ich rufe dich an, denn du, Gott,
erhörst mich. Wende dein Ohr mir zu, vernimm meine Rede! Behüte mich wie den
Augapfel, den Stern des Auges, birg mich im Schatten deiner Flügel.1
Der jahrtausendealte Ruf des Psalmisten
eröffnet die heutige Liturgie, deren Texte um die Macht des ausdauernden Gebetes
kreisen. Wenn wir das Gleichnis des Herrn von der Witwe und dem ungerechten
Richter hören, dann wissen wir schon, was der Herr mit dieser Geschichte
verband. Lukas sagt es uns:
daß sie allezeit beten und darin
nicht nachlassen sollten2.
Manches im geistlichen Leben ist einmalig, unwiederholbar, so die Taufe; anderes
muß immer wieder neu geschehen wie vergeben oder um Vergebung bitten. Wieder
anderes bildet so etwas wie eine latente Gegenwart im christlichen Leben; dazu
gehört das Beten, das Glauben, das Gottvertrauen auch dann, wenn Gott in der
Seele zu schweigen scheint.
Augustinus kommentiert das heutige Evangelium, indem er den Zusammenhang
zwischen Glauben und vertrauensvollem Beten hervorhebt: »Wenn der Glaube
nachläßt, schwindet das Beten« denn »der Glaube ist die Quelle des Betens« und
»der Fluß kann nicht fließen, wenn die Quelle versiegt«3. In der Nachfolge des
Herrn fragen wir uns, wie der Herr gebetet hat: Vater, ich danke dir, daß du
mich erhört hast. Ich wußte, daß du mich immer erhörst.4
Die erste Lesung der Messe5
stellt uns die Gestalt des betenden Mose vor Augen. Das augenfällige Bild birgt
hinter naiven Zügen die geistliche Aussage, die sich dem Betenden eröffnet. Das
Volk Israel steht im Kampf gegen die Amalekiter. Mose läßt Josua die Schlacht
schlagen, er selbst zieht sich auf den Gipfel des Berges zurück. Dort betet er.
Solange Mose
seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker, sooft er aber die Hand sinken
ließ, war Amalek stärker. Um ihm in dieser betenden Haltung zu
helfen, stützten
Aaron und Hur seine Arme, der eine rechts, der andere links.
Dieses archaische Bild macht zwei immer gültige geistliche Grundsätze
sinnfällig: Das Beten darf niemals nachlassen, die erhobenen Hände dürfen sich
niemals senken. Und: wir können uns dabei, wenn Verdruß, Mißstimmung oder Unmut
uns überkommen, gegenseitig die Arme stützen.
Der Kirchenlehrer Alfons Maria von Liguori schreibt: »Der Herr will uns Gnaden
erteilen, aber er will, daß wir um sie bitten. Denn einmal sagte er zu seinen
Jüngern: Bis
jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet, und ihr werdet
empfangen, damit eure Freude vollkommen ist. (Joh
16,24).
Es ist,
als sagte er: Klagt nicht über mich, wenn ihr nicht ganz froh seid, sondern
beklagt euch über euch selbst, weil ihr mich nicht ersucht habt, euch das zu
geben, was ihr braucht.«6
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt
vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Der liturgische Ruf fordert uns auf, zu den Höhen zu schauen, von wo die Hilfe
kommt. In dieser Zeit des Gebetes wollen wir auch in die Niederungen unseres
Lebens blicken und dabei die Worte beherzigen: »Harre aus im Gebet! Das ist die
Mahnung unseres Meisters.
Tust du
das, dann erwachsen daraus Frieden, Freude, innere Ruhe und als Folge davon ein
fruchtbringendes Wirken im Dienste Gottes und der Menschen.«8
II.
Allezeit beten und darin nicht
nachlassen. Der Herr verdeutlicht dieses Wort in der
Gegenüberstellung von zwei markanten Gestalten: der des ungerechten Richters und
der der wehrlosen Witwe. Die Gestalt des Richters,
der Gott nicht fürchtete und auf
keinen Menschen Rücksicht nahm, begegnet uns nicht selten im Alten
Testament, vor allem bei den Propheten:
Sie verschaffen den Waisen kein
Recht, die Sachen der Witwen gelangen nicht vor sie.
Es sind jene, die den Schuldigen für Bestechungsgeld freisprechen und dem
Gerechten sein Recht vorenthalten10
und das Recht
der Waisen, die Erfolg erwarten, und die Sache des Armen nicht entscheiden11.
Auf der anderen Seite steht die Witwe, wehrlos und auf sich allein gestellt. Ihr
einziges Druckmittel ist ihr penetrantes Vorstelligwerden. Schließlich siegt so
ihre Hartnäckigkeit über die richterliche Willkür. Die unerwartete Wende am Ende
der Geschichte möchte verdeutlichen, daß der Herr nicht so sehr die Ausdauer der
Witwe hervorheben, sondern Gottes Güte und Barmherzigkeit bekräftigen will. Die
Gestalt des ungerechten Richters verweist in ihrer Umkehrung - wie so oft in den
Gleichnissen - auf den barmherzigen Gott. »Die Pointe der Parabel liegt demgemäß
nicht in der Beharrlichkeit des Bittens, sondern in der Gewißheit der Erhörung.
