JAHRESKREIS
13. WOCHE - MITTWOCH
6
materialistische verstocktheit
Jesu
Macht über die Dämonen.
Loslösung.
Die Vorsehung.
I.
Vielleicht suchte Jesus einen ruhigen Ort, um mit den Seinen allein zu sein, als
er in das Gebiet von Gadara am anderen Ufer des Sees Gennesaret kam.1 »Die
Dekapolis - Zehnstadt - bestand aus einer Reihe von Städten, die seit der Zeit
Alexanders des Großen zu Orten mit vorwiegend griechischer Bevölkerung und
hellenistischer Kultur geworden waren.«2 Es war also eine heidnische Gegend, und
dies mag die Anwesenheit einer weidenden Schweineherde erklären, die sonst
unverständlich wäre, da den Juden der Genuß von Schweinefleisch verboten war.
Matthäus schildert viel zurückhaltender als Markus3 die schaurige Szene mit den
zwei Besessenen, die in Grabhöhlen hausten und so gefährlich waren, daß niemand
den Weg benutzen konnte, der dort vorbeiführte.
Als sie
Jesus entgegenkommen, geschieht etwas Sonderbares. Diesmal hören wir keine Bitte
um Heilung, sondern nur den verzweifelten Ruf der Dämonen, die ahnen, daß Jesus
- sie nennen ihn Sohn Gottes - die zwei armen Menschen aus ihrer Gewalt befreien
wird: Bist du hergekommen, um uns schon vor der Zeit zu quälen? Es ist, als
sähen sie bereits den Triumph Christi. Wenn du uns austreibst, dann schick uns
in die Schweineherde! Der Herr erlaubt es. Da verließen sie die beiden und
fuhren in die Schweine.
Daraufhin
raste die ganze Herde den Abhang hinab in den See. Wahrscheinlich wurde dadurch
ein Reicher arm. Warum ließ der Herr es zu? Wenn wir die Handlungen des Herrn
auf ihre zeichenhafte Bedeutung hin befragen, sind seine Wunder Machtzeichen.
Aber es ist auch gut, ihn in seinem Tun gewähren zu lassen, ohne gleich nach
symbolischen Ausdeutungen zu suchen. Jedoch drängt sich hier die Frage auf. Was
wollte er andeuten, als er auf die seltsame Bitte der Dämonen einging? Wollte er
die zerstörerische Energie aufdecken, der jene zwei Menschen ausgeliefert waren?
Wollte er zeigen, daß der Zusammenbruch gewaltiger irdischer Reichtümer nichts
bedeutet im Vergleich zur Rettung eines Menschen? Wir können es so deuten.
Was dann
folgt - teils verständlich, teils entsetzlich - bestätigt dies. Die Hirten
flohen, liefen in die Stadt und erzählten dort alles. Es heißt dann: Die ganze
Stadt zog zu Jesus heraus. Aber die Einwohner dachten nicht an die zwei von den
Dämonen Befreiten, sondern an den verlorengegangenen Besitz. Keiner sagt dem
Herrn - wie bei anderen Gelegenheiten im Evangelium -, er möge bleiben. Vielmehr
baten sie ihn, ihr Gebiet zu verlassen.
Was für
eine Tragik in jenem Augenblick. Jene Menschen stehen vor der entscheidenden
Situation ihres Lebens. Und sie versagen sich Jesus, dem menschgewordenen Sohn
Gottes. Sie haben ihn doch so nah bei sich! Und doch baten sie ihn, er möge
weiterziehen! Ihn, der alle Güter in sich vereinigt! War es, weil sie Heiden
waren? Aber »das Verlangen nach Gott ist dem Menschen ins Herz geschrieben, denn
der Mensch ist von Gott und für Gott erschaffen«4. Oder war es die panische
Angst, ihren Besitz zu verlieren, die sie blind machte? Häufig »erscheint der
Ausschluß Gottes nicht so sehr als bewußter Gegensatz zu ihm, sondern als
Vergessenheit und Gleichgültigkeit ihm gegenüber, als ob man sich bei dem
geplanten gemeinschaftlichen Handeln des Menschen um Gott nicht zu kümmern
brauche.«5
Der Herr
erhellt Schmerz, Freude, Leben, Tod, Arbeiten..., ohne ihn ist alles das nichts
wert. Und trotzdem versucht man, eine Welt aufzubauen ohne ihn, in der es für
ihn keinen Platz gibt. Der, der allem seinen Sinn verleiht, wird ausgeschlossen.
»Ausschluß Gottes, Bruch mit Gott, Ungehorsam gegen Gott: Das war und ist die
Sünde in der ganzen Menschheitsgeschichte, in ihren verschiedenen Formen bis hin
zu Verneinung Gottes und seiner Existenz.«6 Wie hermetisch können Menschen
gegenüber der Gnade sein, wenn sie die materiellen Güter in den Vordergrund
stellen.
