JAHRESKREIS
29. WOCHE - DIENSTAG
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LIEBENDE
WACHSAMKEIT
Mit
brennenden Lampen.
Wachsamkeit und Wachsein.
Die Unruhe des Herzens.
I.
Legt euren
Gürtel nicht ab, und laßt eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf die
Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen,
sobald er kommt und anklopft.1
Aus dem
alttestamentlichen Buch Exodus kennen wir die Mahnung:
eure Hüften gegürtet, Schuhe an den
Füßen, den Stab in der Hand2
- so in Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen, sollen die Juden das
Paschaopfer feiern. »Die Jünger sollen Sklaven gleichen, die ihren zu einem
Festmahl geladenen Herrn zurückerwarten und gerüstet sein müssen, ihn sogleich
zu empfangen.
Das
Gürten der Lenden dient zum Aufschürzen des Gewandes, in diesem Fall zur Arbeit,
ist also Zeichen der Bereitschaft, die brennenden Lampen aber bezeichnen die
Wachsamkeit.«3
Der Herr
ermahnt uns wieder einmal, wachsam zu bleiben wie jemand, der den entscheidenden
Moment nicht verpassen will oder, schon unterwegs, sich weder von den Reizen des
Vorläufigen ablenken, noch sich von erdenschwerer Müdigkeit halten läßt. Es ist
die Situation eines Menschen, der auf einen wichtigen Besuch wartet. Das
Kommende ist wichtiger als der gegenwärtige Augenblick. Aber auch dieser
Augenblick hat seine Bedeutung, führt er doch dem Ziel näher.
Cor meum
vigilat
- dieses Wort aus dem Hohenlied verweist auf das eigentliche: Innerlich wachsam
zu bleiben, trotz Müdigkeit.
Ich schlief, doch mein Herz war wach,
heißt es in der deutschen Übersetzung; wachsam bleiben,
wie ein einsamer Vogel auf dem Dach5,
so heißt es in einem anderen Psalm, trotz verlockender Ablenkungen ringsum.
Wachsamkeit ist Sache des Herzens, eines Herzens, das liebt und seine Liebe
nicht aufs Spiel setzen will, eines Herzens, das, wie man früher einmal sagte,
vor Sehnsucht vergehen und dessen Liebe sich der Fesseln von Zeit und Raum
entledigen möchte. Wie oft ist in der Heiligen Schrift vom Herzen als der Mitte
des Menschen die Rede. Gott, der
6,
befähig uns zu wachen.
Wenn nicht der Herr die Stadt
bewacht, wacht der Wächter umsonst.7
Ihn bitten wir heute um das Geschenk einer hellwachen Liebe, aufmerksam für den
Augenblick und voller Verlangen nach den Verheißungen Gottes.
II.
Ich will auf
meinem Wachtturm stehen, ich stelle mich auf den Wall und spähe aus, um zu
sehen, was er mir sagt, was er auf meine Klage entgegnet.8
Der heilige Bernhard kommentiert diese Worte mit einem Hinweis auf unsere
gegenwärtige Erdensituation: »Seien auch wir wachsam, Brüder, denn wir sind
dabei, eine Schlacht zu schlagen.«9
Was aber
kann Wachsamkeit für uns bedeuten? Es kann nicht allein um Ausnahmesituationen,
es muß um unseren Alltag gehen, und das heißt, auch gewappnet zu sein gegenüber
immer wiederkehrenden Gefahren, die wir zu meiden suchen, oder Chancen, die wir
nutzen möchten. Das Bemühen um Wachsamkeit ist das Gegenteil von Lauheit.
Manchmal wird es in der entschlossenen Art konkret, wie wir uns an die
vorgesehene Zeit des Gebetes halten, wohl wissend, daß wir diese Zeit brauchen,
um Kraft und Frieden zu finden.
Ein
anderes Mal wird die Wachsamkeit darin bestehen, uns vor den Schwaden der
Routine zu schützen, uns im Umgang mit den anderen nicht von schlechter Laune
leiten zu lassen, die sich in einer verletzenden Bemerkung oder in Rechthaberei
ihr Ventil suchen könnte. Auch das Ernstnehmen unserer Arbeit erfordert eine
wachsame Haltung.
