JAHRESKREIS
18. WOCHE - DONNERSTAG
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DU BIST
DER CHRISTUS
Eine
Frage des Menschensohnes.
Das erste Bekenntnis aus dem Glauben.
Christus, Mitte des Glaubens.
I. Es
geschah bei Cäsarea Philippi1, im Quellgebiet des Jordan am südlichen Abhang des
schneebedeckten Hermon. Jesus hatte das jüdische Gebiet verlassen, um sich in
einer überwiegend von Heiden bewohnten Gegend seinen Jüngern zu widmen. Das
Evangelium sagt uns nicht, wie dies geschah. Wir dürfen aber annehmen, daß sich
Jesus ihnen ganz konkret und sehr persönlich zuwandte. Eher als allgemeingültige
Gleichnisse werden es sehr persönliche Belehrungen gewesen sein, abgestimmt auf
den spezifischen Charakter jedes einzelnen Jüngers. Es galt, aus dem Vertrauen
zu ihm Glauben werden zu lassen. Hier muß es gewesen sein, als Jesus sie fragte:
Für wen halten die Leute den Menschensohn? »Jesus fragt nicht: Für wen halten
die Leute mich? Anstelle einer normalen Frageformulierung, wie sie üblicherweise
verwendet wird, wählt er eine schwerwiegende und fast feierliche Ausdrucksweise.
Seine Frage nach dem >Meinen< und >Dafürhalten< anderer, seiner Landsleute, über
ihn enthält zugleich schon eine entscheidende Selbstbezeugung als Antwort. In
aller Regel spricht Jesus von Nazaret, Mensch unter Menschen, ein Israelit, ein
Untertan im Imperium Romanum, wie Menschen eben sprechen: in der Ich-Form. (...)
Dennoch findet sich daneben in den Evangelien auch die gleichsam distanzierende,
>offiziöse< Redeweise, die das Ich-Subjekt in die überpersönliche Objektivität
des >er< rückt. (...) Jesus hat sich nach den drei ersten Evangelien rund
siebzigmal, nach Johannes zwölfmal als >Menschensohn< bezeichnet. Das heißt als
>der Mensch< schlechthin, als der Mensch, den Gott will und vorgesehen hat, der
aber nur werden kann dadurch, daß ihn die zweite Person des Dreifaltigen Gottes,
ihre göttliche Natur seiner menschlichen verbindend, zum Bruder macht.«2
Die
Jünger berichten, was sie von den Leuten über Jesus gehört haben: Die einen
halten ihn für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia
oder sonst einen Propheten. Auch heute gibt es Interesse für Jesus von Nazaret,
selbst unter Nichtchristen und Ungläubigen. »Von vielen Seiten schlägt dem
Menschen Jesus heute Sympathie entgegen. Er gilt vielen als >Bruder<, als
>Mensch wie du und ich<. Andere blicken deshalb zu ihm auf, weil er ganz anders
als die Menschen der bürgerlichen Gesellschaft lebte: ohne Streben nach Gewinn
und frei von Leistungsdruck, mit Verachtung der Großen und mit Neigung zu den
Kleinen.
Aber ist
dies das Bild des wahren, ganzen Jesus Christus, an dem der christliche Glaube
festhält? Der Christ wird die Sympathiekundgebungen der Gegenwart für den
Menschen Jesus nicht geringschätzen; denn sie bieten eine Chance für das
Gespräch über den wahren Jesus Christus. Aber er wird sich auch fragen, ob diese
menschlichen Jesusbilder nicht nur Projektionen der Bedürfnisse und Sehnsüchte
unserer Zeit sind.
Die
kritische Einstellung, die hinter dieser Frage steht, kann dem Christen den
Blick dafür öffnen, daß das Christusbild, auf das sich die Menschen vielfach
berufen, heute vieldeutig und unklar geworden ist. Wird mit ihm wirklich der
Christus des Glaubens getroffen? Bei aller >guten Presse<, die der Name Jesu
heute hat, läßt sich nicht übersehen, daß der >Grund des Glaubens<, den Christus
bildet, für viele schwankend geworden ist und in der Pluralität der subjektiven
Meinungen zu bröckeln beginnt.«3
Die Art,
wie Jesus fragt, setzt voraus, daß die Seinen inzwischen anders über ihn denken
als all die Zuhörer, die zwar eine hohe Meinung von ihm haben, jedoch im Grunde
nicht wissen, wer er ist: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Diese Frage ist
zeitlos und erreicht jeden Menschen in seiner Lebensspanne und in seiner
konkreten Situation. Petrus antwortete für sich selbst, aber auch für die Zwölf
und für jeden, der sich zu Christus bekennt: Du bist der Messias, der Sohn des
lebendigen Gottes!
