JAHRESKREIS
32. WOCHE - FREITAG
26
DiE
CHRISTLICHE SIcht DES TODES
Unsere
Zeit und unsere Stunde.
Tod, Sünde und Erlösung.
Das Ende gehört zum Ganzen.
I. Im
heutigen Evangelium1
spricht Jesus von dem Tag,
an dem sich der Menschensohn
offenbart. Er wird plötzlich über die Menschen hereinbrechen. Die
Jünger, von einer natürlichen Neugier getrieben, möchten wissen, wo dies
geschehen wird, obwohl man eher die Frage erwartet hätte, wie sie sich bei
Matthäus findet:
2
Jesus antwortet mit einem dunklen Spruch, der wahrscheinlich den Jüngern als
Sprichwort bekannt war:
Wo ein Aas ist, da sammeln sich auch
die Geier3.
Vielleicht läßt sich dieses Wort so deuten: »Wo immer Menschen (= ein Aas) sich
befinden, da wird auch das Gericht stattfinden, sich gleichsam auf sie stürzen.«4
Der Tag
des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht,
schreibt Paulus an die Thessalonicher. Die allgemeine Aufforderung zur
Wachsamkeit, da
Zeit und Stunde6
ungewiß sind, wird im konkreten Leben des Christen zu einer Aufforderung,
seine
Zeit und seine
Stunde - die der eigenen endgültigen Begegnung mit dem Herrn, wenn er endlich
Gott von Angesicht zu Angesicht schauen darf - sich immer gegenwärtig zu halten.
Dies
steht jedoch im Widerspruch zu der Neigung vieler Menschen heute, den Tod zu
verdrängen. Nicht selten beschönigt man schon den Begriff mit umschreibenden
Wendungen, als wäre eine direkte Nennung taktlos. Die Art vieler Menschen,
heidnisch zu denken und zu leben - auch solcher, die sich nach außen als
Christen bekennen -, mag der Grund dafür sein, daß sie ängstlich dem Tod und
jedem Gedanken an alles, was Ende des irdischen Weges bedeutet, aus dem Weg
gehen. Er ist für sie die große Katastrophe, in der einmal alles, was man im
Leben erstrebt und erworben hat, vernichtet werden wird. Deshalb - denken sie -
muß man ihn ignorieren, als ginge er uns nichts an. Und doch ist der Tod das
Geschehen, das das menschliche Leben erhellt. Ein Christ betrachtet ihn als
»Bruder« wie Franz von Assisi in seinem »Sonnengesang« »Gelobt seist du, mein
Herr! Durch unsern Bruder, den leiblichen Tod; kein lebender Mensch kann ihm
entrinnen. Weh denen, die sterben in tödlichen Sünden. Selig, die der Tod trifft
in deinem heiligsten Willen; denn der zweite Tod kann ihnen nichts antun.«7
Der
Gedanke an den Bruder Tod kann uns einmal ängstigen; dann »fasse Mut und denke
an den Himmel, der uns erwartet: Wie wird es sein, wenn sich in das elende,
brüchige Gefäß, das jedes menschliche Geschöpf ist, die ganze Herrlichkeit und
Pracht, die Seligkeit und Liebe des unendlichen Gottes ergießt, wenn uns das
vollkommene Glück ewig erfüllt?«8
Der Tod
öffnet uns das Tor zur Seligkeit, die Gott dem Menschen bereitet hat, er führt
uns ein in das wahre, das ewige Leben. Deshalb heißt es in der Liturgie:
vita mutatur,
non tollitur - das Leben wir uns gewandelt, nicht genommen9.
