Jahreskreis
22. Woche - Samstag
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nazaret,
kana, jerusalem
Der
Glaube Marias.
Von Nazaret nach Kana.
Jerusalem: Das Kreuz.
I. Die
Nähe zum Sonntag mag dazu beigetragen haben, von altersher den Samstag als einen
besonders der Gottesmutter geweihten Tag anzusehen. Ein Wort der heutigen Lesung
hilft uns, an diesem Samstag diese alte Gewohnheit aufzugreifen und in unserem
Gebet auf Maria zu schauen. Das Wort, das den Korinthern galt, gilt auch uns:
Was hast du, das
du nicht empfangen hättest?1
Und die Konsequenz:
Wenn du es aber empfangen hast, warum
rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen? Maria war sich
dessen wie kein anderes Geschöpf bewußt, und sie läßt es im
Magnificat wunderbar zu
Gebet werden:
Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen
Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.2
Der
Apostel will die Korinther mit der Wahrheit ihres Lebens und ihres Glaubens
konfrontieren. Immer ist es so: »Wahrheit leuchtet nur auf, wenn der Mensch der
Wirklichkeit jeweils so gegenübertritt, wie sie es selbst verlangt. Je höher das
Wirkliche steht, desto größer ist die Anforderung, die es an den erkennenden
Geist stellt; desto größer aber auch die Versuchung, sie auf die Ebene der
tiefer stehenden Dinge herunterzuziehen, weil er es dann bequemer hat.3 Der homo
faber, salopp gesprochen: der Macher unserer Zeit, neigt zu einer solchen
Verkürzung von Wahrheit und Wirklichkeit, wenn er das autonome Selbst
verherrlicht und sich damit jenseits von Hilferuf und Dankesschuld stellt.
Auch uns
tut hin und wieder eine tiefere, eine betende Besinnung not, damit wir uns als
die Niedrigen
sehen, die Gott
erhöht, und als
die Hungernden, die er
mit seinen Gaben
beschenkt4.
Wir schauen auf Maria, in der sich am vollkommensten die Wahrheit des Geschöpfes
widerspiegelt. Der heilige Augustinus erklärt, ihre Seligkeit liege nicht so
sehr im Empfangen selbst, als in der Art, wie sie empfing, nämlich in Glaube,
Demut und Dankbarkeit: »Seliger ist Maria dadurch, daß sie den Glauben an
Christus vollzog, als daß sie das Fleisch Christi empfing. Die mütterliche Nähe
hätte ihr nichts genutzt, wenn sie nicht glücklicher Christus im Herzen als im
Leibe getragen hätte.«5
Durch die
Verkündigung wurde Maria »endgültig in das Geheimnis Christi eingeführt«6. Ihr
Glaube eröffnet den Neuen Bund. Aber die Verkündigung war nicht nur der
Höhepunkt ihres Glaubens an die göttlichen Verheißungen, sondern auch »der
Ausgangspunkt, an dem ihr ganzer >Weg zu Gott<, ihr Glaubensweg insgesamt,
beginnt«7. Sie wird Mutter des Erlösers - das ist das Geheimnis ihrer Berufung.
Sie ist unsere Mutter - das ist Teil unserer Begnadung. Beides - schon
prophetisch nach der Ursünde in der Verheißung an die Stammeltern angedeutet -
verwirklichte sich in einem präzisen = 7. Sie wird Mutter des Erlösers - das ist
das Geheimnis ihrer Berufung. Sie ist unsere Mutter - das ist Teil unserer
Begnadung. Beides - schon prophetisch nach der Ursünde in der Verheißung an die
Stammeltern angedeutet - verwirklichte sich in einem präzihistorischen
Augenblick, den Paulus
8
nennt. In jenem Augenblick überantwortete sich Maria vollkommen Gott und brachte
seinem Boten den
9
entgegen.
Maria ist
uns der wegweisende Meeresstern. So grüßt sie die Kirche im liturgischen Hymnus
10
aus dem 9. Jahrhundert:
Meerstern
sei gegrüßet, Gottes hohe Mutter, allzeit reine Jungfrau, selig Tor zum Himmel!
Du nahmst an das AVE aus des Engels Munde. Wend den Namen EVA, bring uns Gottes
Frieden. Zeige dich als Mutter, denn dich wird erhören, der auf sich genommen,
hier dein Sohn zu werden (...). Gib ein lautres Leben, sicher uns geleite, daß
wir einst in Freuden, Jesus mit dir schauen.
II. In
dem Augenblick, da sich die Menschwerdung des Sohnes Gottes vollzog, entstand
die erste christliche Berufung. Diese in der Abgeschiedenheit von Nazaret sich
vollziehende Berufung Mariens entfaltete sich nach und nach im Licht des
Glaubens. Hellhörig für Gottes heiligen Willen, gab sie ihrem Sohn liebevoll
alles, was eine gute Mutter geben kann. Gerne wüßten wir mehr über die
Empfindungen Marias in der Zeit der Erwartung ihres Sohnes. Alles muß ihr neu
erschienen sein. Das Evangelium gewährt nur hier und da einen kurzen Blick in
den Alltag derer, die in die Menschwerdung gleichsam hineingenommen waren - wie
im Magnificat
-, als wollte es andeuten, der Lichtstrahl der Verkündigung genüge, um die Jahre
seines verborgenen Lebens zu erhellen.
