JAHRESKREIS
6. WOCHE - FREITAG
50
der weg
der DEMUT
Auf Demut bauen.
Der Götze Ich.
Demut und
Dienstbereitschaft lernen.
1
hören wir vom Turmbau zu Babel. Gedacht als Symbol der Einheit des
Menschengeschlechtes, scheiterte das Werk; und die Menschen fanden sich »am Ende
zerstreuter vor als am Anfang, verwirrt in der Sprache, untereinander gespalten,
unfähig zu Übereinstimmung und Gemeinsamkeit.«2 Warum mühten sich die
Erbauer vergebens? »Weil die Menschen zum Zeichen und zur Garantie der ersehnten
Einheit nur ein Werk ihrer eigenen Hände gemacht und das Wirken Gottes vergessen
hatten. Sie hatten allein auf die horizontale Dimension der Arbeit und des
gesellschaftlichen Lebens gesetzt, ohne jene vertikale Dimension zu beachten,
durch die sie in Gott, ihrem Schöpfer und Herrn, ihre Verwurzelung gefunden und
sich auf ihn als das letzte Ziel ihres Weges ausgerichtet hätten.«3
stark und mächtig zu sein ohne Gott,
wenn nicht sogar gegen Gott. (...) In der Geschichte von Babel erscheint der
Ausschluß Gottes nicht so sehr als bewußter Gegensatz zu ihm, sondern als
Vergessenheit und Gleichgültigkeit ihm gegenüber, als ob man sich bei dem
geplanten gemeinschaftlichen Handeln des Menschen um Gott nicht zu kümmern
brauche.«4
Gott ist Ursprung und Ziel unseres
Lebens; deshalb kann ein Leben, das diese Wirklichkeit ignoriert, nicht
gelingen. Andererseits ist diese Tendenz in unserer von der Erbsünde verwundeten
Natur allgegenwärtig. Es ist die verhängnisvolle Einflüsterung des Anfangs:
ihr werdet wie
Gott5.
Dieser überhebliche Stolz kann in eine »bis zur Verachtung Gottes gesteigerte
Selbstliebe.« führen.6
Wer sich nur
auf seine eigenen Kräfte verläßt, wird unfähig, um Hilfe zu bitten, zu danken.
Er steht allein da, schwach, auch wenn er sich für stark und zu großen Werken
fähig hält. Und da es ihm schwerfällt, um Rat zu fragen, überschätzt er sich
leicht und begibt sich in Situationen, die das Heil seiner Seele in Gefahr
bringen.
Der Hochmut ist nicht nur der schlimmste Feind der Heiligkeit,
sondern auch der ärgste Feind des menschlichen Zusammenlebens. Er ist wie ein um
sich greifendes Übel, das alles vergiftet: den häuslichen Frieden,
Freundschaften, die Stimmung am Arbeitsplatz. Da der Hochmütige meint, besser
als die anderen zu sein, drängt es ihn nach stetiger Anerkennung, und er
reagiert unverhältnismäßig empfindlich oder scharf auf jede Kleinigkeit, denn
überall wittert er einen Angriff auf sich. Im Gespräch belehrend oder
hochfahrend, spart er nicht mit spöttischen Bemerkungen, um auf Kosten anderer
zu glänzen.
Gott
tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade,
heißt es im Jakobusbrief. Bitten wir den Herrn, er möge uns immer wieder
aufrütteln, damit wir den subtilen Einflüsterungen des Hochmuts widerstehen. »Um
Christus nachzufolgen, um ihm wirklich nahe zu sein, müssen wir in Demut unser
Ich niedertreten, wie man die Weintrauben in der Kelter zertritt.