Am Ende eines kurzen Erdenwandels steht für den Christen die Ankunft in der
endgültigen Heimat: »Und sind wir einmal müde, dann stell ein Licht uns aus, o
Gott, in deiner Güte; dann finden wir nach Haus.«10
II. Die
Heilige Schrift lehrt:
Gott hat den Tod nicht gemacht und
hat keine Freude am Untergang der Lebenden.11
»Der Tod ist Folge der Sünde. Als authentischer Ausleger der Aussagen der
Heiligen Schrift und der Überlieferung lehrt das Lehramt der Kirche, daß der Tod
in die Welt gekommen ist, weil der Mensch gesündigt hat. Obwohl der Mensch eine
sterbliche Natur besaß, bestimmte ihn der Schöpfer nicht zum Sterben. Der Tod
widerspricht somit den Ratschlüssen Gottes, des Schöpfers. Er hielt als Folge
der Sünde in die Welt Einzug. >Der leibliche Tod, dem der Mensch, hätte er nicht
gesündigt, entzogen gewesen wäre< (Gaudium
et spes, 18), ist so der >letzte Feind< des Menschen, der zu
besiegen ist.«12
Im Licht
der Offenbarung erhält der Tod einen neuen Sinn, er wird zum Übergang in ein
neues Leben. Wir müssen, um
aus dieser Welt zum Vater
hinüberzugehen13
und ins endgültige
14
zu gelangen, durch das Tor des Todes gehen. Jesus hat ihm
die Macht genommen und uns das Licht
des unvergänglichen Lebens gebracht15.
Sein Sieg erreicht alle, die an ihn glauben und an seinem Leben teilhaben, wie
er selbst sagt:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch
wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht
sterben.16
Auch wenn der Tod gewissermaßen Feind des Menschen bleibt, wird er in Christus
zum Freund und Bruder. Auch wenn er den Menschen niederringt, siegt der Mensch
doch am Ende, denn er gelangt durch den Tod zur Fülle des Lebens.
Ist es
verwunderlich, daß eine Gesellschaft, deren ausschließliches Ziel der Besitz
materieller Güter ist, im Tod den bedrohlichen Feind sieht, der auf einen Schlag
alles vernichtet, was man in eitlem Besitzstreben zusammengetragen hat? Wer wie
ein Heide lebt, ist für die Erlösung Christi blind, er lebt so, als hätte
Christus den Sinn von Schmerz, Leid, Niederlage und Tod nicht gänzlich
verwandelt.
Kostbar
ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen.
Dies ist der Grund, weshalb die Kirche von Anfang an den Todestag der Märtyrer
und Heiligen als den
dies natalis feiert,
als Geborenwerden zu neuem Leben vor Gottes Angesicht.
Selig die Toten die im Herrn sterben,
von jetzt an; ja, spricht der Geist, sie sollen ausruhen von ihren Mühen; denn
ihre Werke begleiten sie18,
heißt es in der Offenbarung des Johannes. Selbst winzige Werke mitmenschlichen
Verhaltens werden den begleiten, der
einem von diesen Kleinen auch nur
einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt19.
Nichts geht verloren: »Alle guten Erträgnisse der Natur und unsere Bemühungen
nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und Freiheit,
müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann
werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt,
dann nämlich, wenn Christus dem Vater >ein ewiges, allumfassendes Reich
übergeben wird<.«20
III. »Der
Tod ist das Letzte des Menschenlebens; im Lebendigen ist aber >das Letzte<
wesentlich. Unser Dasein bildet eine Vorgangsgestalt, in welcher das Ende zum
Ganzen gehört. Dieses Ende ist nicht von der Art wie die letzten Tropfen, die
aus einem Gefäß gegossen werden, und deren Besonderes nur darin besteht, daß
nach ihnen nichts mehr kommt, sondern es bestimmt alles Vorausgehende. (...) Die
letzten Töne einer Melodie bringen diese erst ganz gegenwärtig; der Ausgang
eines Dramas hebt die Persönlichkeit des Helden erst ins volle Licht: so führt
der Tod das Leben des Menschen zur Voll-Endung - im Guten oder im Schlimmen.«21
Deshalb kann man den Tod als den großen Lehrmeister des Lebens betrachten. Er
lehrt uns, das Irdische zu relativieren und inmitten der vorläufigen Gestalt
dieser Welt auf das Endgültige zu schauen.
Die
christliche Sicht des Todes nimmt dem heidnischen
carpe diem seinen
melancholischen Beigeschmack und wendet dieses Lebensmotto ins Positive: jeder
Augenblick geht trotz seiner unerbittlichen Vergänglichkeit dennoch nicht
verloren: das Verdienstliche darin wird in Gott aufgehoben. Deshalb können wir
heute bei unserer Gewissenserforschung freudig an alles denken, was wir im Laufe
des Tages auf Gott hin getan haben: Stoßgebete, ihm dargebrachte Arbeit, kleine
Dienste der Nächstenliebe, geduldiges Ertragen - in Gottes Augen kostbare
Juwelen für die Ewigkeit.
