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Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

ADVENT
21. DEZEMBER

26

GROSSMUT UND DIENSTBEREITSCHAFT

Großmut und Dienstbereitschaft Mariens.

Maria nacheifern. Beispiele für Großmut und Dienst am Nächsten.

Lohn der Großmut.

 

I. In jenen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet.1

Maria widmet sich ganz ihrem göttlichen Auftrag. Persönliche Ziele, die sie ja gewiß hatte, sind mit einem Mal vergessen. Sie wird fortan vorbehaltlos nur das verfolgen, was Gott ihr aufträgt. Vom ersten Augenblick an ist Jesus das einzigartige Ideal, für das sie lebt.

Das ganze irdische Leben Unserer Lieben Frau zeugt von Großmut. Zwei der wenigen Stellen im Evangelium, die sich mit ihrem Leben beschäftigen, berichten uns unmittelbar von ihrer Sorge um den Nächsten: sie opferte ihre Zeit, um sich bis zur Geburt des Johannes um ihre Verwandte Elisabet zu kümmern2; und wie uns später ihr Eingreifen bei der Hochzeit von Kana zeigt, war sie auch um das Wohl der anderen besorgt3. Ihre Mitbürger von Nazaret könnten uns wohl zahlreiche solcher Begebenheiten aus dem täglichen Zusammenleben mit ihr berichten.

Maria denkt nicht an sich selbst, sondern an die anderen. Ihren häuslichen Pflichten kommt sie schlicht und freudig nach, innerlich gesammelt, weiß sie doch, daß sie den Herrn in sich trägt. Alles im Hause Elisabets ist mit Marias Anwesenheit und dem Kind, das in ihrem Schoße heranwächst, geheiligt.

In Maria erweist sich, daß Großmut eine Eigenschaft weitherziger Seelen ist, die im Geben selbst den höchsten Lohn finden: Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.4 Wer großmütig ist, weiß ganz selbstlos Liebe, Verständnis, materielle Hilfe zu geben. Er gibt und vergißt, daß er gegeben hat. Und darin liegt sein ganzer Reichtum. Er hat verstanden, daß geben seliger ist als nehmen5, hat entdeckt, daß lieben »wesentlich bedeutet, sich für andere hinzugeben. Weit davon entfernt, eine gefühlsmäßige Neigung zu sein, ist Liebe vielmehr eine bewußte Willensentscheidung, auf andere zuzugehen. Um wahrhaft lieben zu können, muß man von allem anderen, besonders aber von sich selbst absehen und großzügig geben können. Dieser Verzicht auf persönlichen Besitz (...) macht uns ausgeglichen und ist das Geheimnis innerer Zufriedenheit.«6

Geben öffnet unsere Herzen und verleiht ihnen Jugend und Kraft zur Liebe. Eigensucht hingegen macht arm und verengt den Gesichtskreis. Je mehr wir geben, desto reicher werden wir.

Wir wollen heute die Mutter Gottes bitten, sie möge uns lehren, großmütig zu sein; in erster Linie gegenüber Gott, aber auch jenen gegenüber, die mit uns leben oder arbeiten und mit denen wir aus den verschiedensten Anlässen im täglichen Leben zusammenkommen.

 

II. Wenn wir fühlen, daß uns die Eigensucht trotz unseres Kampfes weiterhin beherrscht, wollen wir auf Maria blicken, um ihr in ihrer Großmut nachzueifern, froh darüber, zu geben und uns hinzugeben. Wir müssen besser verstehen, daß Großmut bereichert, das Herz weitet und uns bereiter macht zu empfangen; Egoismus ist dagegen wie ein Gift, das schleichend, doch unausbleiblich zersetzt.

In der Gemeinsamkeit mit Maria wird uns bewußt, daß Gott uns zur Selbsthingabe bestimmt hat und daß wir jedesmal, wenn wir heimlich unsere eigenen Ziele und Angelegenheiten verfolgen, im Grunde ärmer werden. »Das Reich Gottes hat keinen festen Preis, es kostet vielmehr genau das, was du hast. (...) Petrus und Andreas kostete es die Aufgabe eines Fischerbootes und einiger Netze; die Witwe kostete es zwei Silberlinge«7. Alles, was sie hatten; und auch in unserem Falle ist es nicht anders.