Auch
nachdem Jesus sein öffentliches Leben begonnen hat, bleibt Maria im Schatten -
nur gelegentlich eine kurze Erwähnung wie bei der Hochzeit zu Kana11.
Jesus hatte da schon die ersten Jünger um sich geschart. Haben sie seine Mutter
bei dieser Gelegenheit kennengelernt? Die Stunde Jesu, die
noch nicht gekommen
war, brach durch ihre Vermittlung an.
So tat Jesus sein erstes Zeichen, in
Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an
ihn. Die Mutter leitete den Anfang der Machtzeichen Jesu und des
Glaubens seiner Jünger an ihn ein. Es war »ein erstes Aufleuchten der Wahrheit
von der mütterlichen Sorge Marias«12.
»Maria
ist Lehrmeisterin des Glaubens. Selig bist du, da du geglaubt hast! (Lk
1,45) Das ist der Gruß ihrer Base Elisabet, als Maria sie in dem Gebirgsdorf
besucht. Wunderbar war der Akt des Glaubens, den Maria verrichtet hat: Siehe,
ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort (Lk
1,38). Als ihr Sohn geboren wird, bestaunt sie die Großtaten Gottes auf Erden:
Engelchöre, Hirten und Große dieser Welt beten das Kind an. Aber danach muß die
heilige Familie nach Ägypten fliehen, um den verbrecherischen Plänen des Herodes
zu entgehen. Und dann kommt die Zeit des Schweigens: dreißig Jahre eines
einfachen, gewöhnlichen Lebens, wie bei jeder anderen Familie in einem kleinen
galliläischen Dorf.«13
Gebete,
Lieder, Bilder, Äußerungen der Volksfrömmigkeit und der Kunst versuchen immer
wieder die Innigkeit dieses Schweigens zu deuten. »In der Person Mariens und
ihrer Erscheinung haben Maler, Bildhauer und Schreiber den Widerschein von Gnade
und Sündelosigkeit nachzuformen gesucht. Denn es gibt Unschuld, wie es Schuld
gibt. Und es existiert das Verlangen, der Unschuld zu huldigen. Vielleicht
versteht sie der am besten, der sich selbst in der Verstrickung seiner Schwäche
begriffen hat und der mit seinen Fehlern im Streit liegt.«14 Er mag besonders
gut schlichte Stoßgebete wie »Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen
gib« oder die Worte aus dem Salve Regina ermessen können: »Zeige uns Jesus, die
gebenedeite Frucht deines Leibes« Es sind Gebete der Hoffnung und der Sehnsucht,
Jesus nicht aus den Augen zu verlieren. Dies wird besonders beim Rosenkranz
deutlich. Er ist wie eine große Bitte an Maria: Lehre uns heute, Jesus so zu
sehen, wie du ihn damals sahst. Ob als Kind in der Kr»ppe, den im Tempel
Wiedergefundenen oder in Getsemani Verlassenen und am Kreuz Leidenden - im
Rosenkranz verbinden sich Schauen und Bitten, Glauben und Hoffen. Eines der
strengsten und kraftvollsten Mariengebete - das älteste uns bekannte,
überliefert auf einem alten Papyrusstück vom Ende des dritten Jahrhunderts - ist
das Sub tuum
praesidium. »In seiner Urform, die wie ein Aufschrei der
Bedrängten zur >Mutter Gottes<, zur einzig >reinen< und >begnadeten Jungfrau<
wirkt und wie ein Ruf um Befreiung aus >allen Gefahren< (vielleicht in schwerer
Verfolgungszeit), kommt gleichsam etwas vom Urgestein einer kernhaften
Marienverehrung zum Vorschein.«15 Neben das älteste Gebet stellen wir einen
zeitgenössischeu Hilferuf an die Mutter der Barmherzigkeit:
»Alles
möcht ich dir erzählen, alle Sorgen, die mich quälen, alle Zweifel, alle Fragen,
möcht ich, Mutter, zu dir tragen. Wege, die ich selbst nicht kenne, liebe Namen,
die ich nenne. Schuld, die ich mir aufgeladen, andern zugefügten Schaden.
