VIERTER ADVENTSSONNTAG
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ADVENT, ZEIT DER HOFFNUNG
Maria lehrt uns hoffen. Ursachen für
Hoffnungslosigkeit und mangelnden Einsatz. Jesus Christus das höchste Gut.
Der Gegenstand unserer Hoffnung.
Vertrauen in den Herrn. Er kommt nie zu
spät mit seiner Gnade und seiner Hilfe.
I. Geist des Advent - das heißt nicht
zuletzt Marias Nähe zu suchen. Sie trägt Jesus in ihrem Schoße. Auch unser Leben
ist ein Advent, ein etwas längeres Warten auf jenen entscheidenden Augenblick,
da wir endlich mit dem Herrn auf immer vereint sind. Wir Christen wissen, daß
wir diesen Advent allezeit gemeinsam mit Maria leben müssen, wenn wir mit
Gewißheit das einzig wirklich Wichtige erreichen wollen: Jesus Christus in
diesem Leben zu begegnen und später in der Ewigkeit.
Unsere Liebe Frau entzündet in unserer
Seele die Freude; wer sie begleitet, den führt sie zu Christus. Sie ist die
»Lehrmeisterin der Hoffnung. Von nun an werden mich selig preisen alle
Geschlechter (Lk 1,48), ruft sie aus. War diese Hoffnung, menschlich
gesehen, überhaupt begründet? Wer war sie für die Männer und Frauen von damals?
Die großen Heldinnen des Alten Testaments, wie Judit, Ester und Debora, gewannen
schon auf Erden menschlichen Ruhm. (...) Welch ein Kontrast zwischen der
Hoffnung Mariens und unserer Ungeduld! Oft fordern wir von Gott, er möge sofort
das wenige Gute vergelten, das wir getan haben. Wir stöhnen, kaum daß die erste
Schwierigkeit auftaucht. Nicht selten sind wir unfähig, in der Anstrengung
auszuharren und die Hoffnung aufrecht zu erhalten.«1
Nicht wer vor Schwierigkeiten steht,
verliert den Mut, sondern wer nicht nach Heiligkeit strebt und die Hoffnung
aufgibt, sie zu erlangen. Mutlosigkeit entsteht durch einen schwächlichen
Glauben, durch Verweichlichung, durch Lauheit und durch eine übertriebene
Hinwendung zu irdischen Gütern, die als einzig wirklich angesehen werden. Die
Mutlosigkeit verhindert schließlich, daß wir uns anstrengen, Gutes zu tun.
Manchmal verlieren wir den Mut, heiligmäßig zu leben, weil wir willensschwach
sind, ängstlich angesichts unserer ungeordneten sinnlichen Neigungen und eines
mühevollen asketischen Kampfes. Auch die scheinbaren Mißerfolge in unserem
inneren Kampf oder in unserem apostolischen Eifer können zu Mutlosigkeit führen:
wer aber die Dinge um der Liebe Gottes und seiner Ehre willen tut, scheitert
niemals: »Mach dir diese Wahrheit klar: dein Scheitern, jetzt und in dieser
Angelegenheit, war ein Erfolg. - Sage dem Herrn Dank und fange von neuem an!«2
»Das war kein Mißerfolg: du hast Erfahrungen gesammelt. Vorwärts!«3
In wenigen Tagen sehen wir das Kind in
der Krippe zu Betlehem liegen. Kann uns Gott einen größeren Beweis für seine
Barmherzigkeit und Liebe geben? Und wenn Gott Mensch geworden ist und mich
liebt, wie könnte ich es dann unterlassen, ihn zu suchen? Wie könnte ich die
Hoffnung aufgeben, ihn zu finden, wenn er um meinetwillen kommt? Räumen wir also
alle Mutlosigkeit aus; weder äußere Schwierigkeiten noch unser persönliches
Elend zählen angesichts der Freude, die Weihnachten bringt; und Weihnachten ist
nah.
II. Im Alten Testament ist die Hoffnung
eines der kennzeichnenden Merkmale des Volkes Gottes. Alle Augen sind auf einen
fern in der Zeit liegenden Punkt gerichtet. Von dort wird irgendwann der Messias
kommen: »Die Bücher des Alten Testaments beschreiben die Heilsgeschichte, durch
die die Ankunft Christi in der Welt in langsamem Voranschreiten vorbereitet
wird«4»In der Genesis bereits wird vom Sieg der Frau über die
Kräfte des Bösen gesprochen, von einer neuen Welt.5
Der Prophet Hosea verkündet, daß Israel
sich in der ursprünglichen Liebe erneuern und aufblühen wird.6 Jesaja
prophezeit mitten in den Enttäuschungen der Herrschaft Ahas' die Ankunft des
Messias7; und Micha wird
Betlehem in Judäa als die Stadt bezeichnen, in der er geboren wird8.
