JAHRESKREIS
18. WOCHE - FREITAG
53
DIE LIEBE
UND DAS KREUZ
Von der
Freundschaft zur Hingabe.
Warum leiden?
Im Kreuz gegründet.
I.
Anhänglich und gelehrig folgen die Jünger ihrem Herrn auf den Wegen Palästinas.
Er hat sie gerufen, sie haben alles verlassen und teilen jetzt mit ihm jede
Freude und jede Mühsal, Entbehrungen und Müdigkeit... und manchmal auch die
Anwürfe der Gegner. Jesus ist ihr Meister und Freund. Vielleicht war es ein
Maßstab für ihre Auserwählung: nämlich daß sie bereit waren, zu lernen und sich
ganz auf ihn einzulassen. Denn »Jesus hat nur zwei oder drei Jahre öffentlich
gewirkt. Und er wußte, wieviel Zeit ihm gegeben war, er kannte den Weg nach
Golgota und auch dessen Dauer. Die er sich als seine engsten Gefährten erkor,
als die zwölf Apostel, auf denen einst die Kirche ruhen sollte, die durften
keine Zauderer sein, keine schwierigen, komplizierten Naturen, die erst einmal
Jahre benötigten, ehe sie sich zur Hingabe und Nachfolge entschlossen - oder
auch nicht. Nein, es mußten Menschen sein von Einfachheit, Geradlinigkeit,
Vertrauensfähigkeit, nicht intellektuell und emotional um sich selbst kreisend,
sie mußten von einer selbstverständlichen, unbewußten Demut sein, in gewisser
Weise richtige >Kinderherzen<.«1 Sie mußten offen und empfänglich sein, damit
die Nähe zu Jesus sie immer tiefer prägte. Der Herr steigert nach und nach seine
Erwartungen an sie. Am Anfang stand die Loslösung von Haus, Familie und Besitz;
dann - wir hören es im heutigen Evangelium, - et= 1 Sie mußten offen und
empfänglich sein, damit die Nähe zu Jesus sie immer tiefer prägte. Der Herr
steigert nach und nach seine Erwartungen an sie. Am Anfang stand die Loslösung
von Haus, Familie und Besitz; dann - wir hören es im heutigen Evangelium2 - ewas
viel Tieferes: Sie sollen nicht nur loslassen, sondern ergreifen - das Kreuz
ergreifen: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein
Kreuz auf sich und folge mir nach.
Sich
verleugnen... Das heißt, nicht mehr um sich selbst kreisen, sondern Raum
schaffen, damit Christus die Mitte sei und Denken und Planen, Erleiden und
Genießen auf ihn ausgerichtet seien. »Hier rühren wir an das schwerste Geheimnis
des Christseins. Christentum und Kreuz sind voneinander nicht zu lösen. Seitdem
Christus den Weg zum Kreuz hat gehen müssen, steht das Kreuz auf dem Wege eines
jeden, der Christ sein will; für jeden als >sein< Kreuz. Die Natur lehnt sich
dagegen auf. Sie will sich >behalten<. Sie will da nicht hindurchgehen. Jesus
aber sagt, und es ist das Grundgesetz des Christentums: Wer sich, sein Leben,
seine Seele festhält, der wird sie verlieren. Wer sich hineingibt in das Kreuz,
so wie es hier und jeweils für ihn aufgerichtet ist, der wird sie finden - und
dann unverlierbar, als das ewige Selbst, das an Christus teil hat.«3
Jesu
Leiden am Kreuz ist der höchste Ausdruck seiner Hingabe an den Willen des
Vaters. Die geringfügigste Handlung seines Lebens war unendlich verdienstvoll
und hätte die Kraft gehabt, allen Menschen die Erlösung und das ewige Leben zu
erwirken. Aber er hat die Schrecken der Passion erleiden wollen. Warum? Weil er
in die tiefsten Niederungen unseres Menschseins - in Krankheit, Verlassenheit,
Undank, Verachtung, Spott und Tod - hinabsteigen wollte.
Gott hat
die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab.4 Den Herrn drängte
es, uns seine unermeßliche Liebe zu zeigen: Ich muß mit einer Taufe getauft
werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist.5 Wenn
wir dem Herrn nicht bloß aus der Ferne, sondern ganz nah und dichtauf folgen und
uns von ihm ergreifen lassen wollen, dann müssen wir bereit sein, das Ja zum
Kreuz so zu sprechen wie Christus - nicht ohne Angst, doch ohne zu zögern: Es
gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.6
»Dem
Kreuz nahe sein heißt in der Freude sein, heißt bei dir sein, Herr!«7
II.
»Warum leiden? Warum leiden müssen, wenn alles nach Glück und Schaffen ruft?
Warum sterben? Warum weg müssen, wenn das Leben noch nicht gelebt ist? Warum
hergeben müssen, was so teuer ist? - Da wird alle Menschenweisheit zu
Schanden.«8 Das Leiden, eigenes wie fremdes, bleibt immer ein Rätsel.
