JAHRESKREIS
7. SONNTAG (LESEJAHR C)
3
GROSSHERZIGKEIT
Das weite
Feld der Hochherzigkeit.
Vergebungsbereitschaft und Freigebigkeit.
Großmut und Demut.
I. David
ist auf der Flucht vor König Saul. Mitten in der Nacht gelingt es ihm, zusammen
mit seinem Begleiter Abischai unbemerkt in das Lager seines Verfolgers
einzudringen. Sie fanden Saul mitten im Lager schlafend; sein Speer steckte
neben seinem Kopf in der Erde, und rings um ihn schliefen Abner und seine Leute.
Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand gegeben.
Jetzt werde ich ihn mit einem einzige Speerstoß auf den Boden spießen, einen
zweiten brauche ich nicht dafür.1
Sauls Tod
hätte den Verfolgten von allen Gefahren befreit und ihm den Weg zum Thron
geebnet; aber David sieht in seinem Verfolger den König und Gesalbten des Herrn.
Er schont dessen Leben und wählt wieder einmal2 den Weg der Gerechtigkeit und
Treue.
Die Texte
der ersten Lesung eignen sich dazu, die Tugenden der Hochherzigkeit und der
Großmut näher zu betrachten. Im Evangelium sagt uns der Herr: Liebt eure Feinde;
tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen, betet für die,
die euch mißhandeln. Lesung und Evangelium passen zueinander: der künftige König
Israels weist auch hier durch seine Haltung auf den kommenden Messias hin und
nimmt vorweg, was dieser verkünden wird.
Hochherzigkeit ist eine natürliche Tugend, die »ein gewisses Sich-Ausstrecken
des Geistes auf Großes«3 bedeutet. Sie schließt verschiedene Grundhaltungen ein,
die wir hier ohne Rücksicht auf die feinen Unterschiede zusammen betrachten
können: Weite des Herzens, Vergebungsbereitschaft, Freigebigkeit und Güte, die
sich auch dort bewährt, wo man keine Ge= 3 bedeutet. Sie schließt verschiedene
Grundhaltungen ein, die wir hier - ohne Rücksicht auf die feinen Unterschiede -
zusammen betrachten können: Weite des Herzens, Vergebungsbereitschaft,
Freigebigkeit und Güte, die sich auch dort bewährt, wo man keine Ggenleistung
erwartet.
Natürliche Tugenden sind schon in sich wertvoll, aber sie werden im Blick auf
das Übernatürliche fester, vollkommener. Christus geht über die rein natürliche
Hochherzigkeit eines edlen Menschen weit hinaus und verweist auf den Vater: Seid
barmherzig, wie es auch euer Vater ist!
Die
klassische Theologie betrachtet die Tugend der magnanimitas als Teil des
Starkmutes. Man kann den lateinischen Ausdruck mit Hochgemutheit,
Großherzigkeit, Großmut oder Großgesinntheit wiedergeben. Die magnanimitas ist
in den Augen des heiligen Thomas von Aquin »der Schmuck aller Tugenden«4, denn
sie »betrifft auf Grund ihres Gegenstandes alle« und »beabsichtigt, in jeder
Tugend Großes zu leisten, insofern sie nämlich nach dem strebt, was großer Ehre
würdig ist«5. Keine Ehre ist größer, als christusähnlich werden zu wollen, mit
anderen Worten: als das Streben nach Heiligkeit.
Der
Hochherzige nimmt sich hohe Ziele vor und schreckt vor den Hindernissen nicht
zurück: um eines hohen Ideals willen erträgt er die Kritik der Unverständigen,
den Argwohn eines feindseligen Milieus, die üble Nachrede der Neider. Er achtet
mehr auf die geglaubte und erfahrene Wahrheit als auf Meinungen und Gerüchte,
die oft nur auf Halbwahrheiten beruhen.
Die
Heiligen geben uns ein Beispiel der Hochherzigkeit: durch die Ausrichtung ihres
Lebens, durch den Schwung ihrer apostolischen Unternehmungen und auch durch die
Art, wie sie Menschen begegnen - offen und ohne zu vergessen, daß auch die
Verruchtesten die Würde der Gotteskindschaft besitzen und zu großen Idealen
fähig sind. »Großherzigkeit, das bedeutet: großes Herz, weite Seele, für viele
offen. Die Großherzigkeit bewirkt, daß wir aus uns heraustreten und uns zum Wohl
aller für das Große und Wertvolle bereitstellen. Wer diese Tugend besitzt, kennt
die Enge der Kleinkariertheit, des egoistischen Kalküls und der auf Vorteil
versessenen Intrigen nicht, denn er stellt vorbehaltlos seine Kraft in den
Dienst einer Sache, die sich lohnt. Er ist fähig, sich selbst hinzugeben. Nur
geben genügt ihm nicht, er gibt sich selbst. Und so kommt er schließlich dem
höchsten Zeichen der Großherzigkeit auf die Spur: sich Gott hinzugeben.«6
II. Der
hochherzig Gesinnte ist stets bereit zu vergeben. Er rechnet nicht auf: weder
die Schwere des Affronts noch ob es Freund oder Fremder ist, der ihn verwundet.