Der Kampf
in den kleinen Dingen stärkt die Seele und macht sie hellhörig für die
Anregungen des Heiligen Geistes. Der innere Feind ist dann besonders gefährlich,
wenn wir seine Nähe nicht merken: »Vergessen wir nicht: weder die Spitzhacke
noch die Axt, noch die Schläge sonst eines Werkzeugs, so scharf es auch sein mag,
sind die gefährlichsten Feinde des Gesteins, sondern das Wasser, das
tropfenweise in die Ritzen der Felsen sickert, bis es das Gefüge sprengt.
Hier
liegt für den Christen die große Gefahr: die täglichen Scharmützel zu
vernachlässigen, was nach und nach seine Spuren in der Seele hinterläßt, so daß
sie schließlich schlaff und spröde wird, gleichgültig und unempfänglich für die
Stimme Gottes.«10
III. Es
ist schön zu sehen, wie sich der Herr im Gleichnis freut, weil die Kechte ihn
nicht vergessen, sondern beharrlich auf ihn gewartet haben:
Selig die Knechte, die der Herr wach
findet, wenn er kommt. Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch
Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Der Herr
verheißt diesen Dienern seine besondere Nähe und eine tiefere Intimität mit
sich, weil sie es verstanden haben, die innere Spannung eines wachsamen Herzens
durchzuhalten.
Wir
ahnen, daß diese Worte des Herrn an uns gerichtet sind. Wachsamkeit des Herzens
bedeutet, auf die lauernden Gefahren zu achten, die Neigung etwa zu
gelangweilter Lauheit: man will sich nicht zu sehr verausgaben, nichts
riskieren. Die Seele versackt so im kalkulierten Mittelmaß. Das Herz empfindet
eine Leere, die nach Ersatz sucht. Und Ersatz wird gefunden in tausend
subjektiven Bedürfnissen, überflüssig, banal, frivol.
Aber
Wachsamkeit ist nicht nur diese Vorsicht gegenüber Gefahren, sondern - als
Wachheit des Herzens - auch das Gespür für alles Gute und Schöne in der
Schöpfung. Es befähigt uns, noch mehr im Winzigen die Größe Gottes zu entdecken.
Es versteht es, Treue mit Treue zu erwidern, Freundschaft mit Freundschaft. Es
fühlt sich gedrängt, zu danken für einen geglückten Tag, eine schöne Stunde, ein
erleuchtendes Gespräch.
Auf das
eindringlichste hat der große Kirchenvater Augustinus, der oft mit einem
flammenden Herzen in der Hand dargestellt wird, diese innere Spannung
geschildert, die ausgreift über alles Irdische hinweg auf das Ewige hin: »Denn
du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in
dir.«11 Er selbst schildert diese Unruhe des Herzens in einem unvergeßlichen
Bild.
Er war im
Begriff, zusammen mit seiner Mutter Monika und seinem Bruder sich von Ostia aus
nach Afrika einzuschiffen. Mit seiner Mutter steht er abends am Fenster, und
beide schauen hinaus auf das Meer.
Mutter
und Sohn unterhalten sich über die Ewigkeit Gottes: »Sie sagen, wie es wohl sein
werde, wenn einmal Erde und Meer für uns versinken, wenn es nicht mehr
Vergangenheit und Zukunft, sondern nur noch das eine ewige Heute Gottes gibt?«
Augustinus fügt dann hinzu: »In diesem Augenblick wurde uns geschenkt, einen
Herzschlag lang an das Geheimnis des Ewigen zu rühren.«12 Wenige Tage später
starb die Mutter.
Ein
waches Herz haben bedeutet, diese Sehnsucht nach Gott in sich zu schüren. Es
heißt, den Heiligen Geist in uns wirken zu lassen. Zu ihm beten wir:
Accende lumen
sensibus13.
Zünde an in unseren Sinnen ein Licht, laß unsere Lampen brennen!
Infunde amorem
cordibus! Gieße ein in unsere Herzen deine Liebe, damit wir es dem
Herrn öffnen,
wenn er kommt und anklopft.
12,35-38. -
12,11. -
Regensburger Neues Testament,
Bd.3, Regensburg 1955, S.222. -
5,2. -
102,8. -
vgl.
7,10. -
127,1. -
2,1. -
Bernhard von Clairvaux,
,
5,4. -
J.Escrivá,
Christus
begegnen,
77. -
Augustinus,
Bekenntnisse,
1,1. -
J.Kard.Ratzinger,
Dogma und
Verkündigung,
München 1973, S.428. -
Sequenz
Veni
Creator Spiritus.