II. Du
bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Es ist ein »Bekenntnis, das
erstmals in der Weltgeschichte, in der Heilsgeschichte die Einheit von
>Menschensohn< und >Gottessohn< vom glaubenden Menschen her erkannte und
aussprach. Ein ungeheures Ereignis der Menschheitsgeschichte! Der Fischer Simon
aus Galiläa ermißt zwar noch nicht die Tiefe und die Folgen seines
Bekenntnisses, doch er wirft seinen grenzenlosen Glauben weit über seinen
begrenzten Verstand hinaus.«4 Die Antwort des Herrn verdeutlicht, daß die Worte
des Petrus mehr sind als eine kluge menschliche Einsicht: Selig bist du, Simon
Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein
Vater im Himmel.
Auch
heute gibt es unterschiedliche Ansichten über Jesus, seine Person und seine
Sendung. Wir bekennen, daß er unser Herr und Gott ist, die »Mitte des Kosmos und
der Geschichte«5. »Gottes eingeborener Sohn, aus dem Vater geboren vor aller
Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott«6.
Um die
Person Jesu ist etwas Geheimnisvolles, vergleicht man sein Auftreten mit dem der
alttestamentlichen Propheten. Jesus spricht bezeichnenderweise niemals von
seiner Berufung durch Gott und berichtet von sich kein Berufungserlebnis, wie es
die alttestamentlichen Propheten taten, um ihre Bevollmächtigung zu erweisen.
Auch seine Einstellung zum Gesetz ist eigentümlich. Er legte es nicht nur aus,
sondern erklärt es in seinem Kommen und in seiner Person als erfüllt7, so daß er
nach Paulus des Gesetzes Ende8 ist. Er stellt die unerhörte Behauptung auf, er
sei selbst mehr als der Tempel in Jerusalem9, mehr als die Mitte des Kultes. Und
ebenso mehr als das Gesetz: Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat10. Ja, er
stellt sich auf dieselbe Ebene wie der Gott ihrer Väter, der zu den Propheten
sprach, damit sie sein Wort im Namen des Herrn an das Volk weitergeben. Jetzt
ist einer da, der im eigenen Namen spricht: Ihr habt gehört, daß zu den Alten
gesagt worden ist... Ich aber sage euch...11. Deine Sünden sind dir vergeben12,
sagt er zu dem Gelähmten. Und alle wissen: Wer kann Sünden vergeben außer dem
einen Gott?
Wieviele
Fingerzeige, wieviele Anspielungen, wieviele Signale. Aber: »Warum sagt er nicht
offen: >Ich bin es?< Warum geht er nicht mit, wenn sie ihn daraufhin ansprechen?
Weil er weiß, daß er keinen Raum finden würde. Wohl warten sie auf den Messias,
aber auf den eines irdischen Reiches. Das soll wohl ein religiöses Reich sein,
eine Theokratie; aber Verewigung des Alten Bundes, nicht Einbruch des Neuen,
Himmlischen. Jesus weiß, sobald er >Messias< sagt, wird er aus jenem Bilde
heraus verstanden und in ein Gespinnst des Truges gezogen. Darum schweigt er und
müht sich, erst die Herzen zur Umkehr zu bringen, damit sie für das Neue offen
werden.«13 Erst als der Hohepriester, die höchste Autorität seines Volkesihn
feierlich beschwört, die Wahrheit zu sagen - Bist du der Messias, der Sohn des
Hochgelobten? -, antwortet Jesus klar: Ich bin es. Und ihr werdet den
Menschensohn zur Rechten der Macht s= 13 Erst als der Hohepriester, die höchste
Autorität seines Volkes, ihn feierlich beschwört, die Wahrheit zu sagen - Bist
du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? -, antwortet Jesus klar: Ich bin es.
Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht itzen und mit den Wolken
des Himmels kommen sehen.14 Das Wort vom Menschensohn ist ein Widerhall der
messianischen Weissagung Daniels: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie
ein Menschensohn15. Jesus wird daraufhin als Gotteslästerer verurteilt.
III. Ich
und der Vater sind eins16, wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen17, und:
mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der
Vater, und kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren
will.18 Worte des Herrn über seine Gottessohnschaft, die uns in die Mitte des
Glaubens führen! Diese Mitte ist Christus selbst. Der christliche Glaube ist
keine abstrakte Idee, sondern die innigste Beziehung zu einer Person, zum
menschgewordenen Gottessohn. Er ist der Grund: Einen anderen Grund kann niemand
legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus19. »Es gibt (im Christlichen)
keine Lehre, kein Grundgefüge sittlicher Werte, keine religiöse Haltung und
Lebensordnung, die von der Person Christi abgelöst und von denen dann gesagt
werden könnte, sie seien das Christliche. Das Christliche ist er selbst; das,
was durch ihn zum Menschen gelangt, und das Verhältnis, das der Mensch durch ihn
zu Gott haben kann. Ein Lehrgehalt ist christlich, sofern er aus seinem Munde
kommt. Das Dasein ist christlich, sofern seine Bewegung durch ihn bestimmt ist.
