JAHRESKRES
16. WOCHE - SAMSTAG
36
Das Blut
des Bundes
Alter und
Neuer Bund.
Gedächtnis heißt Gegenwart.
»Unsere« Messe und »meine« Messe.
I. In der
heutigen Lesung aus dem Buch Exodus1 steigt Mose vom Berge Sinai herab und
übermittelt dem Volk alle Worte und Rechtsvorschriften des Herrn. Das Volk
stimmt zu: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun. Und Mose schrieb alle
Worte des Herrn auf, er gab ihnen das Gesetz. Am nächsten Morgen errichtete er
am Fuß des Berges einen Altar und zwölf Steinmale für die zwölf Stämme Israels.
Junge Stiere wurden als Heilsopfer für den Herrn geschlachtet. Mose besprengte
den Altar mit dem Blut, verlas die Urkunde des Bundes vor dem Volk und
besprengte es dann mit dem Blut.
In einem
einzigen Ritus vereinen sich Opfer, Altar, Blut, Buch des Bundes... Das Opfer
als »Zeichen der Anbetung und des Dankes, des Flehens und der Gemeinschaft«2 mit
Gott, der Altar als Zeichen der Gottesgegenwart, das Blut als Sitz des Lebens,
das Gesetz als Lebensordnung. Mose erklärte all dies mit den Worten: Das ist das
Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch geschlossen
hat. So wurde der Bund besiegelt, durch den Gott sich Israel zu seinem Volk
erwählt: »Das auserwählte Volk wurde von Gott zu einem >Reich von Priestern< und
einem >heiligen Volk< gemacht.«3
Das Volk
Israel erkennt die fundamentale Bedeutung des Sinaibundes und erneuert ihn bei
bestimmten Anlässen, besonders an entscheidenden Wendepunkten seiner Geschichte;
so tat Josua bei der Landnahme, wie Mose, der Knecht des Herrn, es den
Israeliten geboten hatte, und baute einen Altar, auf welchem er Brandopfer
darbrachte, und verlas danach das Gesetz.4 Trotz der Untreue des Volkes wird
Gott nicht müde, zu verzeihen. Er sendet die Propheten, die immer wieder aufs
neue die Bundespflicht anmahnen5: Israel ist die Herde und Gott der Hirt, Israel
ist der Weinberg und Gott der Winzer, Israel ist der Sohn und Gott der Vater,
Israel ist die Braut und Gott der Bräutigam. Immer deutlicher erscheint der Bund
als zuvorkommende und ungeschuldete Liebe Gottes, die Gegenliebe verlangt, als
universale Verheißung, die die Umwandlung der Herzen und die Gabe des göttlichen
Geistes bringen wird.
Schlagen
wir den Bogen vom Berg Sinai zum Letzten Abendmahl, zu Kreuz und heiliger Messe.
Während Mose das Volk besprengte, verkündete er das Blut des Bundes, den der
Herr aufgrund all dieser Worte mit euch geschlossen hat. Während des Letzten
Abendmahls sprach Jesus, das Kreuzesopfer vorwegnehmend: Dieser Kelch ist der
Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.6 »Wenn Christus,
menschlich gesprochen, Bilder vor seinem Auge stehen sieht, dann den Sinai und
Mose und die Gesetzestafeln und den Vater in der Herrlichkeit. (...) Die Messe
ist nicht nur ein Gebetswert, nicht nur eine stille Gottesbegegnung. Sie ist ein
Ereignis. Jedesmal von neuem schlägt sie die Brücke zwischen Mensch und Gott.
