JAHRESKREIS
2. WOCHE - MONTAG
10
Der alte
und der neue bund
Verheißung und Erfüllung.
Die Kirche als Mysterium.
Die heilige Kirche der
Sünder.
I. Mit dem Beginn des Neuen endet der
Alte Bund. Alt, nicht als wäre er für uns nicht mehr von Belang; er war nach
Gottes Heilsplan darauf ausgerichtet, das Kommen Christi und das Kommen des
messianischen Reiches vorzubereiten, und ist als erfüllte Wirklichkeit und als
Bekräftigung der Treue Gottes weiter präsent. Als Jesus mit seinem Blut - dem
Blut des Bundes1
- den Alten Bund aufhob, wurde das Vergangene für die Christen nicht inexistent:
Abraham ist der Vater aller Glaubenden2,
die Alten
sind eine Wolke
von Zeugen3,
die uns auch heute umgibt. In der Liturgie und im persönlichen Gebet benutzen
wir oft Worte, die ihre Gebetsworte waren - auch das
Magnificat Marias
speist sich aus alttestamentlichen Gebeten. Und Jesus selbst betet oft mit
Psalmworten bis hin zu jenem Augenblick, da er sein Leben aushaucht.4
Wie nahe stehen wir den Betern des Alten Bundes, wenn wir Psalmen beten, die
schon Jesus und Maria gebetet haben!
Die Evangelisten betonen oft die
Erfüllung der alten Verheißung in Christus. Der Herr sagt es einige Male
deutlich: Heute
hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.5
Der heilige Augustinus schreibt in seiner rhetorisch geschliffenen Art: »Das
Neue Testament ist im Alten verhüllt, das Alte wird im Neuen enthüllt.«6
Die Kirche lehrt: »Das Alte Testament ist ein unaufgebbarer Teil der Heiligen
Schrift. Seine Bücher sind von Gott inspiriert und behalten einen dauernden
Wert, denn der Alte Bund ist nie widerrufen worden.«7
Die Schriften des Neuen Testaments
»bieten uns die endgültige Wahrheit der göttlichen Offenbarung. Ihr zentrales
Thema ist Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, seine Taten, seine
Lehre, sein Leiden und seine Verherrlichung sowie die Anfänge seiner Kirche
unter dem Walten des Heiligen Geistes.«8 In ihnen kommt das Wort
Gottes »zu einzigartiger Darstellung und Kraftentfaltung«9 Wenn Jesus
sich als Sohn Gottes weiß und bekennt und dennoch mit uns zu Gott Vater sagt,
zeigt er uns den Gott Israels, den Vater der Völker, Schöpfer aller Dinge und
Herrn der Welt, in einem neuen Licht: »Einerseits nennt dieser Mensch Gott
seinen Vater, spricht zu ihm als einem Du, das ihm gegenübersteht; (...)
andererseits aber ist er selbst die wirkliche, uns begegnende Nähe Gottes; die
Vermittlung Gottes an uns und dies gerade dadurch, daß er selbst Gott als
Mensch, in Menschengestalt und -wesen: der Gott-mit-uns (Emmanuel) ist.«9
Wenn er dann den Heiligen Geist verkündet und den Menschen den Zugang zur
Allerheiligsten Dreifaltigkeit öffnet, ist die unüberbietbare Tiefe des
unzugänglichen Geheimnisses erreicht. Ein Kirchenvater verweist auf die
liebevolle göttliche Pädagogik auf diesem Weg einer fortschreitenden
Offenbarung: »Das Alte Testament verkündete den Vater offen, den Sohn mehr
dunkel. Das Neue offenbarte den Sohn und ließ die Gottheit des Geistes erahnen.
Jetzt wohnt der Geist unter uns und gewährt uns eine klarere Sicht von sich
selbst. (...) Durch Fortschritte und Vordringen >von Herrlichkeit zu
Herrlichkeit< wird das Licht der Dreifaltigkeit den schon mehr Erleuchteten
aufstrahlen.«10
II. Wenn das Mysterium Gottes sich im
Neuen Bund durch die Offenbarung der Dreifaltigkeit entfaltet, wird es noch
unduchdringlicher als im Alten, gleichzeitig aber auch zugänglicher; denn jener,
der uns Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart, ist der Sohn selbst,
Gott von Gott,
Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines
Wesens mit dem Vater13.
Aber er ist auch jener, von dem wir ebenso bekennen:
Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von
der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er ist also einer von
uns.
das Bild des unsichtbaren Gottes14,
macht uns nicht nur die Abgründe des Göttlichen zugänglicher, sondern auch das
Geheimnis des Menschen; dabei befreit er uns von der Gefahr, den Menschen nur
horizontal zu sehen. Er öffnet den Blick für ein Menschenbild, das man außerhalb
des Glaubens allenfalls ahnen, aber nicht begründen kann.