II. Wie
reich wären die Einwohner von Gadara beschenkt worden, hätten sie Jesus
aufgenommen! Doch sie waren für die innere Wahrheit blind und nur auf das
Materielle fixiert. Auch heute ist Gott für viele ein Störenfried. Sie wollen
ihr Glück planen und glauben, es wäre käuflich. Sie machen den materiellen
Besitz zu ihrem Lebensziel und werden unfähig, das Handeln Gottes in ihrem Leben
und in der Welt wahrzunehmen. So ist in den Wohlstandsländern eine Art von
Überentwicklung entstanden, die »im Gegensatz zum wahren Wohl und Glück steht.
Denn diese Überentwicklung, die in einer übertriebenen Verfügbarkeit von jeder
Art materieller Güter zugunsten einiger sozialer Schichten besteht, macht die
Menschen leicht zu Sklaven des >Besitzens< und des unmittelbaren Genießens, ohne
eine andere Perspektive als die Vermehrung oder den ständigen Austausch der
Dinge, die man schon besitzt, gegen andere immer perfektere. Das ist die
sogenannte Konsumgesellschaft oder der Konsumismus, der so viele >Verschwendung<
und >Abfälle< mit sich bringt.«7 Wer sich unkritisch einer solchen Mentalität
hingibt, ähnelt den Bewohnern von Gadara im heutigen Evangelium. Man bittet
Jesus, er möge weiterziehen. Man landet schließlich in spiritueller Öde und wird
in dem Maße ärmer, in dem man reicher wird.
Die
Begegnung mit dem Herrn kam für die Bewohner jener Stadt unerwartet. Ebenso
unerwartet sucht er uns auf. Wir suchen ihn in der Gesundheit, und er kommt in
der Krankheit; wir suchen ihn in tausend Aktivitäten, und er kommt in der
erzwungenen Untätigkeit eines Gebrechens; wir suchen ihn im Erfolg, und er kommt
in einem geschäftlichen Ruin. Er hat, anders als die unsere, seine Logik. Wer
kann den Verlust eines geliebten Menschen, den Schock, unheilbar krank zu sein,
die Heimsuchung durch ein schweres Leiden logisch einordnen? Solche Geschicke
stellen unser Vertrauen auf einen Schöpfer und Vater, das wir hin und wieder in
schönen Augenblicken dankbar empfinden, auf eine harte Probe. Das Unfaßbare wird
erst dann akzeptabel, wenn man sich einer übergeordneten, dem naturhaften Denken
verborgenen Sicht der Wirklichkeit öffnet.
Wem das
gelingt, der kann darauf vertrauen, daß sich schwer Faßbares doch in ein Ganzes
einfügt. Er kann dann betend sprechen: »Du willst es Herr? Dann will ich es
auch!«8
Stellen
wir uns vor, jene Heiden hätten sich nach dem Verlust ihrer Schweineherde Jesus
geöffnet. Sie hätten erfahren, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum
Guten führt9. Der materielle Verlust wäre für sie zu einem Mosaikstein im Plan
Gottes für ihr Leben geworden. Und vielleicht wären sie die ersten Glaubensboten
außerhalb Israels geworden.
Prägen
wir uns also ein, »daß der aufrichtige Wunsch, dem Herrn von nahem zu folgen und
Gott und den Menschen wirklich zu dienen, die ungeschmälerte Loslösung vom
eigenen Ich erfordert: von den Gaben des Intellekts, von der Gesundheit, der
Ehre, von noblen Ambitionen, von Erfolgen und Triumphen.
Ja, auch
jene guten Anliegen schließe ich hier ein, (...) die aus dem Wunsch hervorgehen,
nur die Ehre Gottes zu suchen und ihn in allem zu preisen. Bei solchen Anliegen
soll unser Wille klar und bestimmt reagieren: Herr, ich möchte dies oder jenes,
aber nur, wenn es dir gefällt, wozu sonst nützte es mir? Wir versetzen so dem
Egoismus und der Eitelkeit, die sich in unser Herz einschleichen, den Todesstoß
und gewinnen auf diesem Weg den wahren Frieden der Seele; denn in dem Maße, da
sie sich loslöst, birgt sie sich inniger und stärker in Gottes Armen.«10
III. Der
Verlust der Schweineherde war, rein irdisch betrachtet, ein Unglück; aber es
bewirkte, daß die Hirten ins Dorf liefen und die Bewohner auf Jesus hinwiesen,
der da in ihrer Nähe war. Die Frau, die dem Meister in Kafarnaum begegnete, war
jahrelang krank und hatte jede Hoffnung auf die Ärzte verloren, und genau dies
führte sie zu Jesus und ließ sie den Saum seines Gewandes berühren. Diesen
Begebenheiten im Evangelium könnten wir viele andere aus unserem Alltag
hinzufügen, in denen die Vorsehung Gottes aufscheint. »Danach wird, was immer in
der Welt ist und vor sich geht, durch die Liebe, Weisheit und Macht des Vaters
zum Heil des glaubenden Menschen gelenkt.«11 Scheinbar isoliertes Geschehen
greift ineinander, sein Zusammenhang wird uns erst rückblickend deutlich.
