JAHRESKREIS
17. SONNTAG (LESEJAHR B)
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GROSSE
WUNDER UND KLEINE DINGE
Ein
pädagogisches Vorspiel.
Jesus und die Liebe zu den kleinen Dingen.
Warum sind die kleinen Dinge wertvoll?
I. Eine
große Menschenmenge folgte Jesus, heißt es bei Johannes im Evangelium dieses
Sonntags1, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Sie sahen
nicht nur, sie hörten auch die Worte des Meisters und vergaßen darüber alles:
Müdigkeit, Hunger, die abgelegene Gegend, den weiten Nachhause-Weg. Auf diesem
Hintergrund spielt sich das aufsehenerregende Wunder ab, das Johannes berichtet
und das auch die drei Synoptiker erwähnen.2
Die
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Art der Darstellung machen deutlich, wie
die göttliche Inspiration die persönliche Begabung und die Arbeitsweise der
heiligen Schriftsteller einbezieht; jeder hat »die älteste Unterweisung, die
zunächst mündlich, dann schriftlich überliefert wurde (...), nach einer Methode,
die dem besonderen Ziel, das jeder sich vorgenommen, entsprach, zum Nutzen der
Gemeinden in den vier Evangelien aufgezeichnet. Manches wählten sie aus reichem
Überlieferungsstoff aus, anderes faßten sie zusammen, anderes erklärten sie nach
dem Stand der Gemeinden.«3 Wir wollen nur einige Nuancen hervorheben, die für
unser Gebet von Nutzen sein können.
Es fällt
auf, wie Johannes den Stoff theologisch durcharbeitet und transparent macht,
indem er das Wunder als Zeichen deutet. Die Jünger treten ganz in den
Hintergrund, Jesus ist der allein Handelnde. Bei den Synoptikern hingegen sind
es die Jünger, die Jesus auf den Hunger der Leute aufmerksam machen. Auch die
Zeitangabe, die wir nur bei Johannes finden, betont das Zeichenhafte: Das
Pascha, das Fest der Juden, war nahe. Der Evangelist »betrachtet die wunderbare
Speisung der Volksmenge offenbar als Vorausdarstellung des eucharistischen
Mahles. Die Leser sollen daran erinnert werden, daß Jesus am jüdischen
Osterfeste als das wahre Osterlamm für die Sünden der Menschen am Kreuze
gestorben ist und in der Eucharistie den Seinen sein Fleisch und Blut zur Speise
gibt, wie es in der nachfolgenden Rede dargelegt wird.«4
Der
Rahmen des Ganzen ist drastisch real: Die Menschen sind weit weg von zuhause in
einer abgelegenen Gegend, und auch wenn sie es in ihrer Begeisterung nicht
merken, beginnen sie hungrig zu werden. Der Herr merkt es und empfindet Mitleid.
Er wirkt ein Wunder, das in seiner Tiefe auf das große künftige Geschenk der
Eucharistie verweist, zugleich aber einer momentanen Not abhilft.
Ein
pädagogischer Zug steht am Anfang; Jesus will die Jünger ihre Ohnmacht spüren
lassen: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben? fragt er
Philippus. Natürlich muß dieser seine Ratlosigkeit bekennen, denn nicht einmal,
wenn sie Brot für zweihundert Denare kaufen könnten - vielleicht hatten sie noch
soviel in der gemeinsamen Kasse -, würde es ausreichen. Auch Andreas muß
kapitulieren. Was sind die fünf Gerstenbrote und zwei Fische eines kleinen
Jungen für eine solche Menge! Uns jedoch, den Lesern und Betern, verrät der
Evangelist, was Andreas und Philippus damals noch nicht wußten: Jesus wollte sie
nur auf die Probe stellen; denn er selbst wußte, was er tun wollte.
Nachdem
die Jünger bemerkt haben, daß sie hilflos dastehen, müssen sie das Wenige, das
in ihrer Macht steht, doch tun: die Brote und Fische des kleinen Jungen zu Jesus
bringen. Und dann erweist sich verschwenderisch die Macht Jesu; Gott handelt,
aber nicht ohne das Zutun des Menschen.