Mit dem
Tod endet die Möglichkeit, Verdienstliches für das ewige Leben zu tun. »Unser
Tod erscheint wie bei allen Lebewesen der Erde als natürliches Lebensende.
Dieser Aspekt des Todes gibt unserem Leben etwas Dringliches: Das Wissen um die
Sterblichkeit kann uns daran erinnern, daß uns zur Verwirklichung unseres Lebens
nur eine beschränkte Frist zur Verfügung steht.= 22 Lassen wir unsere Tage nicht
sinnlos verstreichen. Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt,
nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit23 - schreibt Paulus an die
Epheser.»Das Nichtwissen der Stunde unserer endgültigen Begegnung mit Gott ist
ein Antrieb, unsere Liebe zu vertiefen, unsere Talente voll einzusetzen, keine
Zeit zu verlieren, mit größerer Inständigkeit zu bitten und mit größerer,
glühenderer Sehnsucht die >selige Hoffnung< zu nähren.= 24 Dies geschieht - Gott
sei Dank - sicherlich oft am Tage, besonders aber in der abendlichen
Gewissenserforschung. Dann verbindet sich die Bitte um Vergebung unserer Sünden
- oder auch nur Schwächen - mit dem Dank für das Gute, das wir getan und
empfange haben, für das Schöne, das wir erleben durften. Wir danken für eine
Zeit, die wir in Gottes Händen wissen und für eine Welt, die seine Gabe an uns
ist.
Vielleicht haben wir beim Anblick unserer Welt und beim Betrachten unseres
Lebens irgendwann einmal wie der katalanische Dichter Joan Maragall in seinem
Cant espiritual
empfunden: »Wenn die Welt schon so herrlich ist, / sehen wir sie / mit deinem
Frieden in unserem Auge, / was kannst du uns noch Schöneres geben? / Deshalb
hänge ich so eifersüchtig / an den Augen, an dem Antlitz und dem Leib, / die du
mir gegeben, Herr, / und am Schlagen des Herzens / und fürchte so sehr den Tod!«25
Wenn er
kommt, wird auch dieser letzte Augenblick zur Verherrlichung Gottes gereichen.
Wir werden dann freudig und dankbar zurückblicken auf so viele Dinge, die uns
klein erschienen und sich nun als groß erweisen: aufgeopferte Arbeit,
Glaubensgespräche mit Freunden, Almosen und auch so manche irdische Freude, die
wir dankbar genossen haben, weil Gott sie uns geschenkt hat. »Ja, >die Gestalt
dieser Welt vergeht< (1
Kor 7,31), und weil die >Mitternacht< der Parabel des Evangeliums
immer nahe ist, halten wir die Lampe des Glaubens und des Vertrauens
entzündet!«26 Der katalanische Dichter läßt seine Frage in ein Gebet der
Hoffnung einmünden: »Kommt einmal die bange Stunde, / in der sich meine
leiblichen Augen schließen, / öffne mir, Herr, Augen, die größer sind, / zum
Schauen deines Antlitzes. / Der Tod sei mir eine Geburt zum Höheren.«
Lk
17,26-37. -
2
Mt
24,3. -
3
Lk
17,37. -
4
Regensburger Neues Testament, Bd.3, Regensburg 1955, S.278. -
5
1
Thess 5,2. -
6 vgl.
1
Thess 5,1. -
7
Sonnengesang des heiligen Franziskus. -
8
J.Escrivá,
Die Spur des Sämanns,
Nr.891. -
9
Präfation von den Verstorbenen I. -
10
Gotteslob 656. -
11
Weish
1,13. -
12
Katechismus der Katholischen Kirche, 1008. -
13
Joh
13,1. -
14 vgl.
Joh
14,2. -
15
2 Tim
1,10. -
16
Joh
11,25. -
17
Ps
116,15. -
18
Offb
14,13. -
19 vgl.
Mt
10,42. -
20 II.Vat.Konz., Konst.
Gaudium et spes, 39. -
21 R.Guardini,
Die
letzten Dinge, Mainz 1989, S.12. -
22
Katechismus der Katholischen Kirche, 1007. -
23
Eph
5,15-16. -
24 Johannes Paul II.,
Predigt, 23.2.1985. -
25 Joan Maragall,
Cant
espiritual. -
26 Johannes Paul II.,
a.a.O.