Einzelne Begebenheiten erhalten erst aufs Ganze gesehen ihre eigentliche
Bedeutung in unserem Leben. Oft danken wir dann dafür, daß damals nicht das
geschah, was wir erfleht hatten, sondern etwas anderes, gegen das wir uns
wehrten. Was uns als ein Gut erstrebenswert erscheint, kann im Zusammenhang
unseres Lebens ein Übel sein. Was uns ein Übel zu sein scheint, ist es
vielleicht gar nicht, wenn wir es auf unser Heil hin betrachten. Aber eine solch
umfassende Sicht ist uns im Augenblick des Geschehens selten möglich. Der Glaube
indessen sagt uns: Gott fügt alles zu unserem Besten. Die Vorsehung ist »kein
Märchen, sondern Wirklichkeit; doch nicht jene Wirklichkeit, die ohnehin da ist,
der Natur oder der Geschichte, sondern eine, die von Gott her wird. Das aber
nicht in einem geheimen Raum neben Natur und Geschichte, sondern mitten in
diesem. Sie wird nicht, wie die Bilder des Märchens, mit der Phantasie, auch
nicht, wie die Dinge des unmittelbaren Daseins, durch natürliche Beobachtung und
Verstand, sondern im Glauben aufgefaßt. Wir hören von ihr durch Gottes Wort und
müssen es auf sie hin wagen: dann ersteht sie zwischen Gott und uns.«12
Unglück -
Krankheit, Leid, Ruin - kann uns zu Jesus führen. In ihm finden wir die Kraft,
es zu ertragen und als Anruf zu vernehmen, ähnlich wie die Worte der trauernden
Marta zu ihrer Schwester Maria: Der Meister ist da und läßt dich rufen.13
Unglück kann uns aber auch von Jesus entfernen oder die Suche nach Gott
erschweren, wenn man die eigenen Pläne mehr als Gottes Willen liebt, den wir
manchmal nicht begreifen.
Beim
Herrn dienen die Ereignisse unseres Lebens dazu, uns von allem loszulösen, was
ihn verdrängen könnte. Wie dankbar wären die Einwohner von Gadara gewesen, wenn
sie begriffen hätten, wer Jesus war! Sie hätten ihr Pech vergessen und
stattdessen ein großes Fest gefeiert.
Werfen
wir zum Schluß einen Blick auf die Geheilten. Markus und Lukas14 - sie sprechen
von einem einzigen Besessenen - ergänzen den Bericht des Matthäus über den
Augenblick der Heilung hinaus. Als Jesus - der Aufforderung der Bewohner
entsprechend - jene Gegend verließ, bat ihn der Geheilte, bei ihm bleiben zu
dürfen. Aber Jesus erlaubte es ihm nicht, sondern sagte: Geh nach Hause, und
berichte deiner Familie alles, was der Herr für dich getan und wie er Erbarmen
mit dir gehabt hat. Wir können uns vorstellen, mit welcher Freude er dies tat,
vielleicht sein Leben lang. Der Herr versagte ihm die Nachfolge nicht, er zeigte
ihm nur, daß seine Sendung eine andere war als die derer, die mit ihm
umherzogen. Der Geheilte sollte dort Zeugnis ablegen, wo man Jesus abgewiesen
hatte. Denn er verkündete in der ganzen Dekapolis, was Jesus für ihn getan
hatte. Eine neue Chance für die Blinden oder Verstockten...
1 Mt
8,28-34. - 2 G. Kroll, Auf den Spuren Jesu, Stuttgart 1988, S. 256. - 3 vgl. Mk
5,1-17. - 4 Katechismus der Katholischen Kirche, 27. - 5 Johannes Paul II.,
Apost.
Schreiben
Reconciliatio et paenitentia, 2.12.1984, 14. - 6 ebd. - 7 Johannes Paul II., Enz.
Solicitudo rei socialis, 28. - 8 J. Escrivá, Der Weg, Nr. 762. - 9 Röm 8,28. -
10 J. Escrivá, Freunde Gottes, 114. - 11 R. Guardini, Vorschule des Betens,
Mainz 1986, S. 122. - 12 ebd., S. 124-125. - 13 Joh 11,28. - 14 vgl. Mk 5,1-20;
Lk 8,26-39.