II. Das
Pascha, das Fest der Juden, war nahe. Es war also Frühjahr und dort gab es -
anders als im trockenen und heißen Sommer Palästinas - viel Gras. Laßt die Leute
sich setzen! sagt Jesus zu den Jüngern - auch in eine solche Kleinigkeit will er
sie einbeziehen.
Die
Fünftausend sättigten sich an den Broten und Fischen, die sie von Jesus
empfingen. Auch hier ist bei Johannes Jesus der allein Handelnde: er teilte an
die Leute aus, soviel sie wollten; bei den Synoptikern heißt es, Jesus gab sie
(die Brote und Fische) den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und
alle aßen und wurden satt5.
Gesättigt
und begeistert sehen auch die Beschenkten in diesem Vorgang ein Zeichen, ja, sie
meinen zu verstehen, was es bedeutet: Das ist wirklich der Prophet, der in die
Welt kommen soll. Der Schatten des politischen Messias senkt sich auf die Szene,
manche mögen in ihrem Überschwang schon angefangen haben zu rufen: Er soll unser
König sein! Vielleicht träumen sie davon, er würde ebenso leicht wie die Brote
und Fische auch Waffen und Geld vermehren. Der Evangelist bemerkt nur: Jesus zog
sich wieder auf den Berg zurück, er allein.
Doch
zuvor sehen wir den Herrn seinen Jüngern eine weitere praktische Lektion
erteilen. Während die Menge begeistert ist, lehrt Jesus die Seinen, die
scheinbar nebensächlichen Dinge des Lebens nicht aus dem Auge zu verlieren:
Sammelt die übrig gebliebenen Brotstücke, damit nichts verdirbt. Sie sammelten
und füllten zwölf Körbe mit den Stücken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem
Essen übrig waren. Jesus schenkt im Überfluß - alle aßen, soviel sie wollten -,
aber er vergeudet nicht. Nicht nur die großen Wunder, auch diese kleinen
alltäglichen Dinge zeigen die Aufmerksamkeit seines Herzens.
Jesus
weiß, was die kleinen Dinge im Leben bedeuten; dreißig Jahre lang war er ja mit
den üblichen Dingen einer Handwerkerexistenz beschäftigt in einer kleinen
Dorfgemeinschaft. Und auch hierin handelte er als der Sohn Gottes, der uns durch
sein Erdenleben erlöst. Später, während seines öffentlichen Lebens, können wir
beobachten, wie sein stetiger Dialog mit dem himmlischen Vater ihm keineswegs
den aufmerksamen Blick für das Kleine und Naheliegende nimmt. Er hat sozusagen
einen Sinn für das Unwesentliche. Er merkt, wann die Jünger eine Verschnaufpause
brauchen6. Der auferweckten Tochter des Jairus läßt er zu essen geben; nach der
Auferweckung des Lazarus weist er die begeisterte Menge auf das hin, was sie tun
sollen: Löst ihm die Binden und laßt ihn weggehen.7 Immer ist er konzentriert
auf das, was der Augenblick gebietet. Er lehrt uns, nicht hinter dem Mond zu
sein, nicht in den Wolken zu leben, sondern Augen und Gespür für das
Naheliegende, das Alltägliche, das Winzige zu haben. Der heilige Paulus ermahnt
uns in der heutigen Lesung: Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt
einander in Liebe.8 Oft erweisen sich Freundlichkeit, Geduld und Herzlichkeit
weniger in großen Gesten als in einer kleinen Aufmerksamkeit.
Warum
sind die kleinen Dinge so wertvoll? Nicht weil sie in sich einen großen Wert
besäßen. Sie sind ja klein. Aber: »Ich versichere euch, wenn ein Christ die
unbedeutendste Kleinigkeit des Alltags mit Liebe verrichtet, dann erfüllt sich
diese Kleinigkeit mit der Größe Gottes« rief einmal der selige Josemaría Escrivá
in einer Predigt vor Tausenden aus.9
III. »Das
Meer besteht aus lauter Tropfen, die Million aus lauter Pfennigen und das Leben
aus lauter Minuten. Aber die Menschen wollen nicht mehr wissen von der Weisheit
der Schöpfung, die das unendlich Große aus dem unendlichen Kleinen bestehen
läßt. (...) Eine Minute ist es, in der der kleine Mensch den ersten Brüller tut.
