JAHRESKREIS
16. SONNTAG (LESEJAHR C)
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GOTT ZU
GAST
Gastfreundschaft.
Wie wir arbeiten sollen.
Einheit des Lebens.
I. Von
einem geheimnisvollen Besuch vor Abrahams Zelt bei den Eichen von Mamre zur Zeit
der Mittagshitze1 erfahren wir in der ersten Lesung des heutigen Sonntags. In
jenen Tagen erschien der Herr Abraham, heißt es im heiligen Text. Der Patriarch
sah vor sich drei Männer stehen, die er abwechselnd in der Einzahl und in der
Mehrzahl ansprach: Mein Herr, wenn ich dein Wohlgefallen gefunden habe, geh doch
an deinem Knecht nicht vorbei! Man wird etwas Wasser holen, dann könnt ihr euch
die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. Auch Abrahams Verwandter Lot
wird sich später so verhalten.2 Augustinus versucht den Wechsel in der Anrede
und das Ineinander von göttlicher und menschlicher Erscheinung zu deuten, wenn
er schreibt, »daß sowohl Abraham in den drei Männern wie auch Lot in den zweien
den Herrn erkannten, zu welchem sie in der Einzahl redeten, auch als sie noch
die drei für Menschen hielten; denn sie haben ihnen nur deshalb solche Aufnahme
bereitet, um ihnen als sterblichen und der Erquickung nach Menschenart
bedürftigen Wesen zu Diensten zu sein; es fand sich jedoch ohne Zweifel an den
dreien etwas, wodurch sie, obwohl innerhalb des menschlichen Bereiches bleibend,
so außerordentlich erschienen, daß ihre Gastgeber nicht zweifeln konnten, der
Herr sei in ihnen, so etwa, wie er in Propheten zu sein pflegt; und so erklärt
es sich, daß Abraham und Lot die Männer selbst einmal in der Mehrzahl und dann
wieder den Herrn in ihnen in der Einzahl ansprachen.«3 Uns genügt - im Blick auf
die spätere Erfüllung des göttlichen Heilsratschlußes durch die Menschwerdung
der zweiten Person der Dreifaltigkeit - zu wissen: »= 3 Uns genügt - im Blick
auf die spätere Erfüllung des göttlichen Heilsratschlußes durch die
Menschwerdung der zweiten Person der Dreifaltigkeit - zu wissen: Diese
wunderbare Gastfreundschaft von Mamre ist das Vorspiel zur Verkündigung des
wahren Sohnes der Verheißung.«4
Dieser
wahre Sohn der Verheißung ist im heutigen Evangelium ein Pilger, der - unterwegs
nach Jerusalem - die Gastfreundschaft von Freunden in Anspruch nimmt. Lukas
nennt den Namen des Dorfes nicht, aber durch Johannes wissen wir, daß es
Betanien ist, die Heimat der Geschwister Marta, Maria und Lazarus, etwa drei
Kilometer von Jerusalem am Osthang des Ölberges gelegen.5 Der Bericht des
Evangelisten läßt durchblicken, daß der Herr sich in diesem Hause wohlfühlt und
daß die Hausbewohner sich über sein Kommen freuen. Spontan erinnert uns Jesu
Aufenthalt in Betanien an die reale eucharistische Gegenwart des Herrn unter uns
im Tabernakel. Dort können wir mit ihm Umgang pflegen und bedenken, daß er der
treueste Freund ist.
Aber
»zunächst fällt uns eines auf: Unter den Geschwistern war doch ein Mann,
Lazarus. Nach alter Sitte war er Haupt der Familie und Herr des Hauses; hier
aber heißt es, >eine Frau mit Namen Marta nahm ihn in ihr Haus auf<. Wer also
das Regiment führte, war sie. Ein sehr wackeres und warmherziges, sicher, aber
immerhin war Marta es, die regierte. Lazarus hingegen muß ein nachdenklicher,
nach innen gekehrter Mensch gewesen sein (...). Dann wird noch das dritte der
Geschwister genannt: Maria. Auch sie hat der Schwester willig das Regiment
überlassen. Wahrscheinlich ist sie jünger, jedenfalls von ruhiger, in sich
gewendeter Art. Dafür spricht auch die Weise, wie sie sich beträgt: Als der Herr
ins Haus kommt, und die Pflicht der Gastfreundschaft gebieten würde, alles für
sein Wohlergehen zu tun, setzt sie sich zu seinen Füßen nieder und lauscht, so
daß Martha eigentlich nicht Unrecht hat, über ihr Versäumnis ärgerlich zu
sein.«6
Marta war
ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Es muß viel Arbeit gewesen
sein. In einem bestimmten Augenblick verliert sie den Überblick. Sie sieht sich
dann um und merkt: Maria sitzt dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.
