Spanisch Deutsch Portugiesisch ---- Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch
Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

JAHRESKREIS
16. WOCHE - FREITAG

35

zucht und mass

Die Würde des Leibes.
Eine Tugend, die innere Geordnetheit schafft.
Ein weites Feld der Askese.

I. Gott sah, daß es gut war1. Immer wieder zieht der vom Heiligen Geist inspirierte Verfasser im biblischen Bericht von der Erschaffung der Welt dieses Fazit, als möchte er dadurch auch das Staunen und den Dank des Geschöpfes bekräftigen: Nacht und Tag, Sonne und Mond und Sterne, Pflanzen und Tiere... Alles ist gut. Und nachdem Gott den Menschen erschaffen und ihm alle Geschöpfe übergeben hat, heißt es: Es war sehr gut2.

Der Glaube betont, daß die gesamte Schöpfung gut ist, besonders aber der Mensch, wie Gott ihn erschaffen hatte. »In Leib und Seele einer, vereint der Mensch durch seine leibliche Verfaßtheit die Elemente der stofflichen Welt in sich, so daß sie durch ihn ihren Höhepunkt erreichen und ihre Stimme zum freien Lob des Schöpfers erheben. Das leibliche Leben darf also der Mensch nicht geringachten; er muß im Gegenteil seinen Leib, als von Gott geschaffen und zur Auferweckung am Jüngsten Tag bestimmt, für gut und der Ehre würdig halten.«3 Der ganze Mensch ist - mit Leib und Seele - berufen, am ewigen Leben teilzuhaben. Die Kirche hat eine Abwertung des Leibes, als wäre er der Kerker von Seele und Geist, stets zurückgewiesen. Die Hochschätzung des Leibes gipfelt im Wort des heiligen Paulus= 3 Der ganze Mensch ist - mit Leib und Seele - berufen, am ewigen Leben teilzuhaben. Die Kirche hat eine Abwertung des Leibes, als wäre er der Kerker von Seele und Geist, stets zurückgewiesen. Die Hochschätzung des Leibes gipfelt im Wort des heiligen Paulu: Wißt ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört euch nicht selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!4

In dem Wißt ihr nicht? des Apostels schwingt die Sorge mit, dies könnte vergessen werden. Denn die Kirche weiß nicht nur um die Würde des Menschen, sondern auch um seine Gefährdungen. Er »erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, auch zum Bösen geneigt und verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von seinem guten Schöpfer herkommen können. Oft weigert er sich, Gott als seinen Ursprung anzuerkennen; er durchbricht dadurch auch die geschuldete Ausrichtung auf sein letztes Ziel, zugleich aber auch seine ganze Ordnung hinsichtlich seiner selbst wie hinsichtlich der anderen Menschen und der ganzen Schöpfung. So ist der Mensch in sich selbst zwiespältig. Deshalb stellt sich das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf dar, und zwar als einen dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis.«5

Auch der Ungläubige weiß, daß er die Dingwelt überragt. Der Gläubige aber weiß präzise, daß Gott ihm die Dinge als Mittel gegeben hat, um seine ewige Bestimmung zu erlangen. Der Kampf gegen die Übermacht der Dingwelt ist ein Kampf um die innere menschliche Freiheit; Vernunft und Glaube sagen dem Menschen, daß er den irdischen Gütern nicht verfallen darf. Und gerade der praktische Materialismus heute ist da eine ständige Gefahr.

Wenn das Mittel zum Ziel und das Geschenk zum Besitz wird, kommt es leicht dahin, sich von der gottgewollten Ordnung loszusagen. Es ist auch einer der Gründe für ein mangelndes Gespür gegenüber der Natur und ihrem nicht reproduzierbaren Reichtum. Man verliert das Empfinden für eine Art und Weise zu herrschen, die zugleich Hegen sein soll, nicht Willkür, sondern Respekt vor der Größe, Schönheit und Würde der Schöpfung. Vor diesem Hintergrund wollen wir betend betrachten, was wir tun können.

