JAHRESKREIS
14. WOCHE - DONNERSTAG
16
Die
befreiende botschaft der Kirche
Die
übernatürliche Sendung der Kirche.
Die Kirche - Leuchte auf dem irdischen Weg.
Werke der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
I. Jesus
vollendet das Werk der Erlösung durch seinen Tod am Kreuz und seine
Auferstehung. Nach der Himmelfahrt sendet er den Heiligen Geist. Die Jünger
verkünden das Evangelium als Arbeiter, die in die Ernte Gottes geschickt werden,
als Knechte, die die Geladenen zur Hochzeit rufen.1 Sie sind aber auch die
Bevollmächtigten dessen, der selbst Gesandter des Vaters ist: Wer euch hört, der
hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der
lehnt den ab, der mich gesandt hat.2 »Hier werden nicht nur erleuchtete Männer
zu den Menschen geschickt, fähig, die Herzen anzurühren, sondern Beauftragte mit
Vollmacht. Sie sind mehr als ihre menschliche Begabung und religiöse
Erfülltheit, denn sie tragen das Amt.«3 Da deutet sich schon umrißhaft an, was
die Kirche sein wird. Nach der Auferstehung erhalten Sendung und Vollmacht
Konturen: Jesus will seine Verkündigung und sein Werk den Menschen aller Zeiten
durch seine Gesandten zugänglich machen: Wie mich der Vater gesandt hat, so
sende ich euch.4 »Eine heilige Folge der Sendungen wird hier deutlich. Jesus
weiß sich gesendet vom Vater. Der wohnt im unzugänglichen Lichte (1 Tim 6,16).
Niemand hat ihn gesehen. Er allein, der von Gott stammt, hat den Vater gesehen
(Joh 6,46). Der Vater ist entrückt, keiner hat ihn je erreicht; erst der Sohn
bringt Kunde von ihm. Der Vater redet nicht unmittelbar zu uns. Seine
Offenbarung ist der Sohn, sein lebendiges Wort. (...) Jeder Versuch, unmittelbar
zum Vater zu gelangen, kommt nur zu einer allgemeinen Göttlichkeit. Zum
wirklichen Vater, dem letzten Geheimnis, kommt man nur durch den Sohn. Dazu, daß
er ihn kundtue, ist Jesus gesendet. Er wiederum sendet die Apostel. Nicht sich
redet Jesus, sondern den Vater. Ebenso sollen die Apostel nicht sich selbst
reden, sondern Christus. So soll es durch alle Zeiten und bis an die Enden der
Welt sein. Das bedeutet aber, daß die Apostel immer neu da sind: in Jenen, die
mit ihnen im Zusammenhang der Amtsfolge stehen.«5
Das
heutige Evangelium6 erzählt von einer ersten Sendung der Apostel, »zur Probe
gleichsam, damit sie die Macht kennen lernen, die sie trägt, und die Menschen,
die auf sie warten«7. Die letzte Sendung ist anders: endgültig, feierlich und
vor allem universal, immer wieder durch ein alles, alle bekräftigt: Weil ihm
alle Macht gegeben ist im Himmel und auf der Erde, sollen die Seinen zu allen
Völkern gehen und alle Menschen zu seinen Jüngern machen, sie auf den Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen und lehren, alles zu
befolgen, was er ihnen geboten hat. Die räumliche und inhaltliche Weite dieses
alles erscheint durch die Zeiten gesichert und geborgen in der abschließenden
Versicherung: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.8
Bis zur
Ankunft Christi haben die Propheten dem auserwählten Volk des Alten Testamentes
die messianischen Verheißungen in einer verhüllten Bildersprache verkündet.
