Jahreskreis
23. Woche - Samstag
45
Früchte
vom Baum des Lebens
Der wahre
Jünger Jesu.
Der Baum und die Früchte.
Vermittler der Früchte der Erlösung.
I. Bevor
wir im heutigen Evangelium den Abschluß der Bergpredigt betrachten, wollen wir
noch einmal auf die Evangelientexte der vergangenen Tage blicken. Am Anfang
stand eine im Gebet verbrachte Nacht Jesu. Ihr folgte die Berufung der Zwölf.
Sie »waren ausgewählt worden, um einmal die maßgebenden Führer zu sein, aber zur
Stunde waren sie es noch nicht. Ihnen sollte jedoch zuerst die Lehre vom Reiche
Gottes nahegebracht werden.«1 In den Seligpreisungen zeichnet Jesus eine Art
Portrait des wahren Jüngers. Wer sich ganz auf Jesus einläßt, bereit, ihm sein
Leben zu überlassen, soll wissen, daß der Herr ihn allmählich befähigen wird,
nicht mehr zu hassen, sondern zu lieben, nicht zu verfluchen, sondern zu segnen,
nicht zurückzuschlagen, sondern für den Feind zu beten. So soll die Haltung
der Söhne des
Höchsten sein, denn
auch er ist gütig gegen die
Undankbaren und Bösen.
Zu allen
Zeiten ist der Jünger Christi für die rätselhaft gewesen, die sich als Kinder
dieser Welt brüsten: er bleibt unverständlich für sie, wiewohl doch - auf eine
unerklärliche Weise - anziehend. Wir haben im Laufe dieser Meditationen immer
wieder das Selbstverständnis der ersten Christen betrachtet. Das zeitgenössische
Urteil: »Was im Leibe die Seele ist, das sind in der Welt die Christen«2, zeugt
nicht von eingeschüchterter Angstlichkeit.
Die
Seligpreisungen sind für einen Christen in der Welt weit mehr als nur eine Art
Programm. Sie sind auch nicht »ein umfassender Sittenspiegel, eine Art
neutestamentlicher Dekalog, sondern Darstellung des einen christlichen Paradoxes
in verschiedenen Weisen der Verwirklichung gemäß der Verschiedenheit
menschlicher Lebensschicksale; sie werden sich im allgemeinen nicht alle
zusammen gleichermaßen vereint in einer Person antreffen lassen. Andererseits
gehen von dieser allgemeinen Form wieder neue Konkretisierungen aus.«3
Wenn wir
andere durch unser Zeugnis erreichen wollen, müssen wir uns von Christus
ergreifen lassen. »Die innere Form alles Christlichen ist Jesus selbst. Wer so
zu einem Menschen sprechen will, daß es dorthin gelangt, wo die eigentlichen
Entscheidungen fallen, muß durch Christus kommen. Er muß sein Denken läutern
lassen, indem er es in die Gedanken Christi einfügt. Er muß sein Reden wahr
machen lassen, indem er es in sein Reden hineingibt. Dann denkt und redet er
richtig, und der Gedanke kommt an die Stelle, wohin er soll. Er muß seine
Absicht durch die Gesinnung Christi ausrichten, seinen Willen von Christi Liebe
durchwirken lassen.«4
Was wir
vor allem brauchen, ist eine innere Kraft, »Vorläufer zu sein, wenn es gilt,
Überzeugungen zu wecken und Lebensformen einzuführen, die entschieden mit einer
aufreibenden und freudlosen Konsumhektik brechen«5. Vom Dichter Paul Claudel ist
das Wort überliefert: »Rede nie, wenn du nicht gefragt bist, aber lebe so, daß
man dich fragt.«
Wie ein
Fanal haben die Worte Josemaría Escrivás gewirkt, mit denen er sein Buch »Der
Weg« eröffnete und die Herzen junger Menschen aufrüttelte: »Dein Leben darf kein
fruchtloses Leben sein. - Sei nützlich. - Hinterlasse eine Spur. - Leuchte mit
dem Licht deines Glaubens und deiner Liebe.
Tilge
durch dein Leben als Apostel den zähen Unrat, den die verseuchten Prediger des
Hasses verbreitet haben. - Entzünde alle Wege der Erde mit dem Feuer Christi,
das du im Herzen trägst.«6
Eine
solch unverhohlene Art der Nachfolge stößt gewiß auch auf Unverständnis. Ein
verkopfter Glaube und ein träges Herz mögen sich besonders schwertun mit den
Seligpreisungen, die gläubige Schlichtheit und eine freudige Hingabe verlangen.
»Ein Christentum, das nicht mehr brennt, würde auch nicht mehr leuchten, nicht
mehr Licht der Welt sein, es wäre nur noch fades, schal gewordenes Salz, nur
wert, zertreten zu werden.«7
II.
Es gibt keinen
guten Baum, der schlechte Früchte hervorbringt, noch einen schlechten Baum, der
gute Früchte hervorbringt. Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten...