Ärgernis, so ich gegeben, all mein Wollen, all mein Streben, mein Beraten, mein
Verwalten, mein Vergessen, mein Behalten. Mein Begehren, mein Verzichten und
mein Schweigen und mein Richten. Alle kleinen Kleinigkeiten, die so oft mir Müh'
bereiten, jedes Lassen, jede Tat, Mutter, dir, vom guten Rat, leg ich alles in
die Hände, du führst es zum rechten Ende.«16
III. Was
in Kana geschah, entsprang gewiß auch fraulicher Intuition, war aber keine
privat-häusliche Szene, sondern als Anfang des messianischen Wirkens Christi von
heilsgeschichtlicher Dimension. Eine andere Stelle desselben Evangeliums
bestätigt »diese Mutterschaft in der Heilsordnung der Gnade an ihrem Höhepunkt,
das heißt, als sich das Kreuzesopfer Christi, sein österliches Geheimnis,
vollendet«17. Maria steht am ersten Opferaltar des Neuen Bundes. »Ihr werdet sie
nicht beim Einzug in Jerusalem finden, noch - mit Ausnahme von Kana - zur Stunde
der großen Wunder. Aber sie flieht nicht vor der Verachtung auf Golgota, sie
steht da, >iuxta crucem Jesu<, unter dem Kreuz Jesu.«18 Dort erhält sie den
Auftrag, für den mystischen Leib Christi zu sorgen: Als Jesus seine Mutter
sah und bei ihr den jünger, den er liebte, sagte er Zu seiner Mutter: Frau,
siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem jünger: Siehe, deine Mutter!19 Dies
war die letzte Gabe des Herrn an uns vor seinem Hinscheiden am Kreuz: er gab uns
seine Mutter zu unserer Mutter. Einige Kirchenväter haben dieses Geschehen »so
gedeutet, daß Maria als Mutter Jesu hier das Heil von ihrem Sohne bei der
Vollendung der Erlösung gleichsam nochmals annimmt und empfängt, und zwar in
Ausweitung ihrer ersten Annahme bei der Verkündigung.«20 Maria trägt unter dem
Kreuz das Opfer ihres Sohnes glaubend mit und hat so in einzigartiger Weise
Anteil am Werk der Erlösung.
Sie lehrt
uns, neben dem Kreuz auszuharren - denn auch wir haben unser Golgota. Und sie
lehrt uns, das Erlösungswerk Christi anderen Menschen zuteil werden zu lassen.
Maria »gab sich als Magd des Herrn ganz der Person und dem Werk ihres Sohnes hin
und diente so unter ihm und mit ihm in der Gnade des allmächtigen Gottes dem
Geheimnis der Erlösung«21. Origenes äußert im 3. Jahrhundert den mystischen
Gedanken, daß Maria in jedem Christen Jesus sieht; denn der Herr habe nicht
gesagt: Dieser ist auch dein Sohn, sondern Siehe, dein Sohn.
Dies ist
die eine Seite des Geschehens zu Füßen des Kreuzes: Jesus hat uns seiner Mutter
anvertraut. Die andere Seite ist: Jesus
sagte zu dem Jünger: Siehe, deine
Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Dieses Aufnehmen der Mutter Christi ins eigene Leben ist ein
selbstverständliches Merkmal der Christusnachfolge. Wir nehmen sie in unsere
Mitte - wie damals in Erwartung des Heiligen Geistes - und entdecken dann, daß
sie über uns wacht.
Der
selige Josemaría Escrivá hat sich gern unter der Anrufung
Turm der Stadt an sie
gewandt, in Erinnerung an Unsere Liebe Frau im Heiligtum von Torreciudad zu
Füßen der spanischen Pyrenäen. »Die Mutter Gottes sei für uns
Turris civitatis,
der Turm, der die Stadt bewacht; die Stadt, die ein jeder von uns ist, mit
soviel Kommen und soviel Gehen in ihr, mit soviel Gedränge und soviel Ruhe, mit
soviel Unordnung und soviel Ordnung, mit soviel Lärm und soviel Stille, mit
soviel Kampf und soviel Frieden.«22
4,6b-15. -
1,46-48. -
R. Guardini,
Die
letzten Dinge,
Mainz 1969, S.62. -
vgl.
1,52-53. -
Augustinus,
Über die
Jungfräulichkeit.
-
Johannes Paul II., Enz.
Redemptoris Mater,
8. -
ebd., 14. -
4,4. -
vgl.
16,26. -
Hymnus
Ave Maris
stella.
-
vgl.
2,1-12. -
Johannes Paul II., a.a.O., 22. -
J. Escrivá,
Freunde
Gottes,
284. -
E. Kock,
Du Grund
unserer Freude,
Limburg 1979, S.6. -
L. Scheffczyk,
Maria in
der Verehrung der Kirche,
Wien 1981, S.10. -
Aus einer Wallfahrtskirche im Schwarzwald. -
Johannes Paul II., a.a.O., 23. -
J. Escrivá,
,
Nr.507. -
19, 26-27. -
L. Scheffczyk,
Maria im
Glauben der Kirche,
Wien 1980, S.57. -
Karol Wojtyla,
Zeichen
des Widerspruchs,
Zürich/Freiburg 1979, S.56. -
vgl. S. Bernal,
Aufzeichnungen über den Gründer des Opus Dei,
Köln 1978, S. 343.