JAHRESKREIS
30. WOCHE - MITTWOCH
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SPÄTER
WIRST DU ES BEGREIFEN
Unbegreifliches beim Letzten Abendmahl.
Die göttliche Vorsehung und das Gebet.
Reich Gottes und irdisches Engagement.
I. Was
Jesus wußte, mögen die Jünger geahnt haben: es war das letzte Beisammensein vor
Beginn seines Leidensweges. Er
stand vom Mahl auf, legte sein Gewand
ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch1.
»Die Fußwaschung, die der Meister an den Jüngern vornimmt, hat nicht den Sinn,
sie zu >reinigen<, sondern mit ihr ehrt der Herr auf die rührendste und zarteste
Art seine Freunde. (...) Diese Fußwaschung war also etwas ganz anderes als die
übliche, die nach der Etikette und pharisäischen Praxis Gästen beim Betreten des
Hauses zuteil wurde. Das ist allein schon daran zu erkennen, daß die Waschung
nicht die Feier des Paschamahles einleitet, sondern in sie eingefügt ist.«2
Mehr als
fünfzig Jahre danach schreibt der Evangelist den Verlauf jenes Abends nieder;
und doch erinnert sich Johannes an jede Einzelheit, jeder Handgriff des Herrn
steht ihm vor Augen, als wäre es gestern gewesen:
Dann goß er Wasser in eine Schüssel
und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen,
mit dem er umgürtet war. Die überraschende Geste überwältigt die
Apostel. Sie verfolgen das Geschehen staunend und sprachlos. Erst als Petrus -
ungestüm wie immer - an die Reihe kommt, wird es unruhig:
Du, Herr, willst mir die Füße
waschen? Jesus antwortet:
Was ich tue, verstehst du jetzt noch
nicht; doch später wirst du es begreifen. Das nachösterliche
Verstehen wird dem Apostel die tiefere Bedeutung jener Geste des Herrn
erschließen. Die er zu Säulen seiner Kirche gemacht hat, sollen Diener sein:
Ich habe euch
ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.
Jesus
faßt in dieser letzten Begegnung sein ganzes Leben zusammen. »In der Fußwaschung
stellt sich dar, was Jesus tut und was er ist. Er, der der Herr ist, steigt
herunter; er legt die Gewänder der Herrlichkeit ab und wird zum Sklaven, der an
der Tür steht und den Sklavendienst der Fußwaschung für uns tut. Dies ist der
Sinn seines ganzen Lebens und Leidens: daß er sich zu unseren schmutzigen Füßen,
zum Schmutz der Menschheit herunterbeugt und daß er in seiner größeren Liebe uns
rein wäscht.«3
Wir
können heute Geste und Worte des Herrn in jener Stunde besser als seine Jünger
damals deuten. Aber das
Später wirst du es begreifen
trifft auch auf uns in einem neuen Sinn zu. Es meint nicht nur das Geheimnis
jenes heiligen Geschehens beim Letzten Abendmahl, sondern alles Dunkle und
Rätselhafte in unserem eigenen Leben. Wir wollen heute dieses Herrenwort
herausgreifen und in die Mitte unserer Betrachtung stellen.
Wie
vieles entzieht sich unserem Verstehen! Wir nehmen es gläubig an und nennen es
Gottes Fügung: familiäre Bedrängnisse, geschäftliche Mißerfolge, eine mißratene
Ernte, ein gekündigter Arbeitsplatz, eine Mutter, die jung an Krebs sterben muß
... Der Verstand erfaßt nur das konkrete Geschehen, Gott hingegen sieht das
Ganze in reiner Gegenwart und als einzelnes Moment dem Ziel der ewigen
Glückseligkeit zugeordnet.
»Was
durch die Vorsehung im Leben des Menschen geschieht, ist ein Teil der kommenden
Welt, in welcher, auf einer neuen Erde und unter einem neuen Himmel, der neue
Mensch leben wird (Offb
21,1). Diese Welt entsteht schon jetzt, um den Menschen her, der sich der
Vorsehung öffnet; offenbar wird sie erst am Ende aller Dinge.«4
Warum
sollten wir uns nicht der liebevollen Vorsehung Gottes anvertrauen, wenn wir im
Umgang mit Menschen Situationen erleben, die wir nur glaubend meistern können?
