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Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

JAHRESKREIS
32. WOCHE - FREITAG

26

DiE CHRISTLICHE SIcht DES TODES

Unsere Zeit und unsere Stunde.
Tod, Sünde und Erlösung.
Das Ende gehört zum Ganzen.

I. Im heutigen Evangelium1 spricht Jesus von dem Tag, an dem sich der Menschensohn offenbart. Er wird plötzlich über die Menschen hereinbrechen. Die Jünger, von einer natürlichen Neugier getrieben, möchten wissen, wo dies geschehen wird, obwohl man eher die Frage erwartet hätte, wie sie sich bei Matthäus findet: 2 Jesus antwortet mit einem dunklen Spruch, der wahrscheinlich den Jüngern als Sprichwort bekannt war: Wo ein Aas ist, da sammeln sich auch die Geier3. Vielleicht läßt sich dieses Wort so deuten: »Wo immer Menschen (= ein Aas) sich befinden, da wird auch das Gericht stattfinden, sich gleichsam auf sie stürzen.«4

Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht, schreibt Paulus an die Thessalonicher. Die allgemeine Aufforderung zur Wachsamkeit, da Zeit und Stunde6 ungewiß sind, wird im konkreten Leben des Christen zu einer Aufforderung, seine Zeit und seine Stunde - die der eigenen endgültigen Begegnung mit dem Herrn, wenn er endlich Gott von Angesicht zu Angesicht schauen darf - sich immer gegenwärtig zu halten.

Dies steht jedoch im Widerspruch zu der Neigung vieler Menschen heute, den Tod zu verdrängen. Nicht selten beschönigt man schon den Begriff mit umschreibenden Wendungen, als wäre eine direkte Nennung taktlos. Die Art vieler Menschen, heidnisch zu denken und zu leben - auch solcher, die sich nach außen als Christen bekennen -, mag der Grund dafür sein, daß sie ängstlich dem Tod und jedem Gedanken an alles, was Ende des irdischen Weges bedeutet, aus dem Weg gehen. Er ist für sie die große Katastrophe, in der einmal alles, was man im Leben erstrebt und erworben hat, vernichtet werden wird. Deshalb - denken sie - muß man ihn ignorieren, als ginge er uns nichts an. Und doch ist der Tod das Geschehen, das das menschliche Leben erhellt. Ein Christ betrachtet ihn als »Bruder« wie Franz von Assisi in seinem »Sonnengesang« »Gelobt seist du, mein Herr! Durch unsern Bruder, den leiblichen Tod; kein lebender Mensch kann ihm entrinnen. Weh denen, die sterben in tödlichen Sünden. Selig, die der Tod trifft in deinem heiligsten Willen; denn der zweite Tod kann ihnen nichts antun.«7

Der Gedanke an den Bruder Tod kann uns einmal ängstigen; dann »fasse Mut und denke an den Himmel, der uns erwartet: Wie wird es sein, wenn sich in das elende, brüchige Gefäß, das jedes menschliche Geschöpf ist, die ganze Herrlichkeit und Pracht, die Seligkeit und Liebe des unendlichen Gottes ergießt, wenn uns das vollkommene Glück ewig erfüllt?«8

Der Tod öffnet uns das Tor zur Seligkeit, die Gott dem Menschen bereitet hat, er führt uns ein in das wahre, das ewige Leben. Deshalb heißt es in der Liturgie: vita mutatur, non tollitur - das Leben wir uns gewandelt, nicht genommen9. Am Ende eines kurzen Erdenwandels steht für den Christen die Ankunft in der endgültigen Heimat: »Und sind wir einmal müde, dann stell ein Licht uns aus, o Gott, in deiner Güte; dann finden wir nach Haus.«10

