Jahreskreis
23. Sonntag (Lesejahr C)
39
Gewissenserforschung
Wie den
Turm bauen?
Wie Augustinus: Vor Gottes Angesicht
Allgemeine und besondere Gewissenserforschung
I.
Welcher Mensch
kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift, was der Herr will? Unsicher sind
die Berechnungen der Sterblichen und hinfällig unsere Gedanken; denn der
vergängliche Leib beschwert die Seele, und das irdische Zelt belastet den um
vieles besorgten Geist.1
Die Worte aus dem Buch der Weisheit bilden einen passenden Hintergrund für das
heutige Evangelium2.
Der Herr spricht über die Bedingungen der Nachfolge. Er will nicht flüchtige
Begeisterung, sondern nüchterne Selbsterkenntnis:
Wenn einer von euch einen Turm bauen
will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das
ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, daß er das Fundament
gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen,
würden ihn verspotten. Ein zweites Beispiel verdeutlicht es:
Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann
nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem
entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt?
Jesus
erwartet eine nüchterne Entschlossenheit in der Nachfolge, er ermahnt jeden, auf
die Tragfähigkeit des Fundaments zu achten. Das Doppelgleichnis von heute liest
sich wie eine Erweiterung des Gleichnisses vom Bauen auf festem Fundament am
Schluß der Bergpredigt: Dort ist die Rede vom
klugen Mann, der sein Haus auf Felsen
baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die
Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war
auf Fels gebaut.3
Wer
seinen Turm
bauen will, wer seinen
Krieg gewinnen will,
muß klug erwägen, was er hat, was ihm fehlt, was er sichern muß. Er muß, auf das
geistliche Leben übertragen, prüfen, ob die Rücklagen ausreichen, die Mauern
genügend geschützt sind. Er muß wissen, was in seinem Leben korrigiert werden
soll, sich fragen, ob er Anregungen zum Guten gern aufnimmt oder ob sich
geistliche Mittelmäßigkeit bei ihm breitgemacht hat, ob er die Askese - die
kleinen Abtötungen - vernachlässigt, sich von der Bequemlichkeit beherrschen
läßt, seine eigene Ruhe als höchstes Gut ansieht...
Wie sieht
das aus, wenn jemand in stetiger Wachsamkeit des Gewissens lebt? Der heilige
Thomas Morus schrieb kurz vor seiner Hinrichtung an seine Tochter Margaret: »Es
mag seltsam klingen, wenn ich dir sage: ein Mann kann seinen Kopf verlieren,
ohne dabei an seiner Seele Schaden zu leiden. Ich hoffe zwar, Gott werde es
nicht zulassen, daß ein guter und weiser Fürst die langjährigen Dienste eines
treuen Untertanen mit solchem Undank vergilt. Ich will aber dennoch nicht
vergessen, daß solche Fälle auf dieser Welt keineswegs unmöglich sind. Ich habe
auch den Rat des Evangeliums bedacht, wonach man zuerst die Kosten berechnen
soll, bevor man eine Burg zum Schutz seiner Seele erbaut. In manch einer
ruhelosen Nacht, während meine Frau schlief und auch mich schlafend wähnte,
überdachte ich alle Gefahren, die mir begegnen könnten. Ich zog alle
Möglichkeiten in Betracht. Selbst das größte Unglück kann mich nicht
unvorbereitet treffen. Oft wurde mir das Herz schwer bei solchen Gedanken; aber
nicht einmal das atemberaubendste Angstgefühl konnte mich zu einer
Sinnesänderung bringen.« Auf die Erwiderung seiner Tochter, wenn es wirklich zum
Äußersten käme, werde er vielleicht seine Meinung doch noch ändern, dann aber
sei es wahrscheinlich zu spät, antwortet Thomas: »Zu spät, meine Tochter? Ich
flehe zu Gott, daß keine praktische Möglichkeit einer Rettung mehr bestehen
möge, wenn ich meinen Sinn doch noch ändern wollte. Denn jede andere Haltung
kann mein Seelenheil nur gefährden, besonders, wenn sie einem bloßen Angstgefühl
entspringt. Deshalb möge Gott mir die Kraft verleihen, meinen bisherigen
Einsichten treu zu bleiben.«4
II. »In
dem Augenblick, in dem der Geist bereit ist, geht Gott in ihn ein, ohne
Verzögerung und ohne Zögern (...). Du mußt ihn nicht eigens suchen, weder dort
noch hier. Er ist ja nicht weiter weg als vor der Tür des Herzens. Da steht er
und wartet, wen er bereit findet, ihm auftut und ihn hineinläßt. Du brauchst ihn
auch nicht erst von fern her zu rufen. Er kann es ja kaum erwarten, bis du ihm
auftust. Ihn verlangt tausendmal dringlicher nach dir, als du dich nach ihm
sehnst.«-, Dies gilt auch für die Gewissenserforschung. Ohne die Erleuchtung des
Heiligen Geistes gerät das Bemühen um Selbsterkenntnis leicht zur
psychologischen Introspektion. Man sollte die Gewissenserforschung mit einem
Gebet beginnen, etwa mit den Worten: Domine,
videam!