II. Die Tugend, die inmitten dieser Gefährdungen Ordnung schafft, heißt temperantia: »sie ist Kardinaltugend, eine der vier Angeln, in denen das Tor zum Leben schwingt«6. »Mäßigkeit« oder »Mäßigung« wie es auf deutsch heißt, gibt nur einen Teil der Bedeutung wieder: »Der Sinn von >Mäßigkeit< ist elend zusammengeschrumpft auf die sehr derbe Bedeutung der >Mäßigkeit im Essen und Trinken<« und der Begriff »Mäßigung« ist »zu sehr eingeengt auf die Beziehung zum Zorn« und »wohnt in einer fatalen Nachbarschaft mit der Angst vor jeglichem Überschwang«7. Deshalb schlägt Josef Pieper vor, temperantia mit »Zucht und Maß« zu übersetzen.

Was ist diese temperantia? »Der nächste Sinn der Zucht sei die >Ruhe des Gemütes<, sagt Thomas von Aquin. (...) Gemeint ist die den innersten Raum des Menschenwesens erfüllende Ruhe, die das Siegel und die Frucht der Ordnung ist.

Der Zielsinn der temperantia ist die innere Ordnung des Menschen, aus der allein diese >Ruhe des Gemütes< erfließt. Zucht heißt: in sich selbst Ordnung verwirklichen«8, sich manches versagen, manchen Sinneseindrücken keinen Einlaß gewähren. Denn »es ist, als ob in jedem von uns ein >höheres Ich< und ein >niederes Ich< vorhanden wäre. Unser >niederes Ich< bringt unseren Leib und alles Leibliche zum Ausdruck: die Bedürfnisse, Wünsche, Leidenschaften, die vor allem sinnlicher Natur sind. Die Tugend der Selbstbeherrschung sichert jedem Menschen die Herrschaft seines >höheren Ichs< über sein >niederes Ich< zu. Ist das etwa eine Demütigung oder Mißachtung unseres Leibes? Im Gegenteil, diese Herrschaft wertet den Leib auf. Die Tugend der Selbstbeherrschung läßt unseren Leib und unsere Sinne den rechten Platz finden, der ihnen in unserem Menschsein zukommt.«9 Die Worte des heutigen Evangeliums10 lassen sich so verstehen: In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort zwar hört, aber dann ersticken es die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum, und es bringt keine Frucht. Wer Wohlergehen, Gesundheit, Aussehen, Genuß oder Kleidung zum alleinigen Maßstab seines Lebens erklärt, wird nach und nach gleichgültig gegenüber Gott. Deshalb erinnert uns die Kirche beständig an die Notwendigkeit, Zucht und Maß zu üben und gegenüber der Sucht nach totalem Wohlergehen wachsam zu bleiben. Ihre Lehre gibt eine schlichte Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens: verankert sein im Willen Gottes, um zum ewigen Leben zu gelangen. Das Herz findet nur in Gott seine Erfüllung, nur Gott kann seinen Hunger stillen. Wie fragwürdig, wie kurzsichtig, wie lächerlich, immer nur mehr Besitz anzuhäufen und das Angesammelte zur Schau zu stellen.

Zucht und Maß machen den Menschen menschlicher: denn diese Tugend »sichert die Herrschaft des Willens über die Triebe und läßt die Begierden die Grenzen des Ehrbaren nicht überschreiten«11. Weil diese Tugend das Edelste im Menschen - seine Intelligenz und seinen Willen - von der Vorherrschaft blinder Kräfte und niederer Triebe befreit, bedeutet sie nicht Unterdrückung, sondern innere Ordnung und Harmonie. Wer sie zu leben versteht, »= 11. Weil diese Tugend das Edelste im Menschen - seine Intelligenz und seinen Willen - von der Vorherrschaft blinder Kräfte und niederer Triebe befreit, bedeutet sie nicht Unterdrückung, sondern innere Ordnung und Harmonie. Wer sie zu leben versteht, kann auf das verzichten, was seiner Seele schadet, und er weiß, daß er damit nur scheinbar ein Opfer bringt; denn ein Leben im Opfergeist befreit ihn von vielen Fesseln und läßt ihn im Innersten seines Herzens die ganze Liebe Gottes auskosten.