Wenn wir so unser Elend - denn Elend
sind wir - zerstampfen, dann hält der Herr Einzug in unsere Seele und macht sie
zu seinem Zuhause. Wie in Betanien spricht er mit uns und wir mit dem Herrn,
voll Vertrauen, als Freunde.«8
II. »Das Verlangen nach Gott ist dem
Menschen ins Herz geschrieben, denn der Mensch ist von Gott und für Gott
geschaffen.«9 Dennoch ist in ihm auch ein anderes Gesetz, das ihn
gefangenhält im Gesetz der Sünde«10: der Stolz, der Hochmut, der
widergöttliche Trotz. Statt »in Ehrfurcht und absoluter Unterwerfung die
>Nichtigkeit des Geschöpfs< anzuerkennen, welches einzig Gott sein Dasein
verdankt«11, betet der Mensch sich selbst an, nur noch dem Motto
verpflichtet: »Genieße den Tag« gefangen im steten Wechsel von Begierde und
Stimmung: »Welches ist wohl das Wort, das die Menschen heute am meisten über
ihre Lippen führen? Welches Wort bestimmt am stärksten das Denken und Tun des
Menschen? Es ist das kleine Wörtchen:
Ich! Was habe
ich
davon? Was nützt
mir das? Was geht das
mich
an? So fragen wir. Die Ichbezogenheit des Menschen beherrscht das private und
öffentliche Leben. Ist nicht >Selbstverwirklichung< ein besonders oft
wiederkehrendes und sehr beliebtes Wort unserer Tage? Ich möchte vor allem
zu mir
kommen, mich
selbst entfalten.«13
Dann gibt es kaum noch Platz für eine
dankbare oder hochherzige Geste, für das »Sich-Ausstrecken des Geistes auf
Großes«14 An die Stelle selbstlosen Sich-Schenkens tritt die
Berechnung, Geben gerät unter das Kalkül des Vorteils. jemand hat diese Haltung
so karikiert: »= 13. An die Stelle selbstlosen Sich-Schenkens tritt die
Berechnung, Geben gerät unter das Kalkül des Vorteils. Jemand hat diese Haltung
so karikiert: Wenn man dir gibt, nimm; wenn man dir nimmt, schrei.«
In der Heiligen Schrift heißt es:
Gott stürzt den
Thron der Stolzen und setzt an ihre Stelle die Demütigen14.
Der Hochmut steht nicht nur an der Wurzel jeder Bosheit, sondern ist die letzte
Ursache jeder Sünde. Das Vergöttern des eigenen Ich führt leicht zur
Menschenverachtung.
»Der Hochmut ist die schlimmste Sünde,
und die lächerlichste dazu. Wer sich von seinem raffinierten Blendwerk verhexen
läßt, gerät mehr und mehr in eine Scheinwelt, wird innerlich leer und
aufgeblasen wie der Frosch in der Fabel, der immer mehr Luft in sich
hineinpumpt, bis er schließlich platzt. Auch in rein menschlicher Hinsicht ist
der Hochmut abstoßend, denn wer sich über alles und über jeden erhaben dünkt,
schaut ständig auf sich selbst und mißachtet die anderen.«15 Mit der
Gnade Gottes ist es möglich, gegen diese Neigungen anzugehen, immer nur sich
selbst zu suchen oder in den anderen nur sich selbst zu spiegeln. Solche
Wachsamkeit bedeutet, Phantasien beiseite zu lassen, in denen alles um uns
kreist, geringschätzige Bemerkungen über andere zu unterlassen, nicht immer das
letzte Wort haben zu wollen und fähig zu werden, über uns selbst lachen zu
können.
Wie anziehend
ist die Demut. Auch wenn nicht die Haupttugend, ist sie doch der Schlüssel, der
uns alle Gnadenschätze öffnet. Auf ihrem Boden wachsen viele Früchte: Freude,
Starkmut, Keuschheit, Einfachheit, Liebenswürdigkeit, Dienstbereitschaft. Wer -
bei all seinen Fehlern - um Demut kämpft, wird besonders freundschaftsfähig, das
Apostolat fällt ihm leicht.
»Wenn wir bis auf den Grund unseres
Herzens hinuntertauchen, dann entdecken wir am Ende dort nicht die Demut,
sondern den Stolz. Doch gerade diese Entdeckung, daß wir an unserer Wurzel stolz
sind, und zwar aus eigener Schuld, nicht durch die Schuld Gottes, denn wir sind
durch den Mißbrauch unserer Freiheit so geworden, gerade diese Entdeckung
bedeutet Demut, denn es ist die Wahrheit. Das durch das Wort Gottes erkannt oder
auch nur von ferne geahnt zu haben ist eine große Gnade. Es gibt uns einen
großen inneren Frieden. Es geht uns wie einem, der in Kriegszeiten entdeckt hat,
daß er unter seinem eigenen Haus, ohne daß er nach draußen gehen müßte, eine
absolut sichere Zuflucht gegen den Bombenhagel besitzt.«16
III. Um in der Demut zu wachsen, ist
es zuerst nötig, die eigenen Erbärmlichkeiten zu akzeptieren. Sie zeigen uns,
daß es uns nicht gelingt, so zu sein, wie wir - aufrichtig, aber eben schwach
und armselig - gern sein möchten. Dies könnte zum Ärger über sich selbst führen
- Ärger darüber, daß man doch nicht so vollkommen ist. Hier gilt die goldene
Regel, sich von den eigenen Erbärmlichkeiten nicht unterkriegen zu lassen,
sondern sie in Reue zu verwandeln und sich zu fragen: »Habe ich dem Herrn den
Schmerz über die Beleidigungen, die ich ihm - so oft! - zufügte, als Sühne
aufgeopfert? Habe ich ihm auch meine innere Beschämung aufgeopfert, die ich
demütig und meines schmählichen Vergehens bewußt, darüber empfinde, daß ich auf
dem Weg des wirklichen Christseins nur so unendlich langsam vorankomme?«17
Ein weiterer Weg zur Demut ist das geduldige Tragen der
Demütigungen, die man uns - bewußt oder unbewußt - zufügt. Manche würden wir
nicht einmal als Demütigung empfinden, wenn wir von den eigenen Vorzügen nicht
so eingenommen wären.