Sie schließt das Bündnis zwischen Gott und Mensch. Wer in der Messe war, ist
kein einsamer, verlorener Mensch mehr. Er hat Gott gefunden. Er kann damit
rechnen, daß Gott mit ihm ist. Allerdings muß er sich zu Gott und seinen Geboten
bekennen.«7 Der selige Josemaria Escrivá schreibt: »Der liebt Christus nicht,
der die heilige Messe nicht liebt, der sich nicht anstrengt, sie ruhig und
aufmerksam, andächtig und liebevoll mitzufeiern. (...) Und deshalb habe ich
immer den Verdacht, daß diejenigen, die sich die heilige Messe kurz und hastig
wünschen, mit einer solchen - im übrigen wenig eleganten - Haltung verraten, daß
sie die Bedeutung des heiligen Opfers noch nicht begriffen haben.«8
II. Die
Propheten hatten einen neuen Bund angekündigt: Seht es werden Tage kommen -
Spruch des Herrn -, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen
neuen Bund schließen werde. Nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern
geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten
herauszuführen.9 Diese Verheißung erfüllt sich in Christus. Er stiftet einen
neuen Bund, der die endgültige Befreiung bringt. »Indem Jesus das Letzte
Abendmahl mit seinen Aposteln im Lauf des Paschamahles feierte, gab er dem
jüdischen Pascha seinen endgültigen Sinn. Der Hinübergang Jesu zu seinem Vater
in Tod und Auferstehung - das neue Pascha - wurde im Abendmahl vorweggenommen.
In der Eucharistie wird er gefeiert. Diese vollendet das jüdische Pascha und
nimmt das endzeitliche Pascha der Kirche in der Herrlichkeit des Reiches
vorweg.«10
Der
Auftrag des Herrn an die Apostel: Tut dies zu meinem Gedächtnis!11 ist nicht ein
Befehl, sich an ein vergangenes Ereignis zu erinnern, sondern ist
Gegenwärtigsetzen dieses Ereignisses. Wenn Jesus diese Worte spricht, »nimmt er
sich göttliche Rechte. Er spricht wie Gott beim Auszug aus Ägypten. (...)
Andenken und Gedächtnis sind Anlaß zur Verkündigung des Herrentodes: Das Blut
des Lammes wird an die Pfosten der Kirche gezeichnet. Verkündigung ist
Proklamation einer gegenwärtigen Wirklichkeit.«12 So feierten die Israeliten die
gegenwärtige Allmacht Gottes von Generation zu Generation. »Im Sinn der Heiligen
Schrift ist das Gedächtnis nicht nur ein Sich-Erinnern an Ereignisse der
Vergangenheit, sondern die Verkündigung der großen Taten, die Gott für die
Menschen getan hat. In der liturgischen Feier dieser Ereignisse werden sie
gegenwärtig und wieder lebendig.«13
Der
Gedächtnischarakter der Messe liegt in ihrem Wesen. Er kommt zwar in Formen und
Texten zum Ausdruck: in dem Ruf der Gemeinde nach der heiligen Wandlung, in den
Worten, die der Priester nach der Konsekration spricht, im Abendmahlsbericht
selber. »Aber das eigentliche Gedächtnis liegt nicht in diesen hinweisenden
Worten, sondern in der Gegenwart des Blutes und des Leibes, die uns fähig
machen, in die Freiheit zu gehen.«14
Tag für
Tag und auf der ganzen Welt wird bei der Feier der Eucharistie der Bund mit Gott
erneuert. Auf jedem Altar wird das eine Opfer Christi auf Kalvaria auf
geheimnisvolle, reale Weise gegenwärtig. Das Geheimnis übersteigt nicht nur
unsere Vorstellungskraft, es überspringt auch die Zeiten: denn das Werk der
Erlösung, das Christus dort und damals wirkte, geschieht hier und jetzt, als
existierten die zwanzig Jahrhunderte nicht, die uns vom damaligen Geschehen
trennen. Besonders im Augenblick der Wandlung können wir versuchen, in das
heilige Geschehen einzutauchen und Eucharistie zu feiern, das heißt: für die
Erlösung und für die Gabe des Leibes und Blutes unseres Herrn zu danken.
III. Nach
der Lesung und vor dem Evangelium beten oder singen wir heute den Kehrvers zum
Antwortpsalm: Wie lieb ist mir deine Wohnung, o Herr! Es ist das Gebet eines
frommen Israeliten, der fern vom Tempel, vielleicht in der Diaspora, weilt:
Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. Mein Herz und
mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott. »Er betrachtet es als das
höchste Glück, ständig im Tempel sein oder regelmäßig dorthin kommen zu können.