Rabbuni, ich möchte wieder sehen können
des blinden Bartimäus - in Hoffnung auf Licht - oder mit den Worten des Petrus:
Herr, du weißt
alles; du weißt, daß ich dich liebe.7
Die
Bekenntnisse
des Augustinus sind eine einzige große Gewissenserforschung - ein Meisterwerk
der Psychologie, aber im Dialog mit dem Herrn: »Wie soll ich's dem Herrn
vergelten, daß ich diese Dinge im Gedächtnis wiederholen kann, ohne daß meine
Seele darob in Furcht gerät? Ich will dich lieben, Herr, dir danken, deinen
Namen preisen, daß du mir so viel Böses und Ruchloses, das ich getan, vergeben
hast. Deiner Gnade, deiner Erbarmung rechne ich es zu, daß du meine Sünden wie
Eis hinweggeschmolzen hast. Deiner Gnade rechne ich auch das Nichttun anderes
Bösen zu: denn wozu sonst noch wäre ich imstande gewesen.«7 In der Gegenwart
Gottes ist es leichter, die Scheuklappen zu beseitigen, die uns das Blickfeld
verengen können. Da ist an erster Stelle der Hochmut in seinen vielfältigen
Spielarten. Oder man sieht sich wohl als Sünder, scheut sich aber, die Sünden
klipp und klar beim Namen zu nennen. Es ist dann wie beim Dämon, den Jesus
einmal austrieb: er
war stumm. Als der Dämon den Stummen
verlassen hatte, konnte der Mann reden. Daher die Mahnung: »Nimm
dich zur Stunde der Gewissenserforschung vor dem stummen Teufel in acht.«8 Wer
ist dieser stumme Teufel? Jene Neigung, die Wahrheit zu verdrängen, wenn sie
unserem Stolz in die Quere kommt.
Darüber
hinaus gefährdet die Geringschätzung des Kleinen eine gute Gewissenserforschung.
Dies ebnet der Lauheit den Weg. Man vergißt dann: »Weder die Spitzhacke noch die
Axt, noch die Schläge sonst eines Werkzeugs, so scharf es auch sein mag, sind
die gefährlichsten Feinde des Gesteins, sondern das Wasser, das tropfenweise in
die Ritzen des Felsen sickert, bis es das Gefüge sprengt. Hier liegt für den
Christen die große Gefahr: die täglichen Scharmützel zu vernachlässigen, was
nach und nach seine Spuren in der Seele hinterläßt, so daß sie schließlich
schlaff und spröde wird, gleichgültig und unempfänglich für die Stimme
Gottes.«10
Wie
soll man
Gewissenserforschung halten? Es gibt keine feste Regel. Wenn überhaupt eine
Regel, dann sie kurz halten, damit man sich nicht ins dornige Gestrüpp des
Psychologisierens verstrickt. Das regelmäßige geistliche Gespräch kann darüber
hinaus helfen, manches zu konkretisieren: Habe ich die vorgesehenen
Gebetsübungen eingehalten? Bin ich mir bei der Arbeit bewußt, in Gottes
Gegenwart zu leben, opfere ich ihm die Arbeit auf? Bin ich geduldig,
dienstbereit - oder grimmig, egoistisch - gewesen im Umgang mit den anderen zu
Hause oder im Büro? Gott sei Dank, man entdeckt dann auch Situationen, in denen
es einem gelungen ist, diesen oder jenen Vorsatz zu verwirklichen. Daraus
erwächst oft ein neuer Vorsatz für den nächsten Tag. Und schließlich: »Schließe
deine Gewissenserforschung immer mit einem Gedanken der Liebe ab, der Reue aus
Liebe: für dich, für alle Sünden der Menschen. Und betrachte das väterliche
Sorgen Gottes, der dir die Hindernisse wegräumte, damit du nicht stolpertest.«11
III.