Christus entschlüsselt sie. Seine Gesandten legen die geistliche Dimension
seines Reiches offen dar. Die Erlösung, die Christus bringt, reicht tiefer als
die Verheißung einer Befreiung von irdischem Ungemach, etwa vom Joch der
römischen Besatzung: »Durch sein Kreuz und seine Auferstehung hat Christus
unsere Erlösung gewirkt, eine Befreiung in ihrem tiefsten Sinne, weil sie uns
befreit hat vom radikalsten Bösen, das heißt von der Sünde und der Macht des
Todes.9
Der
Apostel Paulus sagt: Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen
außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten.10 Auch die Kirche weiß
nichts anderes außer Jesus Christus. Sie hat keine andere Sendung als die
übernatürliche, die Christus in sie eingestiftet und den Aposteln zur Weitergabe
übertragen hat. Dazu ist sie »ins Leben getreten: sie soll zur Ehre Gottes des
Vaters die Herrschaft Christi über die ganze Erde ausbreiten und so alle
Menschen der heilbringenden Erlösung teilhaftig machen, und durch diese Menschen
soll die gesamte Welt in Wahrheit auf Christus hingeordnet werden.«11
II. Wozu
ist die Kirche da? Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle
haben12, hat der Herr gesagt. Die Kirche bleibt diesem Wort treu, denn sie »hat
kein anderes Licht als das Licht Christi: man kann sie nach einem Bild, das den
Kirchenvätern lieb war, mit dem Mond vergleichen, dessen ganzes Licht
Widerschein der Sonne ist«13. Sie erhellt unseren Weg zum Heil durch die Mittel,
die sie verwaltet, und will uns Schritt für Schritt zur Fülle des Lebens in Gott
führen.
Wer nicht
aus dem Glauben lebt, wird der Endlichkeit seines Lebens stoisch oder tragisch,
skeptisch oder ahnungsvoll, in Würde oder verzweifelt entgegensehen. Wer glaubt,
hofft auf die Vollendung, zu der ihn der irdische Weg führt. Er sieht dann die
Kirche als Leuchte auf diesem Weg und findet in ihr alles, was er braucht, um
nicht in die Irre zu gehen: Hoffnung in Augenblicken der Dunkelheit, Stärkung in
der Schwäche. In der Nachfolge des Herrn weiß er Freude wie Mühsal bei ihm
aufgehoben, der durch seine Menschwerdung nicht nur die Freuden, sondern auch
die Mühen des menschlichen Lebens - Armut und Entbehrung, Leiden und Tod - auf
sich genommen hat. Er sieht dann in den Bedrängnissen des Lebens die
Vorläufigkeit des Irdischen und verfällt nicht dem Gedanken, sich bequem
einzurichten, als hätte er das Ende seiner Wanderschaft schon erreicht. Er weiß
dann, daß das einzige Übel, das ihn in die Irre führen kann, die Sünde ist.
Die
Kirche ist ausschließlich auf das übernatürliche Ziel des Menschen ausgerichtet.
Dazu verkündet sie das Wort Gottes und spendet die Sakramente. Auch wenn sie
sich - in der Nachfolge ihres Meisters - jeder Parteinahme in zeitlichen Dingen
enthält, bleibt sie nicht gleichgültig angesichts irdischer Probleme. »Das
politische und wirtschaftliche Handeln der Gesellschaft gehört nicht direkt zu
ihrer Sendung. Doch hat ihr der Herr das Wort der Wahrheit anvertraut, das fähig
ist, die Gewissen zu erleuchten. Die göttliche Liebe, die ihr Leben ist, drängt
sie zu wirklicher Solidarität mit jedem Menschen, der leidet. Wenn ihre
Mitglieder dieser Sendung treu bleiben, wird der Heilige Geist, die Quelle der
Freiheit, in ihnen wohnen, und sie werden Früchte der Gerechtigkeit und des
Friedens in ihrer familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Umgebung
hervorbringen.«14
Die
Kirche ermuntert und befähigt ihre Kinder, Zeugen Christi in der Welt zu sein
und ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die Hoffnung auf das ewige Leben »schwächt
nicht den Einsatz für den Fortschritt der irdischen Stadt, sondern gibt ihm im
Gegenteil Sinn und Kraft. Man muß freilich irdischen Fortschritt und Wachstum
des Gottesreiches sorgfältig unterscheiden, da sie nicht derselben Ordnung
angehören. Diese Unterscheidung bedeutet jedoch keine Trennung; denn die
Berufung des Menschen zum ewigen Leben unterdrückt nicht, sondern bestärkt seine
Aufgabe, die Energien und Mittel, die er vom Schöpfer empfangen hat,
einzusetzen, um sein zeitliches Leben zu entwickeln.«15
Caritas
Christi urget nos16 - die Liebe Christi soll uns drängen, das Werk der Erlösung
weiterzugeben. Dann werden wir zu Miterlösern in Christus für alle, die uns
nahestehen: Angehörige, Freunde, Kollegen.
