OSTERZEIT
4. WOCHE - DONNERSTAG
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VERSTEHEN, VERSCHMERZEN, REIFEN
Fähig
sein, frühere Urteile über Menschen zu revidieren.
Menschen können an Reife und Weisheit zunehmen.
Unsere Fehler von gestern sollen uns nicht den Mut nehmen.
I. In der
ersten Lesung
der heiligen Messe erfahren wir von einem Streit im Kreis der Mitarbeiter des
heiligen Paulus. Dieser erscheint bereits als die beherrschende Gestalt, nicht
umsonst heißt es:
Paulus
und seine Begleiter.
Zu diesen Begleitern gehören Barnabas, der Paulus in den Kreis der Jerusalemer
Gemeinde eingeführt hatte, und Markus. Er gibt Anlaß zu der
Meinungsverschiedenheit.
Johannes
mit dem Beinamen Markus
war ein Vetter des Barnabas. Seine Mutter gehörte zu den ersten Frauen, die
Jesus und den Zwölf halfen. Ihr Haus in Jerusalem diente der Urgemeinde als
Versammlungsort.3
Markus hatte also die Anfänge der Kirche in Jerusalem erlebt, mit der Mutter des
Herrn und den Aposteln engen Kontakt gehabt. So erscheint es logisch, daß
Barnabas sich auf seinen Verwandten stützte und ihn als Begleiter auf die
Missionsreise nach Kleinasien mitnahm, die er und Paulus unternahmen. Aber den
jungen Markus verließen irgendwann einmal die Kräfte, und er kehrte nach
Jerusalem zurück. Dies ist der Grund, weshalb Paulus ihn nicht erneut auf die
zweite Missionsreise mitnehmen will.
Barnabas wollte auch den Johannes,
genannt Markus, mitnehmen; doch Paulus bestand darauf, ihn nicht mitzunehmen,
weil er sie in Pamphylien im Stich gelassen hatte, nicht mit ihnen gezogen war
und an ihrer Arbeit nicht mehr teilgenommen hatte.4
Es kommt daraufhin zur Trennung:
Barnabas nahm Markus mit und segelte
nach Zypern. Paulus aber wählte sich Silas und reiste ab, nachdem die Brüder ihn
der Gnade des Herrn empfohlen hatten.5
Der Kirchenvater Hieronymus schreibt dazu: »Paulus strenger, Barnabas milder -
jeder blieb bei der eigenen Ansicht. Und im Streit schimmert etwas von der
menschlichen Gebrechlichkeit durch.«6
Wahrscheinlich war die Auseinandersetzung recht heftig. Doch später treffen wir
Markus in Rom, zuerst bei Petrus, dann ebenfalls bei Paulus.
Die beiden haben sich also ausgesöhnt, mehr noch, Paulus legt besonderen Wert
auf die Hilfe des Markus, wenn er an Timotheus schreibt:
Bring
Markus mit, denn er wird mir ein guter Helfer sein.
Vom römischen Gefängnis aus schickt er Grüße an die Philipper:
Es grüßt
euch Aristarch, der mit mir im Gefängnis ist, und Markus, der Vetter des
Barnabas (...); durch sie bin ich getröstet worden.
Markus ist also einige Jahre danach Paulus' Freund und wirksamer Mitarbeiter
geworden. Paulus, vorher der Meinung, Markus käme für das anstrengende Werk der
Verkündigung nicht länger in Frage, will ihn nun bei sich als seinen Helfer
haben. Der Apostel, den wir als großherzig und opferbereit, feurig und
entschlossen kennen, schämt sich nicht, sein Urteil zu revidieren. Er ist weise
genug, zu wissen, daß die Gnade Gottes und die Zeit einen Menschen ändern
können, und demütig genug, über Menschen nicht unwiderruflich zu urteilen. Denn
wir können zwar ihre äußere Handlungsweise, selten aber ihre Absichten
beurteilen. Gott allein kennt ihre letzten Beweggründe. Deshalb müssen unsere
Urteile revidierbar bleiben.