Nur wenige Tage fehlen noch, und wir
sehen in Betlehem unseren Herrn. Von ihm redet die Botschaft aller Propheten,
die jungfräuliche Mutter trug ihn voll Liebe in ihrem Schoß, seine Ankunft
verkündete Johannes der Täufer und zeigte auf ihn, der unerkannt mitten unter
den Menschen war. Er schenkt uns in diesen Tagen die Freude, uns für das Fest
seiner Geburt zu bereiten, damit wir ihn wachend und betend erwarten.9
Von der Krippe in Betlehem bis zum
Augenblick seines Aufstiegs in den Himmel verkündet Jesus Christus die Botschaft
der Hoffnung. Er ist unsere Hoffnung10.
In ihm haben wir die vollkommene Gewißheit, daß wir die verheißenen Güter auch
erlangen. »In wachender Erwartung« blicken wir zum Stall von Betlehem, und wir
begreifen, daß wir uns nur mit ihm vertrauensvoll dem Vater nähern können.
Der Herr selbst weist uns darauf hin,
daß die christliche Hoffnung nicht auf die Schätze dieser Welt gerichtet ist,
welche Motte und Wurm zerstören und Diebe stehlen11,
sondern auf die Schätze des unzerstörbaren Erbes: die
Glückseligkeit, Gott ewig zu besitzen.
Wir hoffen voller Vertrauen, daß er uns
eines Tages die ewige Glückseligkeit gewährt, in diesem Leben aber die Vergebung
unserer Sünden und seine Gnade. Das bedeutet, daß die Hoffnung zugleich auch auf
alle Mittel gerichtet ist, die nötig sind, dieses Ziel zu erreichen. Denn auch
irdische Güter können in dem Maße in die Hoffnung einbezogen werden, wie sie in
Gottes Plan für unsere Erlösung vorgesehen sind.
Wir wollen in diesen Tagen gegen alle
Anzeichen der Verzweiflung, gegen Mutlosigkeit und Antriebsschwäche und eine
allzu starke Anhänglichkeit an materielle Güter kämpfen.
Hoffnung bedeutet, daß wir uns
vertrauensvoll Gott ergeben und alles daran setzen, den asketischen Kampf immer
wieder von neuem zu beginnen; daß wir ausdauernd sind im Apostolat und geduldig
angesichts von Widrigkeiten, daß wir dieses Leben und alles, was sich in ihm
ereignet, von einer jenseitigen Warte aus betrachten. »In dem Maße, wie die Welt
ihrer christlichen Hoffnung enträt, bleibt ihr als Alternative nur jene Spielart
des Materialismus, die wir kennen: das und sonst nichts. Ihre Erfahrung mit dem
Christentum war wie die einer großen Liebe, einer Liebe für das ganze Leben.
(...) Keine neue Stimme, die sich erhebt (...), wird einen Reiz für uns haben,
wenn sie uns nicht zum Stall von Betlehem zurückführt, damit wir dort unseren
Stolz beugen, unsere Nächstenliebe befruchten und unsere Ehrfurcht mit dem Ideal
einer glänzenden Reinheit mehren.«12
III. Hört auf mich, ihr Verzagten,
denen das Heil noch fern ist. Ich selbst bringe euch das Heil, es ist nicht mehr
fern; meine Hilfe verzögert sich nicht.13
Unsere Hoffnung auf den Herrn muß um so
hartnäckiger sein, je größer die Schwierigkeiten und je geringer unsere Mittel
sind. Der heilige Lukas berichtet14,
daß, als Jesus nach Kafarnaum zurückkehrte, alle schon auf ihn gewartet
hatten. Unter all den Menschen gibt es einen Mann, den der Evangelist als
Synagogenvorsteher kennzeichnet. Dieser fiel Jesus zu Füßen und bat
ihn, seine Tochter zu heilen. Er ist nicht zu stolz, seine Demut und sein
Vertrauen in den Herrn öffentlich zu bekunden.
