JAHRESKREIS
16. WOCHE - FREITAG
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zucht und
mass
Die Würde
des Leibes.
Eine Tugend, die innere Geordnetheit schafft.
Ein weites Feld der Askese.
I. Gott
sah, daß es gut war1. Immer wieder zieht der vom Heiligen Geist inspirierte
Verfasser im biblischen Bericht von der Erschaffung der Welt dieses Fazit, als
möchte er dadurch auch das Staunen und den Dank des Geschöpfes bekräftigen:
Nacht und Tag, Sonne und Mond und Sterne, Pflanzen und Tiere... Alles ist gut.
Und nachdem Gott den Menschen erschaffen und ihm alle Geschöpfe übergeben hat,
heißt es: Es war sehr gut2.
Der
Glaube betont, daß die gesamte Schöpfung gut ist, besonders aber der Mensch, wie
Gott ihn erschaffen hatte. »In Leib und Seele einer, vereint der Mensch durch
seine leibliche Verfaßtheit die Elemente der stofflichen Welt in sich, so daß
sie durch ihn ihren Höhepunkt erreichen und ihre Stimme zum freien Lob des
Schöpfers erheben. Das leibliche Leben darf also der Mensch nicht geringachten;
er muß im Gegenteil seinen Leib, als von Gott geschaffen und zur Auferweckung am
Jüngsten Tag bestimmt, für gut und der Ehre würdig halten.«3 Der ganze Mensch
ist - mit Leib und Seele - berufen, am ewigen Leben teilzuhaben. Die Kirche hat
eine Abwertung des Leibes, als wäre er der Kerker von Seele und Geist, stets
zurückgewiesen. Die Hochschätzung des Leibes gipfelt im Wort des heiligen
Paulus= 3 Der ganze Mensch ist - mit Leib und Seele - berufen, am ewigen Leben
teilzuhaben. Die Kirche hat eine Abwertung des Leibes, als wäre er der Kerker
von Seele und Geist, stets zurückgewiesen. Die Hochschätzung des Leibes gipfelt
im Wort des heiligen Paulu: Wißt ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des
Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört
euch nicht selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden.
Verherrlicht also Gott in eurem Leib!4
In dem
Wißt ihr nicht? des Apostels schwingt die Sorge mit, dies könnte vergessen
werden. Denn die Kirche weiß nicht nur um die Würde des Menschen, sondern auch
um seine Gefährdungen. Er »erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, auch zum
Bösen geneigt und verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von seinem guten
Schöpfer herkommen können. Oft weigert er sich, Gott als seinen Ursprung
anzuerkennen; er durchbricht dadurch auch die geschuldete Ausrichtung auf sein
letztes Ziel, zugleich aber auch seine ganze Ordnung hinsichtlich seiner selbst
wie hinsichtlich der anderen Menschen und der ganzen Schöpfung. So ist der
Mensch in sich selbst zwiespältig. Deshalb stellt sich das ganze Leben der
Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf dar, und zwar als einen
dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis.«5
Auch der
Ungläubige weiß, daß er die Dingwelt überragt. Der Gläubige aber weiß präzise,
daß Gott ihm die Dinge als Mittel gegeben hat, um seine ewige Bestimmung zu
erlangen. Der Kampf gegen die Übermacht der Dingwelt ist ein Kampf um die innere
menschliche Freiheit; Vernunft und Glaube sagen dem Menschen, daß er den
irdischen Gütern nicht verfallen darf. Und gerade der praktische Materialismus
heute ist da eine ständige Gefahr.
Wenn das
Mittel zum Ziel und das Geschenk zum Besitz wird, kommt es leicht dahin, sich
von der gottgewollten Ordnung loszusagen. Es ist auch einer der Gründe für ein
mangelndes Gespür gegenüber der Natur und ihrem nicht reproduzierbaren Reichtum.
Man verliert das Empfinden für eine Art und Weise zu herrschen, die zugleich
Hegen sein soll, nicht Willkür, sondern Respekt vor der Größe, Schönheit und
Würde der Schöpfung. Vor diesem Hintergrund wollen wir betend betrachten, was
wir tun können.
