OSTERZEIT
3. WOCHE - SAMSTAG
21
DIE
BESONDERE GEWISSENSERFORSCHUNG
Treu
bleiben inmitten der Verwirrung.
Das Gewissen in konkreten Punkten prüfen.
Schmiede der Treue.
I. Die
Rede des Herrn in der Synagoge von Kafarnaum wurde vielen zum Ärgernis. Es kam
unter den Zuhörern zu erregten Gesprächen.
Daraufhin zogen sich viele Jünger
zurück und wanderten nicht mehr mit ihm1,
heißt es bei Johannes im heutigen Evangelium. Gemeint ist nicht die Menge der
anonymen Zuhörer, gemeint sind Leute aus dem Kreis der Jünger. »Hätten sie
verstehen sollen? Wohl kaum. Man kann sich nicht denken, wie damals einer diese
Worte hätte verstehen können. Aber sie hätten an ihn glauben sollen. An ihm
festhalten und offenlassen, wohin er sie auch führen würde. Ahnen, daß hinter
seinen Worten eine göttliche Tiefe liege; daß sie zu etwas unsäglich Großem
geführt werden sollten und sagen: Wir verstehen nicht; öffne Du uns den Sinn!
Doch sie urteilen, und alles verschließt sich.«2 Nur bei den Zwölf gibt es
hinter dem Nichtverstehen etwas, das sie zum Bleiben anhält. Und was? Warum
standen sie in Treue zu ihm, als Ärgernisse und Mißtrauen überhandnahmen, als
Enttäuschung zum Abfall von ihm führte? Weil sie keine bloßen Zuhörer, sondern
enge Freunde Jesu waren, die sich - wie könnte es anders gewesen sein - Tag für
Tag mit ihm über alles aussprachen. Sie hatten - mehr oder weniger - erkannt,
daß Jesus nicht nur Worte für ihre alltäglichen Nöte fand, sondern
Worte des ewigen
Lebens hatte.
Zu wem sollen wir gehen?
fragt Petrus. Du
hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt:
Du bist der Heilige Gottes.3
»Es ist schön, zu lesen, wie Petrus antwortet. Er sagt nicht: Wir verstehen, was
du meinst, sondern: Wir halten deine Hand fest. Deine Worte sind Worte des
Lebens, auch wenn wir sie nicht verstehen. Das war wohl die einzige Antwort, die
damals gegeben werden konnte.«4
Und
heute? Flexibilität und Anpassung scheinen mehr zu gelten als Treue. Zerrüttete
Ehen gehören zum Alltagsbild, ein Wortbrüchiger gilt als kluger Pragmatiker,
»Freundschaft« ist zum vielfach mißbrauchten und deshalb wohlfellen Begriff
geworden. Auch in der Kirche begegnen uns Verhaltensweisen, die die Treue zum
Glauben verletzen.
Das
heutige Evangelium stellt uns die Treue von zwölf Menschen vor Augen, die wenig
verstehen und nicht wissen, wie es weitergehen wird, die aber an ihrer Bindung
festhalten, weil sie den, dem sie folgen, lieben. Sie zweifeln nicht an Jesus
und haben deshalb keine Selbstzweifel, denn Jesus trägt sie. In seiner Homilie
bei der Übernahme des obersten Hirtenamtes brachte Papst Johannes Paul II. die
Ungewißheiten des heutigen Menschen mit der Antwort des Petrus in Zusammenhang:
»Heute weiß der Mensch oft nicht, was er in seinem Innern, in der Tiefe seiner
Seele, seines Herzens trägt. Er ist deshalb oft im Ungewissen über den Sinn
seines Lebens auf dieser Erde. Er ist vom Zweifel befallen, der dann in
Verzweiflung umschlägt. Erlaubt (...) Christus, zum Menschen zu sprechen! Nur er
hat Worte des Lebens! In der Tat, Worte ewigen Lebens!«5
Treue zum
Herrn erfordert innere Wachsamkeit in leichten wie in schweren Zeiten. Die
kleinen Scharmützel haben ihre Bedeutung, halten sie uns doch in der notwendigen
inneren Spannung. Deshalb empfehlen erfahrene geistliche Menschen die Übung der
besonderen Gewissenserforschung - auch
Partikularexamen genannt -, die auf einen besonderen Punkt unseres
inneren Kampfes zielt, etwa auf größeres Feingefühl im Umgang mit dem Herrn.