Solange wir leben, erfahren wir im geistlichen Kampf Siege und Niederlagen. Aber
diese zwiespältige Erfahrung nimmt uns nicht die Gewißheit, daß Christus
mich geliebt und
sich für mich hingegeben hat12.
Wer einmal die Bitterkeit des Versagens spürt, wird sich an dem Gedanken
aufrichten, daß Gott uns seine Liebe niemals aufkündigt. Im Gegenteil,
Niederlagen müssen uns Anlaß sein, zu seiner »Liebe und Güte unsere ganze
Zuflucht zu nehmen, ähnlich wie die alten Ritter, wenn sie in ihre Rüstung
stiegen. Jenes
Ecce ego, quia vocasti me (1
Sam 3,6.8) - rechne auf mich, denn du hast mich berufen - ist
unser Schild. Wir dürfen uns nicht von Gott entfernen, weil wir wissen, daß wir
zerbrechlich sind wie Ton; vielmehr müssen wir unsere Erbärmlichkeiten
bekämpfen, gerade weil Gott auf uns vertraut.«12
Im
spirituellen Leben pflegt man zu unterscheiden zwischen der allgemeinen und der
besonderen Gewissenserforschung, die auch
Partikularexamen
genannt wird. »Die allgemeine Gewissenserforschung gleicht der Abwehr. Das
Partikularexamen dem Angriff. Das erste ist Panzerung, das zweite ein scharfes
Schwert.= 14 Die erste ist eine tiefreichende Gesamtschau - hin zu den Wurzeln
und Kräften, die unser Denken und Tun prägen. Die besondere Gewissenserforschung
indessen soll darauf zielen, eine bestimmte Tugend zu erwerben oder einen dich
beherrschenden Fehler auszumerzen«13.
Die
allgemeine Gewissenserforschung läßt uns die momentane Situation realistisch
erkennen: »Wer ein Geschäft betreibt, vernachlässigt die Buchführung nicht. -
Gibt es ein wichtigeres >Geschäft< als das Geschäft des ewigen Lebens?«14 Das
Partikularexamen hilft uns, im Rahmen dieser Situation Akzente im asketischen
Kampf zu setzen.
Worin kann unsere
besondere Gewissenserforschung bestehen? Vielleicht haben wir gemerkt, daß uns
die Gegenwart Gottes allzu schnell verloren geht. Zur Zeit des Gebetes sind wir
beim Herrn, aber dann - mitten in unserer Arbeit, im Familienleben oder auf der
Straße - denken wir überhaupt nicht mehr an ihn. Wir möchten gerne, aber...
Suchen wir Wachrüttler: ein Lesezeichen, ein Heiligenbild, eine zeitweilige
unbequeme Haltung, ein Stoßgebet... Ein anderes Mal werden wir uns betrübt
fragen: Warum diese Trägheit beim Aufstehen, die ich doch eigentlich gar nicht
will und die obendrein nur Probleme mit sich bringt? Warum grantige Äußerungen
beim Frühstück, die immer wieder den Tag mit einem Mißklang beginnen lassen?
Könnte ich mir nicht vornehmen - mit ein wenig mehr Selbstkontrolle -,
stattdessen ein freundliches Wort zu sagen und gelassen einen vielleicht nötigen
Tadel auf später zu verschieben? Geduld zu haben gegenüber diesem oder jenem
Mitarbeiter, dessen enervierende Art ich mittlerweile doch kenne; Zurückhaltung
beim Gespräch über abwesende Dritte zu üben, damit es nicht in Klatsch ausartet;
zuhören lernen; dankbar zu sein für kleine Aufmerksamkeiten... Wenn wir uns eine
gewisse Zeitlang sorgfältig prüfen und von Mal zu Mal den Kampf präzisieren,
werden wir vorankommen.
Weis
9,13-19. -
2
Lk
14,28-32. -
3
Mt
7,24-25. -
4 P. Berglar,
Die
Stunde des Thomas Morus, Olten 1978, S.304. -
5
Meister Eckhart,
Die Gottesgeburt im Seelengrund,
Freiburg 1990, S.122. -
6
Mk
10,51. -
7
Joh
21,17. -
8 Augustinus,
Bekenntnisse, 2,7. -
9 J. Escrivá,
Der
Weg, Nr.236. -
10 ders.,
Christus begegnen, 77. -
11 ders.,
Der
Weg, Nr.246. -
12
Gal
2,20. -
13 J. Escrivá,
Freunde Gottes, 187. -
14 J. Escrivá,
Der
Weg, Nr.238. -
15 ebd., Nr.241. -
16
ebd., Nr.235.