Am Ende unseres irdischen Lebens werden wir das Warum erfahren und Gottes
väterliche Hand hinter allem erkennen: in den großen Rätseln wie in den
unscheinbaren Dingen. Groll, Niedergeschlagenheit oder Resignation angesichts
unbegreiflicher oder auch empörender Geschehnisse verblassen, wenn wir das Wort
des Herrn an Petrus auch als ein Wort an uns heute betrachten:
Was ich tue,
verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen.
II. In
einer der für die heutige Messe vorgesehenen Lesungen hören wir die Worte des
Apostels Paulus an die Römer:
Wir wissen, daß Gott bei denen, die
ihn lieben, alles zum Guten führt.5
Gott ordnet in seiner Vorsehung alles, was geschieht, auf das Heil des Menschen
hin. Entweder ist es gut, und Gott will es; oder es ist schlecht, und Gott will
es nicht, läßt es aber zu, weil er die menschliche Freiheit und die gesetzte
Ordnung der Natur respektiert. Aus allem vermag er Gewinn für die Seele zu
ziehen. Deshalb können wir auch dem Ungemach, das uns zustößt, mit einem
schlichten, demütigen Stoßgebet des Vertrauens begegnen: Herr, du weißt es
besser als ich. Ich verlasse mich auf dich. Später werde ich es begreifen ...
»Kummer?
Konflikte wegen dieser oder jener Angelegenheit? ... Siehst du nicht ein, daß
dein Vater, Gott, es so will ... und daß er gut ist und dich - dich allein! -
mehr liebt als alle Mütter dieser Erde ihre Kinder lieben können?= 6 Eine
lebendige Gotteskindschaft läßt uns entdecken, daß Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft in den Händen unseres Vaters sind. Alles ist auf unser Wohl hingeordnet
- auch das, was wir gern anders gehabt hätten. Der Rat des Petrus an die ersten
Christenverleiht Gelassenheit und Frieden auch inmitten größter
Widerwärtigkeiten:
Werft alle eure Sorgen auf ihn, denn
er kümmert sich um euch.7
Das Gebet
ist der eigentliche Ort, um diese Gewißheit immer stärker im Leben zu verankern.
Betend lernen wir, »was die Feuerprobe des Glaubens an die Vorsehung ausmacht,
nämlich die Annahme des Schweren und Schmerzlichen. Solange die Dinge sich nach
Wunsch fügen oder das Widrige noch als kraftsteigerndes Hindernis empfunden
wird, ist es leicht, zu glauben, alles werde durch vorsehende Liebe gefügt. Die
Größe der Forderung zeigt sich erst, wenn Blick und Wille nicht mehr durchkommen
und das Herz den Sinn aus dem ganzen Geschehen schwinden fühlt. Dann ist es Zeit
für den >Sieg, der die Welt überwindet, unsern Glauben<. Dieser Glaube
vergewissert sich aus Gottes Wort, daß alles Geschehene in seiner Vorsehung
steht, auch wenn er es nicht empfindet. Er hält fest, daß hinter der scheinbaren
Verworrenheit die Fügung waltet, hinter dem Verlust ein noch nicht erkennbarer
Gewinn liegt und dadurch alle Not hindurch etwas Gültiges heranwächst. Dieses Ja
zu Gottes Weisheit und Macht wird im Gebet gelernt. In immer neuen Versuchen,
aufrichtig, großmütig und tapfer, übt das Herz sich in das Ja zur geheimnisvoll
waltenden Liebe Gottes ein.«8
Keiner
kann besser für uns sorgen als Gott. Menschen, die uns lieben, können sich mit
ihrem gutgemeinten Rat irren. Gott nicht. Er ist der Allweise und Allmächtige,
der, wenn wir uns ihm überlassen, uns
9,
zart und mit fester Hand zum Ziel unseres Lebens führt. Selbst Sünden und Fehler
können uns dann zum Guten gereichen, denn sie bewegen uns zu Reue und Umkehr.