Wenn die
Existenz der Welt gleichsam den Blick der menschlichen Seele für die Existenz
Gottes öffnet, für seine Weisheit, Macht und Herrlichkeit, so scheinen Übel und
Leiden dieses Bild zu verdunkeln, zuweilen in radikaler Weise, und dies vor
allem im täglichen Drama so vieler schuldloser Leiden und so vieler Schuld, die
keine angemessene Strafe findet.«9
Der
Mensch darf die Frage nach dem Sinn des Leidens an Gott richten »mit aller
Leidenschaft seines Herzens und aller Betroffenheit seines beunruhigten
Verstandes. (...) Im Buch Ijob hat die Frage ihren lebendigsten Ausdruck
gefunden.
Die
Geschichte dieses gerechten Menschen ist bekannt: Ohne eigene Schuld wird er von
unzähligen Leiden heimgesucht. Er verliert sein Hab und Gut, seine Söhne und
Töchter, und zuletzt befällt ihn selbst eine schwere Krankheit. In dieser
furchtbaren Lage erscheinen in seinem Hause die drei alten Freunde, die ihn -
jeder mit anderen Worten - davon zu überzeugen suchen, daß er irgendeine schwere
Schuld begangen haben müsse, da er von so vielfältigem und schrecklichem Leiden
heimgesucht worden ist. Das Leiden, so sagen sie, befalle den Menschen ja immer
als Strafe für ein Vergehen; es werde von Gott, dem absolut gerechten, geschickt
und finde seine Begründung in der Ordnung der Gerechtigkeit.«10 Das klingt ganz
plausibel. Doch Ijob wehrt sich gegen eine solche Logik, weil sein Herz ihm
sagt, daß er eine solche Bestrafung nicht verdient hat. Anders als die drei
Freunde, die, unbehelligt, gut reden haben, leidet Ijob am eigenen Leib - an
seinen H= 10 Das klingt ganz plausibel. Doch Ijob wehrt sich gegen eine solche
Logik, weil sein Herz ihm sagt, daß er eine solche Bestrafung nicht verdient
hat. Anders als die drei Freunde, die, unbehelligt, gut reden haben, leidet Ijob
am eigenen Leib - an seinen eimsuchungen und an Gott, den er nicht begreift.
Doch sein Glaube bleibt unangefochten, sein Hadern mit Gott ist Ausdruck seines
Glaubens in der Dunkelheit. Und Gott ergreift Partei für Ijob, er tadelt jene,
die - um eine Erklärung bemüht - zu seinen Anklägern werden. Ijobs Leiden ist
das Leiden eines Unschuldigen; es ist also nicht wahr, daß jedes Leiden Folge
von Schuld ist. Das Warum indes bleibt ein Geheimnis, in Gott verborgen und dem
Verstand nicht zugänglich.
Ein
Lichtspalt in der Frage warum leiden öffnet sich mit der Menschwerdung: Jesus
erfährt die Not des Ijob mit einer für einen Menschen ohne jeden Makel
unglaublichen Intensität. Und zugleich zeigt er den Ausweg aus dieser Not:
Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.11 »Die Gottverlassenheit in ihrer
ganzen Tiefe war ihm ausschließlich vorbehalten und konnte von ihm nur gelitten
werden, weil er Gott und Mensch zugleich war, als Gott konnte er nicht leiden,
als reiner Mensch hätte er das Gut, dessen er sich beraubte, nicht fassen
können. So ist die Menschwerdung Bedingung dieses Leidens, die menschliche Natur
als leidensfähige und wirklich leidende Werkzeug der Erlösung.«12
Gott hat
die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der
an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.13 Hier tritt
die Frage nach dem Leiden in eine neue Dimension ein. »Es ist eine andere
Dimension als jene, die die Suche nach der Bedeutung des Leidens in den Grenzen
der Gerechtigkeit bestimmte und sie darin gleichsam einschloß. Es ist die
Dimension der Erlösung. (...) Der Mensch >stirbt<, wenn er >das ewige Leben
verliert<. Das Gegenteil des Heils ist also nicht das bloß zeitliche Leiden, ein
Leiden welcher Art auch immer, sondern das endgültige Leiden: der Verlust des
ewigen Lebens, die Zurückweisung durch Gott, die Verdammnis. Der eingeborene
Sohn ist der Menschheit geschenkt worden, um den Menschen vor allem vor diesem
endgültigen Übel und vor dem endgültigen Leiden zu bewahren. Er muß daher in
seiner Heilssendung das Übel an den transzendentalen Wurzeln fassen, von denen
her es sich in der Geschichte des Menschen entfaltet. Diese transzendentalen
Wurzeln des Übels werden greifbar in Sünde und Tod: Sie liegen ja dem Verlust
des ewigen Lebens zugrunde. Die Sendung des eingeborenen Sohnes besteht im Sieg
über Sünde und Tod. Er besiegt die Sünde durch seinen Gehorsam bis zum Tode, und
er besiegt den Tod durch seine Auferstehung.«14
III. Kein
schweres Leid läßt sich »verstehen« Nur der Blick auf den gekreuzigten Christus
trägt. Denn »kein Menschenherz ist je in eine so dunkle Nacht eingegangen wie
der Gottmensch in Getsemani und auf Golgota. In das unergründliche Geheimnis der
Gottverlassenheit des sterbenden Gottmenschen vermag kein forschender
Menschengeist einzudringen. Aber Jesus kann auserwählten Seelen etwas von dieser
äußersten Bitterkeit zu kosten geben. Es sind seine treuesten Freunde, denen er
es als letzte Probe ihrer Liebe zumutet.«15
Große
Heimsuchungen als Proben auf die Liebe sind nicht alltäglich. Alltäglich indes
sind die kleinen Beschwernisse. Auch sie kann man wie ein wertvolles Juwel Gott
darbringen. Und wir erhalten durch sie Anteil am Opfer Christi.