»Die allgemeine Gewissenserforschung gleicht der Abwehr. - Das Partikularexamen
dem Angriff. - Das erste ist Panzerung, das zweite ein scharfes Schwert.«6
Das
heutige Evangelium stellt uns Treue und Untreue vor Augen. Es regt zu konkreten
Fragen an: Ist meine Bindung an den Herrn so stark, daß ich der so zeittypischen
Versuchung zu pragmatischer Untreue standhalten kann? Ist das ein besonderer
Punkt meiner Gewissenserforschung?
II.
Solange wir leben, müssen wir kämpfen. Wir lieben Christus, aber Leidenschaften,
Lauheit oder eine spießige Gesinnung suchen nur das eigene Ich. Auf Dauer wird
Christus dann zum Störfaktor im menschlichen Leben. Damit das nicht geschieht,
gilt es, nein zu allem zu sagen, was uns von ihm trennen könnte, und ja zu
allem, was uns ihm näher bringt. Manchmal fällt es einem leicht, wir kommen uns
wie echte Himmelsstürmer vor, manchmal schwer, wir werden mutlos angesichts so
vieler trauriger Beispiele um uns. Ob es den Aposteln damals nicht ähnlich
ergangen ist, als Petrus zu dem rettenden Wort Zuflucht nahm: Mögen auch alle
weglaufen -
Du hast Worte des ewigen Lebens?
Die
allgemeine Gewissenserforschung läßt uns die Beweggründe unserer Handlungen
besser erkennen, sie erstreckt sich auf alles in unserem Alltag. Die
besondere Gewissenserforschung soll uns helfen, einen konkreten Fehler zu
überwinden oder in einer bestimmten Tugend zu wachsen. »Dein Partikularexamen
soll darauf zielen, eine bestimmte Tugend zu erwerben oder einen dich
beherrschenden Fehler auszumerzen«7 Es ist ratsam, die Ubung dieser
Gewissenserforschung an bestimmte Tageszeiten zu knüpfen. Wenn wir es uns
beispielsweise zur Gewohnheit gemacht haben, den Engel des Herrn um die
Mittagszeit zu beten, können wir dieses Gebet gut mit einem kurzen prüfenden
Blick auf den bisherigen Tag verbinden.
Was kann
Gegenstand unserer besonderen Gewissenserforschung sein? Vielleicht haben wir
bemerkt, daß es uns in bestimmten Situationen am Bewußtsein der Gegenwart Gottes
fehlt. Zu den Zeiten des Gebetes sind wir beim Herrn, aber dann - mitten in
unserer Arbeit, im Familienleben oder auf der Straße - denken wir überhaupt
nicht mehr an ihn. Wir möchten gerne, aber ... Und dann erinnern wir uns, daß
wir auf dem Weg zur Arbeit vielleicht an einer Kirche vorbeifahren oder beim
Betreten unserer Wohnung ein Marienbild vor uns haben ... Was liegt da näher,
als Tag für Tag zu versuchen, nicht gleichgültig an der Kirche vorbeizufahren
oder das Marienbild außer acht zu lassen.
Andere
Male werden wir uns betrübt fragen: Warum diese Trägheit beim Aufstehen, die ich
doch eigentlich gar nicht will und wo ich weiß, daß sie mich nur aus dem
bewährten Rhythmus bringt? Warum die grantigen Äußerungen beim Frühstück, die
immer wieder den Tag mit einem Mißklang beginnen lassen? Könnte ich mir nicht
vornehmen, jedesmal - mit ein wenig mehr Selbstkontrolle - ein freundliches Wort
zu sagen und gelassen einen vielleicht nötigen Tadel auf später zu verschieben?