Der
Glaube an Gottes Vorsehung erfüllt uns in jeder Situation mit Dankbarkeit -
manchmal spontan, weil wir Gutes und Schönes erfahren, manchmal gegen die sich
auflehnende Natur, weil wir in der schmerzlichen Krankheit oder in der
schlechten Nachricht nur mühevoll die zarte Berührung Gottes erkennen. »Es ist
Gott sehr wohlgefällig, wenn wir bei außergewöhnlichen Ereignissen ihm durch ein
Te Deum
danken und seine Güte preisen. Ob es in den Augen der Welt ein gutes oder
schlechtes Ereignis ist, soll für uns nicht ausschlaggebend sein. Alles kommt
aus seiner väterlichen Hand; auch wenn ein Schlag sehr schmerzt, er ist ein
Zeichen seiner Liebe. Denn er will damit unsere Kanten abschleifen,
vervollkommnen!«10
III. »In
der Bergpredigt wird als Beispiel dafür, wie Gott gegen seine Geschöpfe gesinnt
sei, auf die Vögel hingewiesen, welche Nahrung finden, ohne zu säen und zu
ernten, und auf die Anemonen auf dem Feld, die mit Schönheit angetan sind, ohne
dafür spinnen noch weben zu müssen. Das sieht zunächst nach einer frommen Idylle
aus; dann aber folgt ein Satz, der zeigt, wie ernst alles ist: >Trachtet zuerst
nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und das alles wird euch
hinzugegeben werden.< (Mt
6,33). Dieser Satz sagt, was der Herr unter gläubiger Gottesverbundenheit
versteht: daß der Mensch >zuerst< nach dem Reiche Gottes und dessen
Gerechtigkeit trachte, vor allem anderen und mehr als nach allem anderen; daß er
also die Sorge um das Reich zur eigentlichen Mitte und Macht in seinem Leben
mache.«11
Von
dieser Mitte her vermögen wir die Ereignisse in unserem eigenen Leben und in der
Welt einzuordnen. Daß Gott für uns sorgt und alles zum Guten zu lenken vermag,
rechtfertigt freilich weder Trägheit noch Passivität. So, wenn wir krank sind:
das Aufopfern der Schmerzen entbindet uns nicht von der Pflicht, uns ärztlichen
Rat zu holen. Und die Ungerechtigkeit in der Welt, Mißstände in der Gesellschaft
oder die mangelnde Bildung vieler Menschen bleiben eine Herausforderung an uns,
zusammen mit anderen Menschen Abhilfe zu schaffen, auch wenn wir wissen, daß wir
diese Übel niemals ganz werden ausrotten können.
Nichts
ist dem christlichen Geist fremder als ein mißverstandenes, weil bequemes
Gottvertrauen, als Passivität angesichts von Leid und vielfacher Not. Der Herr
kann auch etwas zum Guten wenden, was in unseren Augen ein »Scheitern= ist, nur
unsere Unterlassungen nicht. Er rechnet damit, daß wir - nach geeigneten Mitteln
und Lösungen suchend - Verstand, Klugheit und Erfahrung einsetzen.Vor allem aber
gewinnen wir eine tiefere Sicht des Ganzen: »In dem Maße, als sich ein Mensch
auf Gottes Willen einläßt und sein Leben ändert, ändert sich auch sein
>Schicksal<. Der Mensch, der mit Gott ins Einvernehmen kommt, kommt auch mit der
Welt ins Einvernehmen. Die Dinge und Geschehnisse verlieren dann ihre Fremdheit
und erscheinen in besonderer Weise von Gott >zugefügt<. Wo dies geschieht, da
ist für den, der glaubt, Gott schon jetzt >alles und in allem<. Auch wenn er
unter Umständen keine anderen äußeren Verhältnisse schaffen kann, werden sie
doch anders, weil er weiß, daß ihn nichts scheiden kann von der Liebe Christi
(vgl. Röm
8,35) und >daß die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu
der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll< (Röm
8,18).«12
Deshalb
können wir beten : ...
omnia in bonum! Auch
das jetzt Unbegreifliche wird gut werden. Die Ratlosigkeit des Petrus drückte
sich in einem leidenschaftlichen Protest aus. Aber auch er beugte sich dem Wort
des Herrn:
Später wirst du es begreifen. Wie Petrus verlassen auch wir uns
darauf, denn wir sind in den Händen unseres Vatergottes.
Joh
13,4 ff. -
2 P.Berglar,
Petrus
- Vom Fischer zum Stellvertreter, München 1991, S.111. -
3
J.Ratzinger,
Eucharistie - Mitte der Kirche,
München 1978, S.11. -
4 R.Guardini,
Vorschule des Betens, Mainz 1986, S.125. -
5
Röm
8,28. -
6 J.Escrivá,
Im
Feuer der Schmiede, Nr.929. -
7
1 Petr
5,7. -
8 R.Guardini, a.a.O.,
S.131. -
9 vgl.
Weish
8,1. -
10 J.Escrivá,
Im
Feuer der Schmiede, Nr.609. -
11 R. Guardini, a.a.O.,
S.123. -
12
Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bonn 1985, S.104.