II. Die Heilige Schrift lehrt: Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden.11 »Der Tod ist Folge der Sünde. Als authentischer Ausleger der Aussagen der Heiligen Schrift und der Überlieferung lehrt das Lehramt der Kirche, daß der Tod in die Welt gekommen ist, weil der Mensch gesündigt hat. Obwohl der Mensch eine sterbliche Natur besaß, bestimmte ihn der Schöpfer nicht zum Sterben. Der Tod widerspricht somit den Ratschlüssen Gottes, des Schöpfers. Er hielt als Folge der Sünde in die Welt Einzug. >Der leibliche Tod, dem der Mensch, hätte er nicht gesündigt, entzogen gewesen wäre< (Gaudium et spes, 18), ist so der >letzte Feind< des Menschen, der zu besiegen ist.«12

Im Licht der Offenbarung erhält der Tod einen neuen Sinn, er wird zum Übergang in ein neues Leben. Wir müssen, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen13 und ins endgültige 14 zu gelangen, durch das Tor des Todes gehen. Jesus hat ihm die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht15. Sein Sieg erreicht alle, die an ihn glauben und an seinem Leben teilhaben, wie er selbst sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.16 Auch wenn der Tod gewissermaßen Feind des Menschen bleibt, wird er in Christus zum Freund und Bruder. Auch wenn er den Menschen niederringt, siegt der Mensch doch am Ende, denn er gelangt durch den Tod zur Fülle des Lebens.

Ist es verwunderlich, daß eine Gesellschaft, deren ausschließliches Ziel der Besitz materieller Güter ist, im Tod den bedrohlichen Feind sieht, der auf einen Schlag alles vernichtet, was man in eitlem Besitzstreben zusammengetragen hat? Wer wie ein Heide lebt, ist für die Erlösung Christi blind, er lebt so, als hätte Christus den Sinn von Schmerz, Leid, Niederlage und Tod nicht gänzlich verwandelt.

Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen. Dies ist der Grund, weshalb die Kirche von Anfang an den Todestag der Märtyrer und Heiligen als den dies natalis feiert, als Geborenwerden zu neuem Leben vor Gottes Angesicht. Selig die Toten die im Herrn sterben, von jetzt an; ja, spricht der Geist, sie sollen ausruhen von ihren Mühen; denn ihre Werke begleiten sie18, heißt es in der Offenbarung des Johannes. Selbst winzige Werke mitmenschlichen Verhaltens werden den begleiten, der einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt19. Nichts geht verloren: »Alle guten Erträgnisse der Natur und unsere Bemühungen nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und Freiheit, müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt, dann nämlich, wenn Christus dem Vater >ein ewiges, allumfassendes Reich übergeben wird<.«20

III. »Der Tod ist das Letzte des Menschenlebens; im Lebendigen ist aber >das Letzte< wesentlich. Unser Dasein bildet eine Vorgangsgestalt, in welcher das Ende zum Ganzen gehört. Dieses Ende ist nicht von der Art wie die letzten Tropfen, die aus einem Gefäß gegossen werden, und deren Besonderes nur darin besteht, daß nach ihnen nichts mehr kommt, sondern es bestimmt alles Vorausgehende. (...) Die letzten Töne einer Melodie bringen diese erst ganz gegenwärtig; der Ausgang eines Dramas hebt die Persönlichkeit des Helden erst ins volle Licht: so führt der Tod das Leben des Menschen zur Voll-Endung - im Guten oder im Schlimmen.«21 Deshalb kann man den Tod als den großen Lehrmeister des Lebens betrachten. Er lehrt uns, das Irdische zu relativieren und inmitten der vorläufigen Gestalt dieser Welt auf das Endgültige zu schauen.

Die christliche Sicht des Todes nimmt dem heidnischen carpe diem seinen melancholischen Beigeschmack und wendet dieses Lebensmotto ins Positive: jeder Augenblick geht trotz seiner unerbittlichen Vergänglichkeit dennoch nicht verloren: das Verdienstliche darin wird in Gott aufgehoben. Deshalb können wir heute bei unserer Gewissenserforschung freudig an alles denken, was wir im Laufe des Tages auf Gott hin getan haben: Stoßgebete, ihm dargebrachte Arbeit, kleine Dienste der Nächstenliebe, geduldiges Ertragen - in Gottes Augen kostbare Juwelen für die Ewigkeit.