Nicht wie wir uns beim Bittgebet Gott gegenüber verhalten müssen, wird gesagt,
sondern wie er sich unseren Bitten gegenüber verhält.
Wenn
schon ein so schlechter Mensch wie dieser Richter sich aus bloßem Egoismus durch
die Bitten einer hilflosen Witwe bewegen läßt, ihr zu helfen, um wieviel mehr
wird dann Gott, der gütige Vater, die Hilferufe seiner Auserwählten erhören.«12
Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die
Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen?
Die Kirche trägt
Tag und Nacht das
Flehen ihrer Kinder vor den barmherzigen Vater durch Jesus Christus im Heiligen
Geist. Dies ist für sie - und für jeden einzelnen in ihr, Priester wie Laie -
das Wichtigste, denn sie kennt die Nöte und Sorgen der Menschen. Das
vertrauensvolle Flehen der Kirche stützt sich auf die drei im Gleichnis
erwähnten Gründe: die Güte und Barmherzigkeit Gottes, die Liebe Gottes zu jedem
einzelnen seiner Kinder und die Beharrlichkeit der Betenden.
Im Anschluß an das Gleichnis
überliefert uns Lukas ein dunkles Wort unseres Herrn:
Wird jedoch der Menschensohn, wenn er
kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden? Werden die Söhne und
Töchter Gottes durch die Jahrhunderte hindurch ihre Sorgen und Nöte immer als
Aufforderung sehen, sich an den barmherzigen Vater zu wenden? Oder werden sie
sich ihm verschließen und vergessen, daß der Hunger nach Gott zum Menschsein
gehört? Denn die
Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und läßt die Reichen leer ausgehen13.
Lassen wir dieses Wort des Herrn in unserer Betrachtung jetzt auf uns wirken.
III. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Glauben und Beten. Echtes Gebet
folgt aus dem Glauben, es setzt nicht nur die Existenz, sondern auch die
Ansprechbarkeit eines
Du voraus, das uns
liebt. Aber ebenso festigt das Gebet den Glauben, er wird lebensnäher, denn
durch ihn sieht der Mensch die verschiedenen Aspekte seines eigenen Daseins
immer schärfer. Der Glaube an den einen Gott, der uns erschaffen und erlöst hat
und der uns heiligen will, verbindet die Wahrheit Gottes mit der unseres Lebens,
mit seinen Plänen für uns. Die Wahrheit, die wir glaubend erfahren, »macht das
Gebet kräftig, durchströmt es mit jener herben, erhaltenden, belebenden Energie,
ohne die es weichlich wird (...). Der dogmatische Gedanke macht frei von der
Knechtschaft des Gemütes, von der Verschwommenheit und Trägheit des Gefühls.= 14 Alles Engherzige erhält dann Weite.
Irdische Nöte, momentane Bedrängnisse - die Suche nach einer Wohnung oder das
Bestehen einer Prüfung - behalten ihre Dringlichkeit und stehen doch in einer
geweiteten Perspektive. Wir fragen uns zunehmend, ob das Erbtene auch wirklich
für uns gut ist. Das Gebet wird immer mehr von Hingabe und Vertrauen getragen,
die Anliegen Gottes werden immer mehr zu unseren Anliegen.
Dann gilt
nicht mehr, wie es in dem naiv-kindlichen Spruch heißt: »Lieber Gott, mach jetzt
für mich das, was ich für dich täte, wenn du ich wärest und ich Gott wäre.« Gott
weiß besser als wir, was wir brauchen und was uns schaden kann.
Der
heilige Augustinus deutet in einem poetischen, spirituellen Sinn die Psalmworte:
Du läßt die
Quellen hervorsprudeln in den Tälern, sie eilen zwischen den Bergen dahin.
Allen Tieren des Feldes spenden sie Trank, die Wildesel stillen ihren Durst
daraus.
Er
schreibt: »Dort trinkt der Hase, dort der Wildesel; der Hase ist klein, der
Wildesel groß; der Hase ist ängstlich, der Esel wild und beide trinken, aber ein
jeder nach seinem Durst.«" In dem Maße, in dem wir beten, weiten wir uns
innerlich und werden fähig, inniger, beständiger, vertrauensvoller zu beten. Wir
lernen, nach dem zu verlangen, wonach Gott verlangt.
Damit
unser Gebet ausdauernd, vertrauensvoll und vom Glauben getragen sei, stellen wir
uns unter den mütterlichen Schutz Mariens: »Verschmähe nicht unser Gebet in
unseren Nöten, sondern errette uns jederzeit aus allen Gefahren«17.
Eröffnungsvers,
17,6.8. -
18,1-8. -
vgl. Augustinus,
Predigt
115,1.
-
11,42. -
17,8-13. -
Alfons Maria von Liguori,
Predigt
46 zum 10. Sonntag nach Pfingsten.
-
121,1-2. -
J.Escrivá,
Im Feuer
der Schmiede,
Nr.536. -
1,23. -
5,23. -
5,28. -
Regensburger Neues Testament,
Bd 3, Regensburg 1955, S.279. -
1,53. -
R.Guardini,
Vom Geist
der Liturgie,
Freiburg 1983, S.17. -
104,11. -
Augustinus,
Erklärung
der Psalmen.
-
Gebet
Unter
deinen Schutz und Schirm.