Wir
schauen auf die zwei Frauen im Dienste Jesu mit dem Wunsch, die Harmonie des
christlichen Lebens tiefer zu entdecken: Christus dienen und auf Christus
schauen, Christus zuhören und für ihn arbeiten.
II. Herr,
kümmert es dich nicht, daß meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überläßt?
Sag ihr doch, sie soll mir helfen!7 Jahrhundertelang hat man die beiden
Schwestern als entgegengesetzte Modelle gesehen: Maria als Inbegriff der
Kontemplation; Marta als Inbild des aktiven Lebens.
Diese
Vereinfachung mag theoretisch hilfreich sein, es wäre aber gefährlich, sie ohne
weiteres auf die Praxis des christlichen Lebens anzuwenden. Tätiges und
kontemplatives Leben stehen sich nicht im Wege. Die meisten Christen führen
mitten in der Welt ein aktives Leben. Es wäre jedoch fragwürdig anzunehmen, ihre
Mühen - Familie, Geschäft, Studium usw. - hielten sie sozusagen von Gott fern;
und umgekehrt wäre es fragwürdig, wenn das Gebet keine Spuren im weltlichen Tun
hinterließe.
Die
Scheidung in aktiv und kontemplativ führt zu einem verstümmelten Christentum.
»Wir Christen führen kein Doppelleben: Unser Leben bildet eine Einheit, die all
unser Tun trägt und durchdringt (...). Seien wir Menschen des Gebetes, die immer
wieder mit dem Herrn Zwiesprache halten, indem wir vom ersten Gedanken des Tages
bis zum letzten des Abends fortwährend unser Herz bei ihm haben.«8
Wie soll
also unsere Arbeit sein? Nicht Ablenkung von Gott, sondern eine andere Art, dem
Herrn zu begegnen: »Macht euch in dieser Stunde mit neuer Klarheit bewußt« rief
der selige Josemaría Escrivá in einer Predigt Tausenden zu, »daß Gott euch
aufruft, ihm gerade in den materiellen, weltlichen Aufgaben des menschlichen
Lebens und aus ihnen heraus zu dienen. Im Labor, im Operationssaal eines
Krankenhauses, in der Kaserne, auf dem Lehrstuhl einer Universität, in der
Fabrik, in der Werkstatt, auf dem Acker, im Haushalt, in diesem ganzen
unendlichen Feld der menschlichen Arbeit wartet Gott Tag für Tag auf uns. Seid
davon überzeugt, jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas
Göttliches in sich, und euch ist aufgegeben, das zu entdecken. (...) Es gibt
keinen anderen Weg. Entweder lernen wir, den Herrn in unserem alltäglichen Leben
zu entdecken, oder wir werden ihn niemals finden. Es tut unserer Zeit not, der
Materie und den ganz gewöhnlich erscheinenden Situationen ihren edlen,
ursprünglichen Sinn zurückzugeben, sie in den Dienst des Reiches Gottes zu
stellen und sie dadurch, daß sie zu einem Mittel und zur Gelegenheit unserer
ständigen Begegnung mit Jesus Christus werden, zu vergeistigen.«9 Wir sind dann
im Laufe des Tages, mitten in unseren Tätigkeiten beschaulich, kontemplativ.
Alles, was wir tun, wird dichter, reicher und fruchtbarer.
III.
Jesus antwortet auf die Klage der Marta mit einem zärtlichen Verweis: Marta,
Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria
hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden. Als wollte er
sagen: Marta, es ist wunderbar, daß du dich um meinentwillen mit tausend Dingen
beschäftigst, aber du bist dabei, das Ganze und dabei auch mich aus dem Auge zu
verlieren. Und es ist, als sagte er uns: Wenn der Eifer zu Unrast wird, dann ist
das ein Zeichen dafür, daß wir nicht mehr ihn, Christus, sondern nur noch uns
selbst und tausend Dinge sonst sehen und suchen.