Der Herr
nimmt uns an, wie wir sind - und dazu gehören auch unsere Armseligkeiten. Er
gibt uns die Kraft, uns nicht mit ihnen abzufinden.
Wie
lehrreich ist ein Blick auf die eigene Erbärmlichkeit, um sich in andere
Menschen hineinzuversetzen! Natürlich werden wir offensichtliche Mängel nicht
einfach ignorieren. Aber gleichzeitig können wir sie in einem anderen Licht
sehen, in einer umfassenderen Perspektive betrachten. Damit sind wir schon auf
dem Weg des Verstehens so wie Christus damals, als er unter den schwerfälligen
Aposteln lebte oder der ehebrecherischen Frau begegnete. Der Herr liebt nicht
unsere Gebrechen als solche, aber weil er uns liebt, die wir sie haben, hat er
aus Liebe Geduld mit uns, wartet und hilft. Er schreibt uns niemals ab. Lassen
wir Menschen, die uns mißliebig sind, nicht gleich fallen, geben wir ihnen die
Chance, die Gott auch uns gibt.
II. Auch
von Markus her gesehen ist das, was uns die Apostelgeschichte erzählt,
lehrreich. Wir wissen wenig über ihn. Zu der Zeit, da er den Konflikt zwischen
Paulus und Barnabas auslöste, war er jung, sicher noch unreif. Wer weiß, ob
Barnabas ihn nicht - er war sein Vetter - aus familiärer Zuneigung überschätzt
hatte oder ob Markus selbst noch zu leicht verwundbar war und den Kampf zu früh
aufgab. Wir wissen es nicht. Aber, so dürfen wir annehmen, jener, den uns eine
alte Überlieferung als »Dolmetscher des Petrus= 10 vorstellt, hat die Worte des
Apostels über Jesus nicht nur gedolmetscht und anderen vorgetragen, sondern er
hat sie auch auf sich selbst bezogen - bis zu den Selbstanklagen des Petrus
wegen mangelnden Mutes und Kleingläubigkeit. Dem jungen Markus wird «10
vorstellt, hat die Worte des Apostels über Jesus nicht nur gedolmetscht und
anderen vorgetragen, sondern er hat sie auch auf sich selbst bezogen - bis zu
den Selbstanklagen des Petrus wegen mangelnden Mutes und Kleingläubigkeit. Dem
jungen Markus wird es nicht gleichgültig gewesen sein, daß ein so erfahrener
Verkündiger wie der große Paulus ihn abgelehnt hatte. Er wird die Ursachen bei
sich selbst gesucht und so an Reife und Weisheit gewonnen haben. Auch für ihn -
wie für Paulus - wurde das Vergangene nicht zu einer unumstößlichen
Wirklichkeit. Denn später, als er gebraucht wird, ist er da: als
Trost
und
guter
Helfer
für Paulus. Beide lehren uns, daß Vergeben, Verschmerzen und Nichtnachtragen zur
inneren Größe einer Seele gehören: »Wie eng ist die Seele derer, die ihre
>Beschwerdeliste< sorgfältig aufbewahren! Mit solchen bedauernswerten Menschen
ist ein Zusammenleben kaum möglich.
Wahrhafte
Nächstenliebe >omnia suffert< - >erträgt alles< und führt nicht Buch: weder über
die >ständigen und notwendigen< Dienste, die sie tut, noch über die Kränkungen,
die sie erfährt.«11
Der
Hochmütige neigt dazu, alles - jeden Gefallen - zu >verbuchen<, und er erwartet
eine Gegenleistung; erfahrene Kränkungen will er beglichen wissen. So gehen
Energien verloren, die man lieber auf das innere Wachsen und auf geistige
Geschmeidigkeit lenken sollte, damit wir für die Pläne Gottes gerüstet sind.
Sonst sind wir in der Vergangenheit gefangen. Anders dagegen ein Mensch, der von
demütiger Gesinnung ist: er ist nicht so schnell eingeschnappt, weil er sich von
Gott angenommen weiß; er reagiert auf die Meinung anderer gelassener, weil er
abzuwägen versteht; er vermag einer Kränkung oder einem Affront im Auf und Ab
des Alltags ihren Stellenwert zu geben: heute geschehen, morgen vergessen,
innerlich vergeben.