Auf einen Wink Jesu hin setzen sich
alle zum Hause des Jaïrus in Bewegung. Die zwölfjährige Tochter rang bereits mit
dem Tod. Und da, als man auf dem Weg zu dem Mädchen ist, nähert sich Jesus im
Schutze der Menge von hinten eine Frau, die an einer Krankheit leidet, die sie
nach dem Gesetz unrein macht; die Frau berührt den Saum seines Gewandes; denn
auch sie ist von dieser Demut erfüllt.
Jaïrus hatte seiner Hoffnung und seiner
Demut dadurch Ausdruck verliehen, daß er vor Jesus niedergefallen war. Diese
Frau aber wollte unbemerkt bleiben, sie wagte es nicht, mit dem Herrn zu
sprechen, denn sie glaubte, viel zu gering zu sein, als daß er sie beachten
würde. Es genügte ihr, sein Gewand zu berühren.
In beiden Fällen vollzieht sich das
Wunder. Die Frau, an der die Kunst so vieler Ärzte gescheitert war, wird für
immer geheilt; und die Tochter des Jaïrus wird leben, obwohl der Zug wegen der
Verzögerung erst ankommt, als das Mädchen bereits tot ist.
Was aber geschieht während des Vorfalls
um die am Blutfluß leidende Frau mit Jaïrus? Anscheinend ist sein Anliegen
untergegangen, und man kann sich seine Ungeduld leicht vorstellen, ist er doch
Hilfe suchend zum Meister geeilt, als seine Tochter bereits im Sterben lag.
Christus jedoch hat keine Eile.
Als Jesus schließlich eintrifft, ist
das Mädchen bereits tot. Jede Rettung kommt zu spät. Gerade da aber, als nach
menschlichem Ermessen nichts mehr zu tun bleibt und alle Umstände es nahelegen
aufzugeben, gerade da kommt die Stunde der übernatürlichen Hoffnung.
Jesus kommt nie zu spät. Es bedarf nur
eines stärkeren Glaubens. Jesus hat bewußt darauf hingewirkt, daß es »zu spät«
war. Damit wollte er uns zeigen, daß die übernatürliche Hoffnung selbst noch auf
den Trümmern menschlicher Hoffnung gründen kann und es hierzu nur eines
grenzenlosen Vertrauens in ihn bedarf.
Die geschilderte Szene erinnert an
unser eigenes Leben. Wie oft schien es, daß Jesus in unserer Not ausblieb. Dann
aber gewährte er uns eine um so größere Gnade. Sie erinnert uns auch an
Augenblicke vor dem Tabernakel, da wir Worte wie die folgenden in uns vernahmen:
Hab' keine Furcht, glaube nur. Auf Jesus hoffen heißt auf ihn vertrauen,
alles seiner Fürsorge überlassen. Und je schwächer die Möglichkeiten sind, auf
die wir Menschen uns stützen können, desto mehr Vertrauen sollten wir in ihn
setzen.
Die Verehrung der Mutter Gottes gibt
uns Gewißheit, daß wir die ewige Glückseligkeit erlangen werden, zu der wir
berufen sind. Maria ist wahrhaft »Hafen für die Schiffbrüchigen, Trösterin der
Welt, Befreierin der Versklavten, die Freude der Erkrankten«15.
Bitten wir sie, daß sie uns auf ihren Sohn Jesus Christus, den von den Propheten
verheißenen Messias, voll des Glaubens warten lehrt, jetzt, in diesen Tagen vor
Weihnachten, und immer. Die Jungfrau »leuchtet (...) hier auf Erden in der
Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn (vgl. 2 Petr 3,10) als
Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran.«16
J.
Escrivá, Freunde Gottes, 286. -
2 ders., Der Weg,
Nr. 404. - 3 ebd.,
Nr. 405. - 4 II. Vat.
Konz., Konst. Lumen gentium, 55. -
5 vgl. Gen 3,15. -
6 Hos 2,16-25. -
7 Jes 7,9-14. -
8 vgl. Mi 5,2-5. -
9 Präfation vom Advent
II. - 10 vgl. 1 Tim
1,1. - 11 Mt 6,19. -
12 R. A. Knox, Die
Wirkung von Weihnachten, Rundfunkansprache vom 29.12.1953. -
13 vgl. Jes
46,12-13. - 14 Lk
8,40-56. - 15 Alphons Maria
von Liguori, Besuch beim allerheiligsten Sakrament, 2. -
16 II. Vat. Konz., Konst.
Lumen gentium, 68.