In allem, was christlich sein will, muß er mitgegeben sein«20.
Der
Glaube an Christus, wie ihn Petrus bei Cäsarea Philippi bekannt hat, wurde nach
Ostern und Pfingsten zur gläubigen Gewißheit aller in der Nachfolge: der
irdische Jesus, der Gekreuzigte und der Auferstandene, war und ist der einzige
Sohn Gottes. In der frühen Kirche begann das Ringen um eine angemessene
Formulierung dieses Glaubensgeheimnisses. Das Apostolische Glaubensbekenntnis,
das das alte Taufbekenntnis der Kirche von Rom ist, lautet: Ich glaube an Gott,
den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus
Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen
Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am
dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, sitzet zur
Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Aus den beiden ersten Ökumenischen
Konzilien ging das sogenannte Nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis
hervor: Jesus Christus ist Gottes eingeborener Sohn, aus dem Vater geboren vor
aller Zeit, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch ihn
wurde alles geschaffen21. Spätere Glaubensbekenntnisse werden - auf dem
Hintergrund aufkommender Häresien - ausführlicher, so im sogenannten
Athanasianischen Glaubensbekenntnis aus dem 6. Jahrhundert. Wir bekennen, »daß
unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, Gott und Mensch ist. Gott ist er aus
der Wesenheit des Vaters von Ewigkeit gezeugt, und Mensch ist er aus der
Wesenheit der Mutter in der Zeit geboren. Vollkommener Gott, vollkommener
Mensch, bestehend aus einer vernunftbegabten Seele und einem menschlichen Leibe.
Dem Vater gleich der Gottheit nach, geringer als der Vater der Menschheit
nach.«22
Diese
dogmatischen Formulierungen sind wie die Hülle des Glaubens, Orientierungen im
persönlichen Umgang mit jenem, der damals Mensch wurde und heute lebt und für
immer bleibt: »Iesus Christus heri et hodie; ipse et in saecula (Hebr 13,8). Er
bleibt derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Wie gerne denke ich daran!
Derselbe Jesus Christus, der gestern für die Apostel und für alle, die ihn
aufsuchten, Zeit hatte, lebt heute für uns und wird in Ewigkeit leben. Wir
Menschen mit unseren ermüdeten und trüben Augen vermögen manchmal sein Antlitz
nicht zu entdecken, auch wenn es immer gleich zeitlos gegenwärtig ist.«23
Irdische Gesinnung, Lauheit oder verborgener Stolz können die Frömmigkeit
erkalten lassen. Dann verblaßt die Gestalt Jesu, der Erlöser und Befreier wird
zu Last und Enge.
Schließen
wir unsere Zeit des Gebetes, indem wir uns einen weiteren Zug der Gestalt Jesu
vergegenwärtigen: die so selbstverständliche Art, in Vollmacht Menschen auf sich
zu verpflichten, sie zur Umkehr zu rufen und von ihnen eine Lebensentscheidung
zu verlangen: Folge mir nach!24 Maria möge uns von ihrem Sohn Treue in der
Nachfolge erwirken und eine so feste Freundschaft mit ihm, daß glaubenserfüllt
Verstand, Wille und Herz zusammengehen.
1 Mt
16,13-23. - 2 P. Berglar, Petrus - Vom Fischer zum Stellvertreter, München 1991,
S. 19. - 3 L. Scheffczyk, Wer ist Christus? in: Plädoyer für die Kirche, Aachen
1991, S. 50. - 4 P. Berglar, a.a.O., S. 20. - 5 Johannes Paul II., Enz.
Redemptor Hominis, 1. - 6 Römisches Meßbuch, Credo. - 7 vgl. Mt 5,17. - 8 vgl.
Röm 10,4. - 9 vgl. Mt 12,6. - 10 vgl. Mk 2,28. - 11 vgl. Mt 5,21-48. - 12 Mt
9,2. - 13 R. Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S. 257. - 14 Mk 14,61-61. - 15
Dan 7,13. - 16 Joh 10,30. - 17 Joh 14,9. - 18 Mt 11,27. - 19 1 Kor 3,11. - 20 R.
Guardini, Das Wesen des Christentums. Zitiert nach Scheffczyk, a.a.O. - 21
Römisches Meßbuch, Credo. - 22 Athanasianisches Glaubenbekenntnis. - 23 J.
Escrivá, Freunde Gottes, 127. - 24 Mt 4,19; 9,9; 19,21.