Der Herr spricht sehr schlicht. Jeder kann es verstehen.
Mit dem
Bild vom Baum assoziieren wir das Dunkle unter- und das Helle oberhalb: Wurzel
und Krone, Erdreich und Licht. Uralte Menschheitsahnungen erfüllen sich im Baum
des Kreuzes. Die Kirchenväter sprechen vom Lebensbaum, die Kunst stellt das
aufblühende Kreuz dar, dessen Trauben und Ranken das Wort deuten:
Ich bin der
Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der
bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.8
»Das Holz des Weinstocks ist um so verächtlicher, wenn es nicht im Weinstock
bleibt, um so herrlicher, wenn es dort bleibt (...). Abgeschnitten nutzt es zu
nichts mehr, weder dem Bauern noch dem Zimmermann. Eines von beiden kommt der
Rebe zu, entweder der Weinstock oder das Feuer; wenn sie nicht im Weinstock ist,
wird sie im Feuer sein; damit sie also nicht im Feuer sei, möge sie im Weinstock
sein.«9
Dies also
ist der Weg, um gute Früchte zu bringen. Jeder erhält
als Zweig vom wilden Ölbaum in den
edlen Ölbaum eingepfropft Anteil an der Kraft seiner Wurzel (...). Nicht du
trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.10
»In ihm, dem Gottmenschen, steigt aus der Wurzel Gottes die neue Lebendigkeit
auf, an welcher teilhaben sollen, die an ihn glauben (Joh
11,26). Jenes Leben, was im eigentlichen Sinne >aus uns< kommt, ist ja zum Tode,
von Gott abgerissen, auf das Nichts zustürzend. Jenes hingegen, das aus Gottes
Ewigkeit kommt und in seine Ewigkeit steigt, ist das Leben Christi. An ihm wird
uns durch das Wort und durch das Brot Anteil gegeben.«11
Wir
rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil
geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit.
In mystischer Deutung sagt Johannes Tauler, das Kreuz des Herrn - und das Kreuz
im Leben eines jeden Christen - setze sich aus »vier Teilen zusammen: ein Teil
oben, einer unten, zwei nach beiden Seiten. Der obere Teil bedeutet die wahre
Liebe zu Gott, der linke Balken tiefe Demut. (...) Der rechte Kreuzesarm wahre
Lauterkeit (...), der Fußteil, an den die Füße geheftet sind, versinnbildet
wahren, vollkommenen Gehorsam. Er bedeutet wahre, willige Gelassenheit gegenüber
allem, womit du verbunden bist nach eigenem Willen. Die Teile des Kreuzes werden
in der Mitte zusammengefaßt durch das
fiat voluntas tua.«13
Fiat
voluntas tua, dein Wille geschehe...
»Welch große Fortschritte würden wir doch binnen kurzer Zeit in der Heiligkeit
machen, wenn wir die himmlischen Eingebungen voll und ganz aufnähmen! Doch eine
Quelle mag noch so stark sein, ihre Wasser fließen nur in dem Maße in einen
Garten, als die Wasserleitung sie fassen kann. Und obwohl der Heilige Geist, der
seine Gnade gleich einem Quell lebendigen Wassers in unsere Seele ergießen
möchte, uns von allen Seiten umgibt, so teilt er uns seine Gaben doch nur soweit
mit, als wir dafür empfänglich sind und sie freiwillig annehmen. Darum mahnt uns
der heilige Paulus, wir sollten
die Gnade Gottes nicht vergeblich
empfangen (2
Kor 6,1). In dem Maße, in dem unser Herz sich weitet und sich der
göttlichen Barmherzigkeit wie ein leeres Gefäß darbietet, werden uns ohne
Unterlaß Eingebungen zuteil, durch die wir in der Liebe wachsen.«14
III.
Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Bergpredigt und die Seligpreisungen.
Sie »reden von inneren Haltungen und existentiellen Grundeinstellungen und
decken sich daher nicht genau mit den Geboten. Andererseits besteht keine
Trennung oder Diskrepanz zwischen den Seligpreisungen und den Geboten: beide
beziehen sich auf das Gute, auf das ewige Leben. Die Bergpredigt beginnt mit der
Verkündigung der Seligpreisungen, enthält aber auch den Bezug auf die Gebote
(vgl. Mt
5,20-48). Gleichzeitig zeigt die Bergpredigt die Öffnung und Ausrichtung der
Gebote auf die Perspektive der Vollkommenheit, die zu den Seligpreisungen
gehört. Diese sind zunächst Verheißungen, aus denen indirekt auch normative
Anweisungen für das sittliche Leben hervorgehen. In ihrer ursprünglichen Tiefe
sind sie so etwas wie ein Selbstbildnis Christi und eben deshalb Einladungen zu
seiner Nachfolge und zur Lebensgemeinschaft mit ihm.«15 Aus ihnen erwächst die
Kraft, der zeitlichen Ordnung die Lebenskraft des Glaubens einzuflößen, da der
Glaube nichts wahrhaft Menschliches zerstört, sondern es läutert, stärkt und
erhöht. Dies zeigt uns besonders deutlich die Nächstenliebe: Sie »entspringt
einem Herzen, das liebt und das eben deshalb, weil es liebt, bereit ist, die
höchsten Forderungen zu leben. Jesus zeigt, daß die Gebote nicht als eine nicht
zu überschreitende Minimalgrenze verstanden werden dürfen, sondern vielmehr als
eine Straße, die offen ist für einen sittlichen und geistlichen Weg der
Vollkommenheit, deren Seele die Liebe ist (vgl.