Wir können viele solcher Kleinigkeiten entdecken, die Gegenstand der besonderen
Gewissenserforschung sein können: Geduld haben gegenüber diesem oder jenem
Mitarbeiter, dessen enervierende Art ich mittlerweile doch kenne; Zurückhaltung
beim Gespräch über abwesende Dritte, damit es nicht in Klatsch ausartet; zuhören
lernen; dankbar sein für kleine Aufmerksamkeiten; mehr Gespür für Ordnung,
innerlich bei der Zeiteinteilung und äußerlich zwischen Arbeitspapieren oder
Handwerkszeug, entwickeln? Neben solchen Details werden wir manchmal auf
wesentlichere Aspekte stoßen, die unser inneres Leben tiefer im Glauben
verankern, etwa den Umgang mit der Muttergottes oder mit den Schutzengeln zu
verlebendigen.
Gelegentlich wird uns das Partikularexamen ein entschiedenes Nein abverlangen,
wenn wir einen Fehler haben einreißen lassen. Besser freilich ist es, wenn wir
statt des Nein zu einer schlechten Gewohnheit ein überzeugtes, freudiges Ja zur
entgegengesetzten Tugend sprechen.
Wie
passend ist da das Stoßgebet des Blinden im Evangelium:
Domine,
ut videam! Herr, mach, daß ich sehe!8
III. Auch
das geistliche Gespräch ist ein geeignetes Mittel, die Gewissenserforschung auf
die momentane Lebenssituation konkret abzustimmen. Jemanden, der sich leicht im
Abstrakten verliert, kann eine regelmäßig eingesehene Notiz schnell auf den
Boden der Wirklichkeit zurückholen. Für den hingegen, der sich in Kleinigkeiten
verzettelt, wäre so etwas nicht empfehlenswert.
Es darf uns nicht überraschen, wenn unser
Kampf nicht gleich zum Erfolg führt. Außerdem ist es nicht gut, selbst über
Erfolge oder Mißerfolge zu urteilen. Haben wir den Nerv wirklich getroffen, dann
geht es in aller Regel bei unserer besonderen Gewissenerforschung um einen
chronisch gewordenen Fehler. Und das heißt: Zeit, Geduld, Beharrlichkeit
aufbringen. Der Fortschritt kommt mit der Bereitschaft, immer wieder aufs neue
zu beginnen. So festigt sich die Demut, Niederlagen werden uns zu tieferer Reue,
Siege zu größerer Dankbarkeit führen. Die lautere Liebe ist hellwach und kommt
deshalb immer wieder auf neue Einfälle, unseren asketischen Kampf zu
präzisieren.
Nichts
vermag gegen Lauheit und spießige Allüren erfolgreicher zu sein als die tägliche
besondere Gewissenserforschung. Darin festigt sich die Treue, die wir uns für
den Ernstfall erhoffen. »Vergessen wir nicht: weder die Spitzhacke noch die Axt,
noch die Schläge sonst eines Werkzeugs, so scharf es auch sein mag, sind die
gefährlichsten Feinde des Gesteins, sondern das Wasser, das tropfenweise in die
Ritzen des Felsen sickert, bis es das Gefüge sprengt. Hier liegt für den
Christen die große Gefahr: die täglichen Scharmützel zu vernachlässigen, was
nach und nach seine Spuren in der Seele hinterläßt, so daß sie schließlich
schlaff und spröde wird, gleichgültig und unempfänglich für die Stimme Gottes.«9
Am Ende
unseres Gebetes vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Antwort des Petrus:
Du hast
Worte des ewigen Lebens. (...) Du bist der Heilige Gottes.
Ohne dich verfehlen wir den Weg, erblinden für die Wahrheit, verschließen uns
dem Leben. Es ist ein Stoßgebet, das uns wachhält.
Wir
empfehlen unsere Treue der
Virgo
fidelis.
Sie möge uns helfen, Schritt für Schritt die Hindernisse zu beseitigen, die uns
von ihrem Sohn trennen.
6,66. -
R.Guardini,
,
Würzburg 1951, S.240. -
6,68-69. -
R.Guardini, a.a.O., S.240. -
Johannes Paul II.,
Homilie
bei der Amtsübernahme,
22.10.78. -
J.Escrivá,
,
Nr.238. -
ebd., Nr.241. -
10,51. -
J.Escrivá,
Christus
begegnen,
77.