II. Die
Tugend, die inmitten dieser Gefährdungen Ordnung schafft, heißt temperantia:
»sie ist Kardinaltugend, eine der vier Angeln, in denen das Tor zum Leben
schwingt«6. »Mäßigkeit« oder »Mäßigung« wie es auf deutsch heißt, gibt nur einen
Teil der Bedeutung wieder: »Der Sinn von >Mäßigkeit< ist elend
zusammengeschrumpft auf die sehr derbe Bedeutung der >Mäßigkeit im Essen und
Trinken<« und der Begriff »Mäßigung« ist »zu sehr eingeengt auf die Beziehung
zum Zorn« und »wohnt in einer fatalen Nachbarschaft mit der Angst vor jeglichem
Überschwang«7. Deshalb schlägt Josef Pieper vor, temperantia mit »Zucht und Maß«
zu übersetzen.
Was ist
diese temperantia? »Der nächste Sinn der Zucht sei die >Ruhe des Gemütes<, sagt
Thomas von Aquin. (...) Gemeint ist die den innersten Raum des Menschenwesens
erfüllende Ruhe, die das Siegel und die Frucht der Ordnung ist.
Der
Zielsinn der temperantia ist die innere Ordnung des Menschen, aus der allein
diese >Ruhe des Gemütes< erfließt. Zucht heißt: in sich selbst Ordnung
verwirklichen«8, sich manches versagen, manchen Sinneseindrücken keinen Einlaß
gewähren. Denn »es ist, als ob in jedem von uns ein >höheres Ich< und ein
>niederes Ich< vorhanden wäre. Unser >niederes Ich< bringt unseren Leib und
alles Leibliche zum Ausdruck: die Bedürfnisse, Wünsche, Leidenschaften, die vor
allem sinnlicher Natur sind. Die Tugend der Selbstbeherrschung sichert jedem
Menschen die Herrschaft seines >höheren Ichs< über sein >niederes Ich< zu. Ist
das etwa eine Demütigung oder Mißachtung unseres Leibes? Im Gegenteil, diese
Herrschaft wertet den Leib auf. Die Tugend der Selbstbeherrschung läßt unseren
Leib und unsere Sinne den rechten Platz finden, der ihnen in unserem Menschsein
zukommt.«9 Die Worte des heutigen Evangeliums10 lassen sich so verstehen: In die
Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort zwar hört, aber dann
ersticken es die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum, und es bringt
keine Frucht. Wer Wohlergehen, Gesundheit, Aussehen, Genuß oder Kleidung zum
alleinigen Maßstab seines Lebens erklärt, wird nach und nach gleichgültig
gegenüber Gott. Deshalb erinnert uns die Kirche beständig an die Notwendigkeit,
Zucht und Maß zu üben und gegenüber der Sucht nach totalem Wohlergehen wachsam
zu bleiben. Ihre Lehre gibt eine schlichte Antwort auf die Frage nach dem Sinn
des Lebens: verankert sein im Willen Gottes, um zum ewigen Leben zu gelangen.
Das Herz findet nur in Gott seine Erfüllung, nur Gott kann seinen Hunger
stillen. Wie fragwürdig, wie kurzsichtig, wie lächerlich, immer nur mehr Besitz
anzuhäufen und das Angesammelte zur Schau zu stellen.
Zucht und
Maß machen den Menschen menschlicher: denn diese Tugend »sichert die Herrschaft
des Willens über die Triebe und läßt die Begierden die Grenzen des Ehrbaren
nicht überschreiten«11. Weil diese Tugend das Edelste im Menschen - seine
Intelligenz und seinen Willen - von der Vorherrschaft blinder Kräfte und
niederer Triebe befreit, bedeutet sie nicht Unterdrückung, sondern innere
Ordnung und Harmonie. Wer sie zu leben versteht, »= 11. Weil diese Tugend das
Edelste im Menschen - seine Intelligenz und seinen Willen - von der
Vorherrschaft blinder Kräfte und niederer Triebe befreit, bedeutet sie nicht
Unterdrückung, sondern innere Ordnung und Harmonie. Wer sie zu leben versteht,
kann auf das verzichten, was seiner Seele schadet, und er weiß, daß er damit nur
scheinbar ein Opfer bringt; denn ein Leben im Opfergeist befreit ihn von vielen
Fesseln und läßt ihn im Innersten seines Herzens die ganze Liebe Gottes
auskosten.