Nur eines
ist notwendig. Die wachsende Freundschaft mit dem Herrn. »Unser Herz soll dieses
einzige Ziel und Anliegen kennen (...). Alles andere, was es davon ablenkt - mag
es auch noch so groß erscheinen -, gehört an die zweite, ja an die letzte
Stelle, denn es schadet uns.«10 Der Leistungswille soll in eine Einheit des
Lebens eingebettet sein. Wenn die Freundschaft mit dem Herrn - besonders durch
feste Zeiten des Gebetes - gesichert bleibt, entdecken wir, daß die zahlreichen
irdischen Tätigkeiten, die zu unserem Christsein i= 10 Der Leistungswille soll
in eine Einheit des Lebens eingebettet sein. Wenn die Freundschaft mit dem Herrn
- besonders durch feste Zeiten des Gebetes - gesichert bleibt, entdecken wir,
daß die zahlreichen irdischen Tätigkeiten, die zu unserem Christsein n der Welt
gehören, sich nicht verselbständigen.
Der Herr
tadelt nicht die Arbeit der Marta, sie gilt ja ihm. Aber er macht sie auf die
innere Geordnetheit aufmerksam, die verlorenzugehen droht. Marta fehlt in jenem
Augenblick das Gespür für das Ganze.
Johannes
Paul II. schreibt in Christifideles laici: »Bei der Entdeckung und der
Verwirklichung der eigenen Berufung und Sendung müssen die Laien zu jener
Einheit hingeführt werden, die ihrem Sein als Glieder der Kirche und als Bürger
der menschlichen Gesellschaft entspricht. Sie können keine Parallelexistenz
führen: auf der einen Seite ein sogenanntes >spirituelles< Leben mit seinen
Werten und Forderungen und auf der anderen Seite das sogenannte >welthafte<
Leben, das heißt das Familienleben, das Leben in der Arbeit, in den sozialen
Beziehungen, im politischen Engagement und in der Kultur. Die Rebe, die im
Weinstock Christi verwurzelt ist, trägt in allen Bereichen ihres Wirkens und
Lebens Früchte. Alle verschiedenen Lebensbereiche des Laien sind im Plan Gottes
inbegriffen. Er will, daß sie der >geschichtliche Ort< der Offenbarung und
Verwirklichung der Liebe Jesu Christi zur Ehre des Vaters und im Dienst der
Brüder und Schwestern werden. Jedes Tun, jede Situation, jede konkrete
Verpflichtung - wie zum Beispiel die Kompetenz und die Solidarität der Arbeit,
die Liebe und Hingabe in der Familie und in der Erziehung der Kinder, der
soziale und politische Dienst, das Künden der Wahrheit auf dem Gebiet der Kultur
- sind privilegierte Gelegenheiten für einen >ständigen Vollzug von Glaube,
Hoffnung und Liebe< (II. Vat. Konzil, Dekret Apostolicam actuositatem).«11
Die
Erfahrung lehrt uns, daß der gute Wille allein noch nicht reicht. Der Geist
bedarf der Hilfe durch das Sinnenhafte: das Kreuz auf dem Arbeitstisch, ein
blumengeschmücktes Marienbild in der Wohnung, ein Familienfoto auf dem
Schreibtisch oder selbst ein ganz banaler Gegenstand - eine Streichholzschachtel
- können unsere Aufmerksamkeit wachhalten. Manchmal fällt unser Blick aus dem
Fenster vielleicht auf einen Kirchturm: »Von deinem Arbeitsplatz aus schickst du
dein Herz hin und wieder zum Tabernakel und läßt es ganz schlicht sagen: Mein
Jesus, ich liebe dich.
Hab keine
Angst, ihn so zu nennen: >Mein Jesus<, und es oft zu wiederholen.«12
Nicht die
vielen Beschäftigungen als solche sollen uns beunruhigen, sondern die Gefahr, in
ihnen zu versinken. Die emsige Marta wird das Wort des Herrn beherzigt haben:
Nur eines ist notwendig. Warum? Auch hier gibt uns Christus eine klare Antwort:
Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles
andere dazugegeben.13
Gott
suchen, »wie der Steuermann nach dem Winde, wie der vom Sturm Bedrängte nach dem
Hafen«14. Alles, was wir tun, soll von einer großen Sehnsucht nach Gott getragen
sein.
1 Gen
18,1-5. - 2 vgl. Gen 19,2.18. - 3 Augustinus, Gottesstaat, 16,29. - 4
Katechismus der Katholischen Kirche, 2571. - 5 vgl. Joh 11,1-45; 12,1-9. - 6 R.
Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S. 221. - 7 Lk 10,40. - 8 J. Escrivá,
Christus begegnen, 126. - 9 Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, 114. - 10
Johannes Cassianus, Unterredung mit den Vätern, I. - 11 Johannes Paul II.,
Apost. Schreiben Christifideles Laici, 30.12.88, 59. - 12 J. Escrivá, Im Feuer
der Schmiede, Nr. 746. - 13 Mt 6,33. - 14 Ignatius von Antiochien, Brief an
Polykarp, 2.