Kol 3,14).«16 Diese
verinnerlichte, radikale Liebe drängt dazu, auch für die Feinde zu beten - für
jene, die Böses im Herzen tragen.
= 16
Diese verinnerlichte, radikale Liebe drängt dazu, auch für die Feinde zu beten -
für jene, die Böses im Herzen tragen.Jeden
Baum erkennt man an seinen Früchten. Die Geschichte der Menschheit
ist vom Kampf zwischen Gut und Böse geprägt. »Der einzelne Mensch muß, in diesen
Streit hineingezogen, beständig kämpfen um seine Entscheidung für das Gute.«17
Wohl wird er »unterscheiden zwischen dem Irrtum, der immer zu verwerfen ist, und
dem Irrenden, der seine Würde als Person stets behält«18 aber Liebe und Milde
dürfen ihn keineswegs »gegenüber der Wahrheit und dem Guten gleichgültig
machen«19. Entgegen einem immer weiter um sich greifenden sittlichen
Relativismus lehrt die Kirche, daß es Einstellungen, Handlungen,
Verhaltensweisen gibt, »die durch sich selbst und in sich, unabhängig von den
Umständen, wegen ihres Objekts immer schwerwiegend unerlaubt sind« 20. Wir
dürfen nur jene Früchte weitergeben, die vom Lebensbaum stammen.
In Maria
zeigen sich unübertrefflich die guten Früchte der Erlösung. Sie war »mit dieser
höchsten Aufgabe und Würde beschenkt, die Mutter des Sohnes Gottes und daher die
bevorzugt geliebte Tochter des Vaters und das Heiligtum des Heiligen Geistes zu
sein. Durch dieses hervorragende Gnadengeschenk hat sie bei weitem den Vorrang
vor allen irdischen und himmlischen Kreaturen.«21 Sie war vom ersten Augenblick
an ganz verfügbar für das Wirken der Gnade in ihr. »Als Antwort auf diese innere
Verfügbarkeit seiner Mutter bereitete Jesus Christus sie immer tiefer vor, den
Menschen >Mutter in der Ordnung der Gnade< zu werden.«22 Sie hat ihr ganzes
Leben lang in einzigartiger Weise am Werk ihres Sohnes mitgewirkt, von der
Verkündigung bis zum Stehen unter dem Kreuz. Deshalb nennt sie die Kirche
Mittlerin mit einer Mittlerschaft,.die »Mittlerschaft in Christus«23 ist.
jedesmal, wenn wir das Avernaria beten, werden wir an die guten Früchte
erinnert, die wir bringen sollen, indem wir uns die Lobpreisung Ellsabets zu
eigen machen: Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
M.-J. Lagrange,
Das
Evangelium von Jesus Christus,
Heidelberg 1949, S.154. -
Brief an
Diognet,
6. -
J. Ratzinger,
Auf
Christus schauen,
Freiburg 1989, S.61. -
R. Guardini,
,
Würzburg 1951, S.183. -
Johannes Paul II.,
Ansprache
an die Vollversammlung der Päpstlichen Kommission »Justitia et Pax«
11.11.1978. - 6 J. Escrivá, Der Weg, Nr.1. - 7 J. Ratzinger, Christlicher Glaube
und Europa, München 1981, S.84. - 8 Joh 15,5. - 9 Augustinus, Vorträge über das
Johannesevangelium, 81,3.23. - 10 vgl. Röm 11,17-18. - 11 R. Guardini, a.a.O.,
S.441. - 12 Gȟndonnerstag,
Eröffnungsvers.
-
Johannes Tauler,
Predigt
auf Kreuzerhöhung,
60. -
Franz von Sales,
Über die
Gottesliebe,
Einsiedeln 1985, S.68-69. -
Johannes Paul II., Enz.
Veritatis
splendor,
16. -
ebd., 15. -
II. Vat. Konz., Konst.
Gaudium
et spes,
37. -
ebd., 28. -
ebd. -
Johannes Paul II., a.a.O., 80. -
II. Vat. Konz., Konst.
Lumen
gentium,
53. -
Johannes Paul II., Enz.
Redemptoris Mater,
39. -
ebd., 38.