Seine Vergebungsbereitschaft gründet nicht allein in der natürlichen
Herzensgüte, sondern vor allem in der Nachahmung Christi. Und »nichts macht uns
Gott so ähnlich, als sich gegen die Bösen und Missetäter versöhnlich zu
zeigen«7, lesen wir bei Johannes Chrysostomos.
Die
Vergebungsbereitschaft unseres Herrn kennt keine Grenzen. Christus betet am
Kreuz: Vater, vergib ihnen ... und entschuldigt sogar seine Henker: denn sie
wissen nicht, was sie tun8. Jesus lebt das, was er im heutigen Evangelium lehrt:
Liebt eure Feinde (...), betet für die, die euch mißhandeln.9 Die Märtyrer
folgen diesem Weg. Der erste, Stephanus, stirbt um Vergebung bittend für jene,
die ihn steinigen.10 Ist es dann nicht naheliegend, bereit zu sein,
Kleinigkeiten - darum handelt es sich, gemessen am Martyrium, ja doch meistens
nur - zu vergeben? Man kann sich keinen guten Menschen - und viel weniger einen
Christen - vorstellen, der ständig eine »Revancheliste« bei sich trägt.
Unsere
Fähigkeit zu vergeben wird sich also meistens in den kleinen Dingen des Alltags
bewähren müssen, gelegentlich auch in wichtigeren, etwa wenn uns jemand
absichtlich beleidigt oder gar verleumdet hat. Jedesmal bietet sich dann die
Gelegenheit, zusammen mit der gewährten Vergebung die erlittene Verwundung Gott
als Opfer darzubringen. Und vielleicht gelingt es uns sogar - wie manchen
Heiligen -, nicht einmal vergeben zu müssen, weil wir - auf Gott ausgerichtet -
die Beleidigung nicht einmal gespürt haben.
Neben der
Vergebungsbereitschaft ist ein weiteres Zeichen der Großherzigkeit die
Freigebigkeit. Wem einmal ein Ideal aufgegangen ist, setzt vorbehaltlos alles
dafür ein - Geld, Arbeit, Zeit. Dabei weiß er, daß Gott sich an Großzügigkeit
nicht übertreffen läßt: In reichem, vollem, gehäuftem Maß wird man euch
beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird auch euch
zugeteilt werden.11 Fragen wir uns also, ob wir bereit sind, großherzig vom
Eigenen zu geben; mehr noch, uns entschlossen selbst hinzugeben auf dem Weg, zu
dem der Herr uns berufen hat.
Die
großzügige Bereitschaft, zum Wohl der Menschen und zur Ehre Gottes beizutragen,
wird sich oft im Hergeben, im Schenken und Spenden ausdrücken. Ein großherziger
Mensch ist freigebig - klug die Umstände wertend, aber weder kleinlich noch
knauserig. Die großen Kathedralen des Mittelalters zeugen von diesem Geist: sie
haben »die großen Zeiten einer gemeinsamen Kultur Europas im Bereich des
Glaubens, der Wissenschaft und der Kunst miterlebt«12. Auch bei der Ausstattung
des Gotteskults hat sich die Kirche immer bemüht, »daß die Dinge, die zur
heiligen Liturgie gehören, wahrhaft würdig seien, geziemend und schön: Zeichen
und Symbol überirdischer Wirklichkeiten. (...) Mit besonderem Eifer war die
Kirche darauf bedacht, daß das heilige Gerät würdig und schön zur Zierde der
Liturgie diente.«13 Viele gute Christen haben sich in diesem Geist von kostbaren
Gegenständen getrennt, um ein Gnadenbild oder eine Wallfahrtskirche würdiger
auszustatten. Die verschwenderische Großzügigkeit für die Dinge Gottes mindert
die Gebefreudigkeit für Werke der Caritas, der Erziehung oder der Bildung nicht.
Als Mutter Teresa einmal einen kostbaren Ring geschenkt bekam, sagte sie, sie
wolle ihn nicht zu Geld für die Armen machen, sondern für eine Monstranz
verwenden: »Denn wenn der Herr zu kurz kommt, verhungern mir die Kinder«14.
In
unserer Überfluß-Gesellschaft geschieht es nicht selten, daß
apostolisch-karitative Werke aus Geldmangel ihre Arbeit drosseln müssen. Wie
viel mehr wäre möglich, wenn mehr hilfsbereite Menschen sie mittrügen! Seien wir
also nicht nur selbst gebefreudig, sondern spornen wir auch andere Menschen zur
Mitarbeit an. Die Weite des Herzens erleichtert die Begegnung mit Gott. Manchmal
wird die Aufmunterung an den Freund, großzügig zu sein, zum Prüfstein wahrer
Freundschaft.
III.