Mit dem Tod endet die Möglichkeit, Verdienstliches für das ewige Leben zu tun. »Unser Tod erscheint wie bei allen Lebewesen der Erde als natürliches Lebensende. Dieser Aspekt des Todes gibt unserem Leben etwas Dringliches: Das Wissen um die Sterblichkeit kann uns daran erinnern, daß uns zur Verwirklichung unseres Lebens nur eine beschränkte Frist zur Verfügung steht.= 22 Lassen wir unsere Tage nicht sinnlos verstreichen. Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit23 - schreibt Paulus an die Epheser.»Das Nichtwissen der Stunde unserer endgültigen Begegnung mit Gott ist ein Antrieb, unsere Liebe zu vertiefen, unsere Talente voll einzusetzen, keine Zeit zu verlieren, mit größerer Inständigkeit zu bitten und mit größerer, glühenderer Sehnsucht die >selige Hoffnung< zu nähren.= 24 Dies geschieht - Gott sei Dank - sicherlich oft am Tage, besonders aber in der abendlichen Gewissenserforschung. Dann verbindet sich die Bitte um Vergebung unserer Sünden - oder auch nur Schwächen - mit dem Dank für das Gute, das wir getan und empfange haben, für das Schöne, das wir erleben durften. Wir danken für eine Zeit, die wir in Gottes Händen wissen und für eine Welt, die seine Gabe an uns ist.

Vielleicht haben wir beim Anblick unserer Welt und beim Betrachten unseres Lebens irgendwann einmal wie der katalanische Dichter Joan Maragall in seinem Cant espiritual empfunden: »Wenn die Welt schon so herrlich ist, / sehen wir sie / mit deinem Frieden in unserem Auge, / was kannst du uns noch Schöneres geben? / Deshalb hänge ich so eifersüchtig / an den Augen, an dem Antlitz und dem Leib, / die du mir gegeben, Herr, / und am Schlagen des Herzens / und fürchte so sehr den Tod!«25

Wenn er kommt, wird auch dieser letzte Augenblick zur Verherrlichung Gottes gereichen. Wir werden dann freudig und dankbar zurückblicken auf so viele Dinge, die uns klein erschienen und sich nun als groß erweisen: aufgeopferte Arbeit, Glaubensgespräche mit Freunden, Almosen und auch so manche irdische Freude, die wir dankbar genossen haben, weil Gott sie uns geschenkt hat. »Ja, >die Gestalt dieser Welt vergeht< (1 Kor 7,31), und weil die >Mitternacht< der Parabel des Evangeliums immer nahe ist, halten wir die Lampe des Glaubens und des Vertrauens entzündet!«26 Der katalanische Dichter läßt seine Frage in ein Gebet der Hoffnung einmünden: »Kommt einmal die bange Stunde, / in der sich meine leiblichen Augen schließen, / öffne mir, Herr, Augen, die größer sind, / zum Schauen deines Antlitzes. / Der Tod sei mir eine Geburt zum Höheren.«

Lk 17,26-37. - 2 Mt 24,3. - 3 Lk 17,37. - 4 Regensburger Neues Testament, Bd.3, Regensburg 1955, S.278. - 5 1 Thess 5,2. - 6 vgl. 1 Thess 5,1. - 7 Sonnengesang des heiligen Franziskus. - 8 J.Escrivá, Die Spur des Sämanns, Nr.891. - 9 Präfation von den Verstorbenen I. - 10 Gotteslob 656. - 11 Weish 1,13. - 12 Katechismus der Katholischen Kirche, 1008. - 13 Joh 13,1. - 14 vgl. Joh 14,2. - 15 2 Tim 1,10. - 16 Joh 11,25. - 17 Ps 116,15. - 18 Offb 14,13. - 19 vgl. Mt 10,42. - 20 II.Vat.Konz., Konst. Gaudium et spes, 39. - 21 R.Guardini, Die letzten Dinge, Mainz 1989, S.12. - 22 Katechismus der Katholischen Kirche, 1007. - 23 Eph 5,15-16. - 24 Johannes Paul II., Predigt, 23.2.1985. - 25 Joan Maragall, Cant espiritual. - 26 Johannes Paul II., a.a.O.

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