Auch der Mut, uns zu berichtigen, wo
wir uns - vielleicht aus mangelnder Information oder Überlegung - geirrt haben,
gehört zur Demut. Auch die tief empfundene Bereitschaft zum Dienen festigt sie:
Ich habe euch
ein Beispiel gegeben, sagt der Herr, nachdem er seinen Jüngern die
Füße gewaschen hat,
damit auch ihr so handelt, wie ich an
euch gehandelt habe18.
Der Herr gibt uns eine hieb- und
stichfeste Regel an die Hand, um in der Dienstbereitschaft zu wachsen:
Alles, was ihr
also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!19
Die eigene Erfahrung ist - wie so oft - ein guter Ratgeber. Übertragen wir sie
auf Tun und Lassen gegenüber unseren Nächsten. Wie dankbar sind wir für ein
ermunterndes Wort nach einer Enttäuschung, für eine verständnisvolle Bemerkung
nach viel Mühe und wenig Erfolg. Wir wünschen uns ein aufmerksames Wort für ein
gelungenes Werk, Beiläufigkeit gegenüber einer Schwäche, die wir ohnehin schon
kennen. Wir freuen uns, wenn zu Hause oder am Arbeitsplatz ein freundlicher
Umgangston herrscht oder wenn man uns fordert, ohne uns unter Druck zu setzen.
Wir sind dankbar, wenn wir erfahren, daß jemand uns vor unberechtigter Kritik in
Schutz genommen hat; wenn wir uns nicht gut fühlen und jemand es verständnisvoll
akzeptiert; wenn jemand uns wegen eines falschen Verhaltens zurechtweist, ohne
uns bloßzustellen.
Selbstsucht macht blind und unfähig,
die Welt mit den Augen der anderen zu sehen; Demut dagegen macht bereit für die
Nächstenliebe. Hellsichtige Demut und unauffällige Dienstbereitschaft sind
Äußerungen einer Liebe, die - so wie steter Tropfen den Stein höhlt - Dünkel und
Gleichgültigkeit zu durchbrechen vermag. »Liebe bringt Liebe hervor« sagte
Theresia von Avila20. Und Johannes vom Kreuz gibt den Rat: »Säe Liebe, wo es
keine Liebe gibt, und du wirst Liebe ernten.«21
Lernen wir von Maria: »>Quia respexit
humilitatem ancillae suae< - denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er
herabgeschaut.
Jeden Tag bin ich tiefer davon
überzeugt, daß die echte Demut die übernatürliche Grundlage aller Tugenden ist!
Sprich darüber mit Unserer Lieben Frau, damit sie uns beisteht, diesen Weg zu
gehen.«22
Gen
11,1-9. -
2 Johannes Paul II.,
Apost. Schreiben
Reconciliatio et paenitentia,
2.12.1984, 13. -
3 ebd. -
4
ebd., 14. -
5
Gen
3,5. -
6 Augustinus,
Gottesstaat, 14,28. -
7
Jak
4,6. -
8 J. Escrivá,
Der
Kreuzweg, VII,5. -
9
Katechismus der Katholischen Kirche, 27. -
10
Röm
7,23. -
11
Katechismus der Katholischen Kirche, 2097. -
12
Johannes Paul II.,
Ansprache in Kevelaer,
2.5.1987. -
13 Thomas von Aquin,
Summa
theologica, II-II, q.129, a.1. -
14
Sir
10,14. -
15 J. Escrivá,
Freunde Gottes, 100. -
16 R. Cantalamessa,
Das
Leben in Christus, Graz 1990, S.249. -
17
J. Escrivá,
Im Feuer der Schmiede,
Nr.153. -
18
Joh
13,15. -
19
Mt
7,12. -
20 Theresia von Avila,
Leben,
22,14. -
21 Johannes vom Kreuz,
Brief
an Maria von der Menschwerdung. -
22 J. Escrivá,
Die
Spur des Sämanns, Nr.289.