»Hochgemutheit ist das Sichspannen des Geistes auf die großen Dinge; wer sich
das Große zumutet und sich seiner würdig macht, der ist hochgemut.«15 Kleinmut
dagegen ist ein Zurückweichen des Willens, Feigheit vor einem großen Streben.
Der Kleinmütige bleibt seinem engen Horizont verhaftet, bequem, träge und ohne
Ideale.
Gott hat
»beherzte Seelen«16 gern, sagt die heilige Theresia von Avila. Und an einer
anderen Stelle schreibt sie: »Wenn ich einer wäre, der zu raten hat, so würde
ich niemals raten, eine oft wiederkehrende gute Eingebung aus Furcht nicht in
die Tat umzusetzen; denn tut man es rein nur um Gottes willen, so soll man nicht
fürchten, daß es schlecht ausfallen wird, da ja Gott mächtig ist, uns in allem
zu helfen.«17 Kleinmut erschwert den Umgang mit Gott.
Kleinkarierte Geister meiden jede Festlegung: etwa durch eine Lebensordnung mit
festen Gebetszeiten oder im geduldigen Voranbringen einer apostolischen
Initiative. Überhaupt wagen sie es nicht, sich hinzugeben - alles erscheint
ihnen zu viel verlangt, sie können das Wort der heiligen Theresia nicht fassen:
»Unbillig ist es, jemandem, der uns so viel gegeben hat und weiterhin gibt,
etwas, womit wir ihm dienen und was wir ihm schenken wollen, (...) nicht mit
aller Entschlossenheit hinzugeben, sondern nur leihweise, wie etwas, das man
zurücknehmen will. Das nenne ich nicht >schenken<.«18
Großmut
wächst in dem Maße, in dem man Umgang mit Christus pflegt. Das Gebetsleben
stärkt den Willen, Großes auf Gott hin zu tun. »Hochgemutheit schließt in sich
eine unbeugsame Festigkeit des Hoffens, eine geradezu herausfordernde
Zuversichtlichkeit und die gänzliche Ruhe eines furchtlosen Herzens. Der
Hochgemute unterwirft sich nicht der Verwirrung des Gemütes, nicht irgendeinem
Menschen, nicht dem Schicksal - nur Gott.«19 Deswegen gehören Großmut und Demut
zusammen. Der Großmutige wagt Großes, weil er weiß, daß nicht sein Können,
sondern die Gnade ihn befähigt, die Werke Gottes zu tun. Augustinus schreibt,
das Wort des heiligen Paulus kommentierend: »Alles vermag ich in ihm, der mich
stark macht (Phil 4,12). So mach mich stark, daß ich es vermöge, gib, was du
forderst, und dann fordre, was du willst.«20
Gott kann
aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen21. Auf diese Macht stützt sich der
Großmutige. Er ist mutig im Apostolat, weil er weiß, daß Gott sich der Menschen
als Instrumente seiner Werke bedienen will, die nur er wachsen läßt22.
Am Schluß
sei noch einmal die heilige Theresia zitiert. Die große Mystikerin mußte sich
mit allerlei Plagen herumschlagen, die sie aber mit Humor ertrug. Mitten in den
Verhandlungen beim Kauf einer Wohnung für eine neue Klostergründung schreibt sie
an einen ihrer Wohltäter: »Der Herr verleihe Ihnen und mir die Gnade, zu
erkennen, wie wir ihm dienen sollten, damit wir ihm wenigstens etwas von dem
abtragen, was wir ihm schulden. Er verschaffe uns recht viel Gelegenheit zu
leiden, und sei es auch nur durch« hören wir nun den unübertrefflichen Klang
ihrer genialen Sprache, »>pulgas y duendes y caminos< - Flöhe, Kobolde und
schlechte Wege.«23
1 1 Sam
26,2.7-9.12-13.22-23. - 2 vgl. 1 Sam 24,1ff. - 3 Thomas von Aquin, Summa
theologica, II-II,q.129,a.1. - 4 ebd., a.4. - 5 ebd. - 6 J.Escrivá, Freunde
Gottes, 80. - 7 Johannes Chrysostomos, Homilien über das Matthäusevangelium,
19,7. - 8 Lk 23,34. - 9 Lk 6,27-28. - 10 vgl. Apg 7,60. - 11 Lk 6,38. - 12
Johannes Paul II., Predigt in Speyer, 4.5.1987. - 13 II. Vat. Konz., Konst.
Sacrosanctum Concilium, 122. - 14 vgl. J.Meisner, Gedanken zur
Neuevangelisierung, in: Seelsorge am Anfang?, St.Ottilien 1990, S.16. - 15
J.Pieper, Das Viergespann, München 1964, S.262. - 16 Theresia von Avila, Leben,
13. - 17 ebd., 4,2. - 18 ders., Weg zur Vollkommenheit, 39. - 19 J.Pieper,
a.a.O., S.263. - 20 Augustinus, Bekenntnisse, 10,31. - 21 Mt 3,9. - 22 1 Kor
3,7. - 23 Theresia von Avila, Brief an Antonio Gaytán, Juni 1574.