Alles, was der Herr tut und sagt, ist
neu. Will man sein Tun nach irdischen Maßstäben beurteilen, bleibt es oft
unverständlich, ist sogar anstößig: die Menschwerdung in Armut und Stille, die
Wahl der Zwölf ohne Rücksicht auf erfolgversprechende Eigenschaften, und vor
allem sein Tod am Kreuz.
Dies gilt auch für die Kirche, die er
stiftet. Sie ist das neue Kleid und das neue Gefäß für den neuen Wein einer
Offenbarung, die mit Jesus ihre Fülle erreicht. Man kann die Kirche als vornehme
Mahnerin der Menschlichkeit, als notwendige Garantin einer Ethik, als sinnvolle
Institution zum Wohlergehen der Menschen sehen - alles alte Kleider, alte
Gefäße. Sie sagt von sich selbst viel mehr, sie versteht sich als »das im
Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi, das durch die Kraft Gottes sichtbar
in der Welt wächst.«11
Die Kirche ist Mysterium, Geheimnis.
Sie war »schon seit dem Anfang der Welt vorausbedeutet; in der Geschichte des
Volkes Israel und im Alten Bund (...) auf wunderbare Weise vorbereitet, in den
letzten Zeiten gestiftet, durch die Ausgießung des Heiligen Geistes offenbart«12
und wurde zur rechten Zeit sichtbar: »Als das Werk vollendet war, das der Vater
dem Sohn auf Erden aufgetragen hatte (vgl.
Joh 17,4), wurde am
Pfingsttag der Heilige Geist gesandt, auf daß er die Kirche immerfort heilige
und die Gläubigen so durch Christus in einem Geist Zugang hätten zum Vater (vgl.
Eph
2,18).«13
Die große Schwierigkeit unserer Zeit
gegenüber der Kirche ist die Neigung, ihr Geheimnis zu ignorieren und so für
ihre einzigartige Sendung blind zu werden, nämlich: »den Blick des Menschen, das
Bewußtsein und die Erfahrung der ganzen Menschheit auf das Geheimnis Christi zu
lenken und auszurichten, allen Menschen zu helfen, mit dem tiefen Geheimnis der
Erlösung, die sich in Jesus Christus ereignet, vertraut zu werden.«14
Es ist wahr, daß die Kirche zu jeder Zeit einen entscheidenden Beitrag zum
Aufbau der Kultur und zur Humanisierung der Welt, von der Antike bis in unsere
Zeit, geleistet hat. Doch diese Früchte sind nur die Konsequenz der eigentlichen
Früchte, die sie in ihren Gliedern hervorbringt: ein Leben in Heiligkeit. Durch
die Kirche will sich Gott
ein reines Volk schaffen, das ihm als
sein besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun19.
III. Als »Mutter und Lehrmeisterin der
Völker« ist die Kirche »von Christus Jesus dazu eingesetzt, alle, die sich im
Lauf der Geschichte ihrer herzlichen Liebe anvertrauen, zur Fülle höheren Lebens
und zum Heile zu führen. Dieser Kirche, der >Säule und Grundfeste der Wahrheit<
(1 Tim
3,15), hat ihr heiliger Gründer einen doppelten Auftrag gegeben: Sie soll ihm
Kinder schenken, sie soll sie lehren und leiten. Dabei soll sie sich in
mütterlicher Fürsorge der einzelnen und der Völker annehmen in ihrem Leben.«20
Die Kirche ist heilig, weil sie durch
Christus, ihr Haupt, geheiligt wird. Sie heiligt uns durch die Gnadenmittel, die
Christus ihr anvertraut hat, und bringt Früchte in ihren Gliedern. Im
Urchristentum war dieses Bewußtsein äußerst lebendig. Ein früher Autor hebt
hervor, wie die heiligende Kraft, die aus der Kirche strömt, in den einzelnen
Christen wirkt, so daß sie - ohne aufzuhören, in allen staatsbürgerlichen
Aufgaben Bürger unter Bürgern zu sein - innerlich verwandelt werden: Die
Christen - schreibt er - »sind im Fleische, leben aber nicht nach dem Fleische.