Dann gewinnt das Leben die Farben wieder, die die Unmäßigkeit verdunkelt hatte: sich um andere kümmern, Eigenes teilen, Aufgeschlossenheit für das Große werden wieder möglich.«12

III. »Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz.«13 Zucht und Maß helfen, den Umgang mit den irdischen Gütern zu relativieren und sich vor zwang- oder rauschhaften Versuchungen in acht zu nehmen: Essen, Trinken oder Rauchen, Einkaufen, Autofahren, Müßiggang. Und auch von einem zwanghaften Arbeitswillen b= 13 Zucht und Maß helfen, den Umgang mit den irdischen Gütern zu relativieren und sich vor zwang- oder rauschhaften Versuchungen in acht zu nehmen: Essen, Trinken oder Rauchen, Einkaufen, Autofahren, Müßiggang. Und auch von einem zwanghaften Arbeitswillen leibt man frei, der den Sinn der Arbeit verkehrt und das familiäre und gesellschaftliche Leben ruinieren kann. Ganz besonders Eltern sollen hier ihren Kindern Vorbild sein, damit diese »in angemessener Freiheit gegenüber den materiellen Gütern, indem sie sich einen einfachen und anspruchslosen Lebensstil aneignen«14, aufwachsen.

Zucht und Maß schützen vor der falschen Spontaneität, sich einem materialistischen Lebensstil einfach anzupassen, auf den das Wort des Apostels zutrifft: ihr Gott ist der Bauch15. Innere Loslösung durchformt die Familie, den Beruf, die Freizeit. Man lernt, mit dem Fernsehen umzugehen, seine Chancen zu nutzen, aber gleichzeitig seine kostbare Zeit nicht der Flüchtigkeit der Medien oder der Banalität des Dargebotenen preiszugeben.

Solche asketischen Übungen sind nötig, denn »immer sind einzig wir selber die Täter von Zucht und Unzucht, von Selbstbewahrung und Selbstzerstörung. Immer ist es die Entscheidungsmitte der ganzen und unteilbaren Person, von der aus die innere Ordnung gewahrt oder verkehrt wird.«16 Auch kleine Verfehlungen gegen Zucht und Maß, wenn sie sich bei uns einnisten, können Dornen sein, die den guten Samen ersticken und die Lauheit fördern. Sie kränken Gott, schwächen allmählich den Willen und fördern den Überdruß, weil die christliche Lebensführung dann nur noch als mühsam empfunden wird.

Essen und Trinken sind gewiß nicht das einzige Feld von Zucht und Maß. Jedoch ist der Geist des Opfers darin besonders wichtig, sich manchmal auch legitime, kleine Genüsse zu verkneifen: »Gewöhnlich ißt du mehr als nötig. - Und die Sattheit, die dir oftmals Schwere und Unwohlsein verursacht, macht dich unfähig, die übernatürlichen Güter zu kosten, und behindert dein Denken. Was für eine gute Tugend ist die Mäßigkeit, auch für dein natürliches Leben!«17

Zum weiten Feld von Zucht und Maß gehört neben den Gaben des Leibes der Umgang mit dem eigenen Herzen; die Neugier zu mäßigen, die Geschwätzigkeit zu zügeln, die Phantasie im Zaume zu halten. All dies stärkt die Abwehrkräfte gegen eine aggressive Umwelt, die nur mehr die materiellen Güter zu schätzen weiß, es macht bereit, gutes Erdreich für die Anregungen des Heiligen Geistes zu sein und ein gewinnendes apostolisches Zeugnis zu geben.

1 vgl. Gen 1. - 2 Gen 1,31. - 3 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 14. - 4 1 Kor 6,19-20. - 5 II. Vat. Konz., a.a.O., 13. - 6 J. Pieper, Das Viergespann, München 1964, S. 202. - 7 vgl. ebd., S. 202-203. - 8 ebd., S. 206. - 9 Johannes Paul II., Ansprache, 22.11.1978. - 10 Mt 13,18-23. - 11 Katechismus der Katholischen Kirche, 1809. - 12 J. Escrivá, Freunde Gottes, 84. - 13 II. Vat. Konz., a.a.O., 35. - 14 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris Consortio, 22.11.1981, 37. - 15 Phil 3,19. - 16 J. Pieper, a.a.O., S. 208. - 17 J.Escrivá, Der Weg, Nr. 682.

* Editions Wort (Inhaber von Urheberrechten) hat uns ermächtigt, tägliche Meditation auf bestimmte Benutzer zum persönlichen Gebrauch zu verbreiten, und wollen nicht ihre Verteilung durch Fotokopieren oder andere Formen der Distribution.