Eine
solche Haltung bedeutet nicht weltfremde Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen
Selbstachtung oder dem eigenen Ansehen, sondern die Wirklichkeit von Gott her zu
bewerten; er kennt unser Herz, und deshalb können wir Fehleinschätzungen oder
Mißdeutungen anderer Menschen ertragen - wissen wir doch aus Erfahrung um die
Wechselhaftigkeit menschlicher Urteile. Vor diesem Hintergrund dürfen wir die
Gestalt des erwachsenen Markus sehen: die frühere Schelte nicht nachtragend, ist
er nun ein gereifter Mitarbeiter des Barnabas, stärkender Tröster des Paulus,
treuer geistlicher Sohn des Petrus.
Die Demut
schließlich erleichtert die Brüderlichkeit. Der Demütige sucht den Kontakt zu
den anderen, bereit, aus eigenem Impuls den Frieden wiederherzustellen, Hilfe zu
leisten und Hilfe anzunehmen. »Jene, die sich nahestehen, tragen sich
gegenseitig und dank ihrer entsteht das Bauwerk der Liebe (...). Wenn ich also
mir nicht die Mühe nehme, deine Eigenarten zu ertragen, und wenn du dir nicht
die Mühe nimmst, mich mit meiner Eigenart zu ertragen, wie werden wir dann -
ohne durch Geduld in gegenseitiger Liebe verbunden zu bleiben - zusammen den Bau
der Liebe aufrichten können? Denn in einem Bauwerk ist jeder Stein tragend und
wird selbst getragen.«12
III.
Markus »schreibt das Evangelium des heiligen Petrus nieder, das
Markusevangelium. Nach Petri Tod leitet er von Alexandrien aus die ägyptische
Kirche. So versichert die Tradition (...). Jedenfalls steht jedem Christen der
heilige Markus nahe durch sein Evangelium. Er hat uns darin ein Christusbild
geschenkt, das bis in feinste Einzelheiten geht.«13
Wie
beeindruckend, die Gestalt des zweiten Evangelisten zu betrachten - vom
zögernden Jüngling bis zur verläßlichen Stütze der Urkirche. Daraus können wir
lernen, daß eigene Armseligkeiten oder früheres Schwanken kein Hindernis sein
müssen, der Kirche beherzt zu dienen. Die Gnade kann uns zu wirksamen Werkzeugen
des Heiligen Geistes werden lassen.
Wie wird
Markus den greisen, gefangenen Paulus umsorgt haben!
Die Liebe
ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht,
sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren
Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach (...). Sie
erträgt alles:
eigene wie fremde Fehler, eigensinnige Charaktere, die Schwierigkeiten im Umgang
miteinander. Können wir uns einen Paulus vorstellen, der den Markus weiterhin
wie ehemals beurteilt? Der das Urteil von damals zum Vorurteil gerinnen ließe,
Markus sei für das Werk des Evangeliums nicht brauchbar, weil er einmal schwach
wurde und nach Jerusalem zurückging? Können wir uns einen Markus vorstellen,
der, verletzt, jenen Augenblick nicht hätte vergessen können?
Erbitten
wir uns heute von der Muttergottes ein weites Herz, damit wir niemals etwas
nachtragen und Vorurteile gern fallen lassen. Paulus lehrt uns das richtige
Verschmerzen, Markus das Reifen.
13,13-25. -
vgl.
12,12. -
ebd. -
15,37-38. -
15,39-40. -
Hieronymus,
Dialog
wider die Pelagianer,
2,17. -
vgl.
24. -
4,11. -
vgl.
4,10-11. -
vgl. Eusebius,
Kirchengeschichte
III,39,15. -
J.Escrivá,
Die Spur
des Sämanns,
Nr.738. -
Gregor der Große,
Homilien
über Ezechiel.
-
Th.Schnitzler,
Die
Heiligen im Jahr des Herrn,
Freiburg 1989, S.146. -
13,4.