Dann
gewinnt das Leben die Farben wieder, die die Unmäßigkeit verdunkelt hatte: sich
um andere kümmern, Eigenes teilen, Aufgeschlossenheit für das Große werden
wieder möglich.«12
III. »Der
Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz.«13 Zucht und
Maß helfen, den Umgang mit den irdischen Gütern zu relativieren und sich vor
zwang- oder rauschhaften Versuchungen in acht zu nehmen: Essen, Trinken oder
Rauchen, Einkaufen, Autofahren, Müßiggang. Und auch von einem zwanghaften
Arbeitswillen b= 13 Zucht und Maß helfen, den Umgang mit den irdischen Gütern zu
relativieren und sich vor zwang- oder rauschhaften Versuchungen in acht zu
nehmen: Essen, Trinken oder Rauchen, Einkaufen, Autofahren, Müßiggang. Und auch
von einem zwanghaften Arbeitswillen leibt man frei, der den Sinn der Arbeit
verkehrt und das familiäre und gesellschaftliche Leben ruinieren kann. Ganz
besonders Eltern sollen hier ihren Kindern Vorbild sein, damit diese »in
angemessener Freiheit gegenüber den materiellen Gütern, indem sie sich einen
einfachen und anspruchslosen Lebensstil aneignen«14, aufwachsen.
Zucht und
Maß schützen vor der falschen Spontaneität, sich einem materialistischen
Lebensstil einfach anzupassen, auf den das Wort des Apostels zutrifft: ihr Gott
ist der Bauch15. Innere Loslösung durchformt die Familie, den Beruf, die
Freizeit. Man lernt, mit dem Fernsehen umzugehen, seine Chancen zu nutzen, aber
gleichzeitig seine kostbare Zeit nicht der Flüchtigkeit der Medien oder der
Banalität des Dargebotenen preiszugeben.
Solche
asketischen Übungen sind nötig, denn »immer sind einzig wir selber die Täter von
Zucht und Unzucht, von Selbstbewahrung und Selbstzerstörung. Immer ist es die
Entscheidungsmitte der ganzen und unteilbaren Person, von der aus die innere
Ordnung gewahrt oder verkehrt wird.«16 Auch kleine Verfehlungen gegen Zucht und
Maß, wenn sie sich bei uns einnisten, können Dornen sein, die den guten Samen
ersticken und die Lauheit fördern. Sie kränken Gott, schwächen allmählich den
Willen und fördern den Überdruß, weil die christliche Lebensführung dann nur
noch als mühsam empfunden wird.
Essen und
Trinken sind gewiß nicht das einzige Feld von Zucht und Maß. Jedoch ist der
Geist des Opfers darin besonders wichtig, sich manchmal auch legitime, kleine
Genüsse zu verkneifen: »Gewöhnlich ißt du mehr als nötig. - Und die Sattheit,
die dir oftmals Schwere und Unwohlsein verursacht, macht dich unfähig, die
übernatürlichen Güter zu kosten, und behindert dein Denken. Was für eine gute
Tugend ist die Mäßigkeit, auch für dein natürliches Leben!«17
Zum
weiten Feld von Zucht und Maß gehört neben den Gaben des Leibes der Umgang mit
dem eigenen Herzen; die Neugier zu mäßigen, die Geschwätzigkeit zu zügeln, die
Phantasie im Zaume zu halten. All dies stärkt die Abwehrkräfte gegen eine
aggressive Umwelt, die nur mehr die materiellen Güter zu schätzen weiß, es macht
bereit, gutes Erdreich für die Anregungen des Heiligen Geistes zu sein und ein
gewinnendes apostolisches Zeugnis zu geben.
1 vgl.
Gen 1. - 2 Gen 1,31. - 3 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 14. - 4 1 Kor
6,19-20. - 5 II. Vat. Konz., a.a.O., 13. - 6 J. Pieper, Das Viergespann, München
1964, S. 202. - 7 vgl. ebd., S. 202-203. - 8 ebd., S. 206. - 9 Johannes Paul
II., Ansprache, 22.11.1978. - 10 Mt 13,18-23. - 11 Katechismus der Katholischen
Kirche, 1809. - 12 J. Escrivá, Freunde Gottes, 84. - 13 II. Vat. Konz., a.a.O.,
35. - 14 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris Consortio, 22.11.1981,
37. - 15 Phil 3,19. - 16 J. Pieper, a.a.O., S. 208. - 17 J.Escrivá, Der Weg, Nr.
682.