Das
Aufopfern läßt Schmerz und Leid nicht verschwinden. Doch im Kreuz verankert,
stellt sich Kraft in der Schwachheit ein, eine Kraft, die »geliehen= zu sein
scheint: sie kommt nicht aus uns, sondern aus Christus, unserem Erlöser. Auch
dort, wo eine Erschütterung bis an die Wurzeln der Existenz reicht - etwa wenn
wir einen geliebten Menschen verlieren -, erfährt der Glaubende, daß er nicht
ins Bodenloe versinkt, sondern Halt findet in der Tiefe - im Kreuz Christi.
Deshalb kann man sagen, daß das Kreuz, das mit Christus getragen wird, die Seele
mit Frieden inmitten der Not erfüllt. Das bezeugen viele Heilige.
Wir
sahen, wie der Herr die Apostel formte. Nach der Auferstehung konnte er zu
Petrus sagen: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest
gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände
ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht
willst.16 Franz von Sales schreibt hierzu: »Die jungen Lehrlinge der Gottesliebe
legen sich selbst den Gürtel um: sie nehmen Abtötungen auf sich nach eigener
Wahl, sie wählen ihre Buße aus, ihre Verzichte, ihre Übungen der Frömmigkeit und
folgen im Rahmen des göttlichen Wirkens ihrem eigenen Willen. Doch die alten
Meister dieses Berufs lassen sich von jemand anderem binden und gürten, sie
unterwerfen sich dem Joch, das man ihnen auferlegt, und gehen Wege, die sie
ihrer eigenen Neigung nach nicht gehen würden.«17
Jeden Tag
bieten sich uns Gelegenheiten, dorthin geführt zu werden, wo wir - unserer
Neigung, unserer Bequemlichkeit folgend - nicht hingehen möchten. Und wie
reagieren wir auf die kleinen, alltäglichen Widrigkeiten? Wenn uns die Ungeduld
packt, wenn eine Arbeit sich in die Länge zieht? Auf das Widerstreben, eine
angenehme zugunsten einer lästigen, aber wichtigen Arbeit zurückzustellen; auf
manche Unarten im familiären oder beruflichen Miteinander; auf geistige
Schwerfälligkeit; auf Hitze, Kälte oder Verkehrsstau; auf Trockenheit im Gebet?
Oft nur Kleinigkeiten, aber echte Abtötungen!
Worum
sollen wir den Herrn am Ende dieser Zeit des Gebetes bitten? »Laß mich, Herr,
das Kreuz alleine tragen. - Nein, was sage ich... Deine Gnade, deine Hilfe werde
ich brauchen wie für alles. Sei du mir Simon von Zyrene! Dann, mein Gott,
fürchte ich keine Prüfung. (...) Kein Leid ist für mich wirkliches Leid, solange
ich nur dich nicht verliere.«18
1 P.
Berglar, Petrus - Vom Fischer zum Stellvertreter, München 1991, S. 42. - 2 Mt
16,24-28. - 3 R. Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S. 343. - 4 Joh 3,16. - 5 Lk
12,50. - 6 Joh 15,13. - 7 J. Escrivá, Im Feuer der Schmiede, Nr. 766. - 8 R.
Guardini, Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes, Mainz 1967, 13.
Station.
- 9 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Salvifici doloris, 11.2.1984, 9. - 10
ebd., 10. - 11 Lk 23,46. - 12 Edith Stein, Im verschlossenen Garten der Seele,
Freiburg 1987, S. 75. - 13 Joh 3,16. - 14 Johannes Paul II., a.a.O., 14. - 15
Edith Stein, a.a.O., S. 74. - 16 Joh 21,18. - 17 Franz von Sales, Feuer und Tau,
Freiburg 1986, S. 110. - 18 J. Escrivá, Im Feuer der Schmiede, Nr. 252-253.