III. Auch
wenn unsere Gesellschaft, oberflächlich betrachtet, vom christlichen Glauben
geprägt wird, ist vielen die Kraft des Glaubens als persönliche Begegnung mit
Christus doch verlorengegangen. Die einen suchen ihren Christus außerhalb der
Kirche; die anderen suchen ihre Kirche außerhalb von Christi Wort. Sie sehen
dann die Kirche als etwas Fremdes, wo das Periphere das Zentrum, Christus,
verstellt. Aber die Kirche »ist nie ein Ziel in sich selbst, sondern hat ihren
Ursprung immer in Jesus Christus und ist auf das Reich Gottes ausgerichtet. Man
darf nie von ihr allein reden, wie man von anderen Institutionen reden kann. Sie
ist keine in sich geschlossene Größe. Kirche ist immer in Bewegung: Sie kommt
vom dreifaltigen Gott her und ist zu den Menschen gesandt. Darum sagen wir, daß
die Kirche Werkzeug, Mittel und Sakrament Gottes für das Heil der Welt ist. Sie
verfehlt ihre Aufgabe, wenn sie um sich kreist und sich nicht der Not der Welt
sowie den Wunden der Zeit zuwendet und die Menschen zu Gott führt.«17
Wir
sollten bedenken, wie fraglos in den Anfangszeiten der Kirche die
Christgläubigen ohne endloses Reflektieren über ihr Selbstverständnis die Kirche
ausbreiteten und gleichzeitig für die Nöte ihrer Zeit nach Abhilfe suchten. Bis
heute ist die Kirche Anwältin der Notleidenden. »Vom Heiligen Geist geführt,
geht die Kirche in Treue voran auf den Wegen jeder authentischen Befreiung. Ihre
Glieder wissen um ihre eigenen Schwächen und ihren Rückstand bei dieser Suche.
Eine große Zahl von Christen hat jedoch seit den Zeiten der Apostel ihre Kraft
und ihr Leben für die Befreiung von jeder Form der Unterdrückung und für die
Förderung der Menschenwürde eingesetzt. Die Erfahrung der Heiligen und das
Beispiel so vieler Werke im Dienst am Nächsten sind Ansporn und Licht für die
befreienden Initiativen, die heute gefordert sind.«18
Die
Solidarität, die im Glauben an Christus gründet, hat viel tiefere Wurzeln als
bloß menschliche Anteilnahme. Denn sie »ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder
oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im
Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das
>Gemeinwohl< einzusetzen, das heißt, für das Wohl aller und eines jeden, weil
wir alle für alle verantwortlich sind.«19
Diese
Solidarität muß jeder nach seinen Möglichkeiten verwirklichen. Vielleicht läßt
sich das heutige Evangelium in diesem Sinne deuten. Denn der Herr, der den
Seinen den Auftrag gibt, hinzugehen und die Nähe des Himmelreiches zu verkünden,
fordert sie auf, die Nöte der Menschen nicht zu übersehen: Heilt Kranke, weckt
Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Das christliche Zeugnis
sollen Werke der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit begleiten. Zu diesem
Engagement gehört, die Grundsätze der christlichen Soziallehre zu kennen, durch
welche »die Kirche die geschichtlichen Ereignisse unter dem Beistand des
Heiligen Geistes im Licht der gesamten Offenbarung Christi deutet. Diese Lehre
wird für Menschen guten Willens um so annehmbarer, je stärker sich die Gläubigen
in ihrem Verhalten von ihr bestimmen lassen.«20 Von Christus heißt es in der
Heiligen Schrift: Er zog umher, tat Gutes und heilte alle21.
1 vgl. Mt
9,38; Joh 4,38; Mt 22,3. - 2 Lk 10,16. - 3 R. Guardini, Der Herr, Würzburg 1951,
S. 279. - 4 Joh 20,21. - 5 R. Guardini, a.a.O., S. 136. - 6 Mt 10,7-15. - 7 R.
Guardini, a.a.O., S. 70. - 8 vgl. Mt 28,18-20. - 9 Instruktion der Kongregation
für die Glaubenslehre über die Gewissensfreiheit, 22.3.1986, 3. - 10 1 Kor 2,2.
- 11 II. Vat. Konz., Dekret Apostolicam actuositatem, 2. - 12 Joh 10,10. - 13
Katechismus der Katholischen Kirche, 748. - 14 Instruktion der Kongregation für
die Glaubenslehre über die Gewissensfreiheit, 61. - 15 ebd., 60. - 16 2 Kor
5,14. - 17 K. Lehmann, Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 1992. - 18 Instruktion
der Kongregation für die Glaubenslehre über die Gewissensfreiheit, 57. - 19
Johannes Paul II., Enz. Sollicitudo rei socialis, 38. - 20 Katechismus der
Katholischen Kirche, 2422. - 21 Apg 10,38.