Eine Minute ist es, in der er der Geliebten begegnet, und in einer Minute stirbt
er. Wir gehen ganz handlich mit den Jahrhunderten um. Mit den Minuten können wir
nicht hantieren.«10
Warum war
es für Jesus so wichtig, die übriggebliebenen Brotstücke einsammeln zu lassen?
Warum die nüchterne Realität im Auge behalten, wenn sich etwas Überwältigendes
ereignet hat? Weil unser Leben aus kleinen Stückchen und oft genug aus geradezu
banal anmutenden Dingen besteht. Doch auch mit den allergewöhnlichsten
Verrichtungen kann man ein dichtes Netz der Treue und Liebe knüpfen. Der selige
Josemaría Escrivá betet zu Gott: »>In Werken lebt die Liebe und nicht in schönen
Worten.< Werke, Werke! - Mein Vorsatz: Wie schon immer will ich dir oft sagen -
wie viele Male habe ich es heute bereits gesagt! -, daß ich dich liebe. Aber vor
allem will ich - mit Hilfe deiner Gnade - durch mein Tun, durch die >kleinen
Dinge< des Alltags - mit beredtem Schweigen - meine Liebe zu dir unter Beweis
stellen.«11
Wahrscheinlich bietet sich uns nur selten, vielleicht niemals die Gelegenheit
dazu, heroisch zu sein, etwa ein Menschenleben zu retten. Aber immer wieder
können wir aufmerksam im Kleinen sein: ein freundliches Wort, einem, der müde
ist, helfen, ein Dankeschön nicht vergessen, ein verdientes Lob aussprechen.
Feinfühlig, findet man überall Gelegenheit zu kleinen Opfern, die man Gott
darbringt und die andere beflügeln können: ein bedachtes Wort, das ein
peinliches Schweigen überbrückt, aufmerksames Zuhören, das den Sprechenden ernst
nimmt. Am eigenen Leib haben wir erfahren, wie hilfreich solche Kleinigkeiten
sein können: winzige Details nur, doch wie ein Reflex der Menschenfreundlichkeit
Gottes, die in Christus Gestalt annahm.
Besonders
im Glaubensleben, im Umgang mit Gott, sind die kleinen Gesten wichtig und lassen
den Glauben und die Liebe konkret werden: ein Stoßgebet, im Vorübergehen an
einer Kirche gesprochen, als Gruß an Jesus in der Eucharistie, oder ein
gesammelter Blick auf das Kreuz oder auf ein Bild Unserer Lieben Frau.
Die
kleinen Dinge haben einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, sie bleiben unter
dem Pegel, der die Eitelkeit hochschwemmen könnte. Keiner wird Stolz empfinden,
weil er seinen Sitzplatz für einen alten oder behinderten Menschen freigemacht
hat. Das schlichte, gewöhnliche Tun ist natürlich und übernatürlich zugleich, es
erfüllt sich, bewußt getan, mit der Größe Gottes. So verstehen wir gut das Wort
des Herrn: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen
ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen.12
Maria war
beim Aufbruch ihres Sohnes vom verborgenen zum öffentlichen Leben zugegen. Am
Ende unserer Zeit des Gebetes sagen wir zu ihr: Zeige uns Jesus, die gebenedeite
Frucht deines Leibes13, lehre uns, die großen Geschenke Gottes in die kleinen
Dinge unseres Alltags hineinzulegen, so wie Jesus damals, als er ein großes
Wunder wirkte und dabei nicht vergaß, die Brotreste einsammeln zu lassen.
1 Joh
6,1-15. - 2 vgl. Mt 14,14-21; Mk 6,34-44; Lk 9,11-17. - 3 Päpstliche
Bibelkommission, Instruktion über die historische Wahrheit der Evangelien,
21.4.1964. - 4 Regensburger Neues Testament, Bd. 4, Regensburg 1961, S. 120. - 5
Mt 14,19-20; Mk 6,41; Lk 9,16. - 6 vgl. Mk 6,31. - 7 Joh 11,44. - 8 Eph 4,2. - 9
Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, Köln 1992, S. 177. - 10 P. Bamm, Kleine
Weltlaterne, Stuttgart 1935. - 11 J. Escrivá, Im Feuer der Schmiede, Nr. 498. -
12 Mt 25,21. - 13 Salve Regina.