Sie weilen auf Erden, aber ihr Wandel ist im Himmel. Sie gehorchen den
bestehenden Gesetzen und überbieten in ihrem Lebenswandel die Gesetze. Sie
lieben alle und werden von allen verfolgt. Man kennt sie nicht und verurteilt
sie doch, man tötet sie und bringt sie dadurch zum Leben. Sie sind arm und
machen viele reich; sie leiden Mangel an allem und haben doch auch wieder an
allem Überfluß. Sie werden mißachtet und in der Mißachtung verherrlicht; sie
werden geschmäht und doch als gerecht befunden. Sie werden gekränkt und segnen,
werden verspottet und erweisen Ehre. Sie tun Gutes und werden wie Übeltäter
gestraft; mit dem Tode bestraft, freuen sie sich, als würden sie zum Leben
erweckt.«21
Schon in der Frühzeit des Christentums
gab es Gläubige, die sich anstößig verhielten. Das Neue Testament selbst spricht
davon.22
Aber ihre persönliche Armseligkeit vermag nicht die strahlende Heiligkeit der
Kirche zu verdunkeln. Denn der letzte Grund für die Heiligkeit der Kirche ist
Christus, der
seine Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch
das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich
erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein
und makellos.23
Wieviele unsichtbare Früchte der Heiligkeit bringt auch heute die Kirche in
ihren Gläubigen hervor: in der Mutter, die still ihre Aufgaben erfüllt, im
Arbeiter, der auf Gott hin seine vielleicht glanzlose Arbeit verrichtet, im
Studenten, der unter seinen Kommilitonen apostolisches Zeugnis gibt und, wenn
nötig, auch gegen den Strom schwimmt, im Kranken, der sein Leiden Gott
aufopfert...
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß die Kirche nicht nur
aus jenen besteht, die noch unterwegs sind, sondern auch aus denen, die bereits
im Himmel sind, und ebenso aus jenen, die in sicherer Erwartung der Freude des
Himmels noch eine Läuterung durchmachen. In der Kraft der Gemeinschaft der
Heiligen helfen sie uns, damit wir immer mehr Gründe für unsere Liebe zur Kirche
finden. Wir schulden ihr Liebe für die Gnadenmittel, die sie uns gibt, besonders
für die Sakramente, und da an erster Stelle für die Eucharistie, für das
Priestertum, für die Liturgie, für die Treue zum Glauben, den sie durch die
Jahrhunderte bewahrt hat.
»Der kann nicht Gott zum Vater haben,
der die Kirche nicht zur Mutter hat.«24 Die Kirche ist Mutter - und
wir sind ihre Töchter und Söhne. Wieviele Gebetsanliegen können wir mit der
Liebe zur Kirche konkret verbinden: für den Papst, für die Bischöfe, für die
Priester, für die Missionare, für die Laien, die Beruf und Gesellschaft = 24 Die
Kirche ist Mutter - und wir sind ihre Töchter und Söhne. Wieviele Gebetsanliegen
können wir mit der Liebe zur Kirche konkret verbinden: für den Papst, für die
Bischöfe, für die Priester, für die Missionare, für die Laien, die Beruf und
Gesellschaftals ihr apostolisches Feld betrachten, für die um des Glaubens
willen Diskriminierten, für die Gutwilligen, die an ihr leiden, für die
Böswilligen, die sie verfolgen...
Beten wir zu Maria,
Mater Ecclesiae,
zur Mutter der Kirche. Sie ist jene, »die für die Einheit der Gottesfamilie
betet und die allen >vorangeht< an der Spitze des langen Zuges von Zeugen für
den Glauben an den einen Herrn, der Sohn Gottes ist und durch den Heiligen Geist
in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen wurde.«25
Mt
26,28. -
2 vgl.
Röm
4,11. -
3
Hebr
11,2; 12,1. -
4 vgl.
Ps 22,2:
Mk 15,34;
Ps
31,6:
Lk 23,46. -
5
Lk
4,21. -
6 Augustinus,
Genesis-Kommentar, 2,73. -
7
Katechismus der Katholischen Kirche, 121. -
8
ebd., 124. -
9 II. Vat. Konz.,
Konst.
Dei Verbum, 17. -
10
J. Ratzinger,
Einführung in das Christentum,
München 1968, S.126. -
11 Gregor von Nazianz,
Theologische Reden, 5,26. -
12
Mk
2,18-22. -
13
Das
Große Glaubensbekenntnis. -
14
Kol
1,15. -
15 II. Vat. Konz.,
Konst.
Lumen gentium, 3. -
16
ebd., 2. -
17 ebd., 4. -
18
Johannes Paul II., Enz.
Redemptor hominis, 10.
- 19
Tit
2,14. -
20 Johannes XXIII.,
Enz.
Mater et Magistra, 1. -
21
Brief
an Diognet, 5. -
22 vgl.
2 Kor
10-13;
2 Joh 7-11. -
23
Eph
5,25-27. -
24 Cyprian,
Über
die Einheit der katholischen Kirche, 6. -
25
Johannes Paul II., Enz.
Redemptoris Mater, 30.