Solange ihm dies versagt ist, schließt er sich den Pilgern, die zur heiligen
Stadt ziehen, wenigstens mit dem Herzen an.«15 Jetzt sucht das Herz den Tempel
des Neuen Bundes, dessen Mitte Altar und Tabernakel sind - das Opfer Christi und
seine fortwährende, reale Gegenwart. Auch der Sperling findet ein Haus und die
Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr der He= 15 Jetzt sucht
das Herz den Tempel des Neuen Bundes, dessen Mitte Altar und Tabernakel sind -
das Opfer Christi und seine fortwährende, reale Gegenwart. Auch der Sperling
findet ein Haus und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr
der Herscharen, mein Gott und mein König16, heißt es wie in einer Vorahnung der
Fülle, die Christus bringen wird. Der Sperling und die Schwalbe waren lediglich
Bilder, jetzt - nach Abendmahl und Kreuz, nach Auferstehung und Pfingsten - ist
der Altar wirklich unser Zuhause, unser Nest, unsere Zuflucht.
Mit
welcher Liebe und Ehrfurcht müssen wir uns der Eucharistie nähern! »Das Leben
der Gläubigen, ihr Lobpreis, ihr Leiden, ihr Gebet und ihre Arbeit werden mit
denen Christi und mit seiner Ganzhingabe vereinigt und erhalten so einen neuen
Wert. Das auf dem Altar gegenwärtige Opfer Christi gibt allen Generationen von
Christen die Möglichkeit, mit seinem Opfer vereint zu sein.«17
Wie der
alttestamentliche Beter seine persönlichen Empfindungen in die des pilgernden
Volkes hineinlegt, kommen bei der Eucharistie Ich und Wir - persönliches Gebet
und gemeinsame liturgische Feier - zusammen. Das Ich des »bewußt, tätig und mit
geistlichem Gewinn«18 Teilnehmenden vereint sich mit dem Wir der Apostel im
Abendmahlssaal, der Christen der Urzeit, der Feiernden in einer gewaltigen
Kathedrale wie in einer armseligen Hütte, der Fröhlichen wie der Trauernden. Ich
und Wir verschmelzen in Christus, dem Haupt des mystischen Leibes: »unsere
Messe« ist gleichzeitig »meine Messe« »Die Kirche wurde in den Seelen der
Liturgiefeiernden lebendig. Durch die Einzelmenschen, die da gekommen waren -
jeder für sich, jeder mit seinen kleinen und großen Sorgen -, ging mit dem
Einzug des Priesters und der Ministranten Christus hindurch. Er machte die zwei
oder drei oder tausend Anwesenden zu Versammelten in seinem Namen. Er sandte
seinen Heiligen Geist mit der Gebetsgnade. Unsere Messe - Gebet der Kirche durch
Christus im Heiligen Geist! (...)
Wir
wurden Kirche, Einheit im Heiligen Geist; wir wurden Ecclesia - gerufene
Versammlung des Gottesreiches. Darum beteten wir als Kirche für die Menschen.
Wir spürten, daß wir erst als >wir< etwas waren. Unsere Messe gab es uns.«
Dennoch kann die heilige Feier nicht unsere Messe werden, wenn sie nicht meine
Messe ist, »wenn nicht jeder der Hochzeitsgäste seine Mitfreude, seine
Geschenke, seine Gaben, seine Wünsche mitbringt, wenn er nicht kommt, um selber
von Herzen dabei zu sein.«19
1 Ex
24,3-8. - 2 Katechismus der Katholischen Kirche, 2099. - 3 ebd., 1539. - 4 vgl.
Jos 8,30-35. - 5 vgl. Jer 31,31-34; Ez 16,60; Jes 42,6; Ez 36,26ff. - 6 Lk
22,20. - 7 Th. Schnitzler, Was die Messe bedeutet, Freiburg 1976, S. 31. - 8 J.
Escrivá, Christus begegnen, 92. - 9 Jer 31,31-32. - 10 Katechismus der
Katholischen Kirche, 1340. - 11 Lk 22,19; 1 Kor 11,23-25. - 12 Th. Schnitzler,
a.a.O., S. 28. - 13 Katechismus der Katholischen Kirche, 1363. - 14 Th.
Schnitzler, a.a.O. - 15 Echter-Bibel, Bd. 4, Würzburg 1959, S. 186. - 16 Ps
84,2a.3. - 17 Katechismus der Katholischen Kirche, 1368. - 18 II. Vat.
Konz.,
Konst. Sacrosanctum Concilium, 11. - 19 Th.
Schnitzler, a.a.O., S. 209-211.