»Unseren« Besitz retten wir gerade dadurch, daß wir ihn ausliefern. »Dein Boot: deine Fähigkeiten, deine Pläne, deine Erfolge - all das ist zu nichts nutze, es sei denn, du stellst es Christus zur Verfügung, du läßt ihn ungehindert einsteigen; du verzichtest darauf, aus deinem Nachen einen Götzen zu machen. Du allein, mit deinem Boot und ohne den Meister, eilst dem sicheren Schiffbruch entgegen. Nur wenn du die Nähe des Herrn suchst und ihm das Steuer überläßt, wirst du die Stürme und Klippen des Lebens heil bestehen. Gib alles in die Hände Gottes: Laß deine Gedanken, deine schönen Phantasieflüge, deine edlen menschlichen Bestrebungen, die reinen Sehnsüchte deiner Liebe durch das Herz Jesu hindurchgehen. Denn sonst wird all dies - früher oder später - mit deinem Egoismus zugrundegehen.«8

Jeder einzelne, wann und wo immer Gott ihn ruft, sollte wie jene Frau aus Betanien handeln, die ihre große Liebe zum Herrn dadurch unter Beweis stellt, daß sie ein wertvolles Gefäß zerbrach, in dem sich ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl9 befand. Diese Frau will weder für sich noch für andere etwas zurückbehalten, eine Geste, die von ihrer rückhaltlosen Hingabe, ihrer Freundschaft, ihrer tiefen Zuneigung zu Jesus zeugt. Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt. Auch von uns wird nichts bleiben als die Beweise unserer Liebe und Hingabe an Christus. Nur das. Alles andere wird vergehen wie ein Hauch im Winde.

Großmut Gott gegenüber muß sich in Großmut dem Nächsten gegenüber zeigen: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan10.

Großmütig sein heißt kleine Beleidigungen, wie sie uns im menschlichen Alltag widerfahren, rasch vergessen; heißt lächeln und anderen das Leben freundlicher gestalten, auch wenn Widerstände auftreten; heißt über andere nicht zu streng, sondern verständnisvoll urteilen; heißt weniger angenehme Pflichten bei der Arbeit und in der Gemeinschaft übernehmen; heißt andere so nehmen, wie sie sind, und sich nicht so sehr an ihren Schwächen aufhalten; heißt auch einmal ein Lob aussprechen, das einem anderen guttut; heißt einem Gespräch einen zuversichtlichen Grundton geben und sich bei Gelegenheit auch einmal entschuldigen; heißt überflüssige und häufig auch ungerechte Beanstandungen unterlassen; heißt unseren Freunden - für ihr irdisches wie für das ewige Leben - neue Perspektiven eröffnen. Besonders müssen wir jenen, die um uns sind, Wege zeigen, damit sie auf Christus zugehen können; denn von allem, was wir geben können, ist dies das Höchste.

Jeden Tag halten wir einen Schatz in Händen, den wir zu verschenken haben. Sonst würden wir ihn verlieren; geben wir ihn aber hin, so wird ihn der Herr vervielfachen. Wenn wir aufmerksam sind und sein Leben im Blick behalten, wird er uns Gelegenheiten zeigen, dort zu dienen, wo sich andere vielleicht davonmachen. Wie Jesus beim Letzten Abendmahl, als er seinen Jüngern die Füße wusch11, werden wir vor lästigen Aufgaben nicht zurückscheuen, die ja oft die dringlichsten sind. Wir werden lernen, daß Gelegenheiten zu dienen uns Opfer abverlangen, die erst durch eine innere Haltung von Verzicht und Entsagung möglich werden; wir werden erfahren, daß man solche Gelegenheiten bewußt suchen muß: über die Lebensweise derer nachzudenken, die mit uns zusammen leben oder arbeiten, zu ergründen, woran sie Not leiden, worin wir ihnen nützlich sein können. Der Selbstsüchtige, der den Tag fernab von Gott verbringt, sieht nur seine eigenen Bedürfnisse und Neigungen.

Maria war nicht nur Gott, sondern auch jenen Menschen gegenüber großmütig, denen sie in ihrem irdischen Leben begegnete. Auch von ihr läßt sich sagen, daß sie umherzog und Gutes tat12. Wie schön, wenn man das gleiche auch von jedem von uns sagen könnte.

 

III. Der Herr vergilt hier auf Erden und später im Himmel unsere so schwachen Zeichen der Großmut. Und das überreich. »So dankbar ist er, daß nicht einmal ein Augenaufschlag im Gedanken an ihn ohne Lohn bleibt.«13

In der Heiligen Schrift finden sich, gemessen am Geben des Menschen, zahllose Zeugnisse für die göttliche Großmut: Die Witwe von Sarepta gab eine Handvoll Mehl (...) und ein wenig Öl14 und erhielt selbst Mehl und Öl im Überfluß. Die Witwe im Tempel gibt zwei kleine Münzen, und Jesus erklärt: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern15. Der Diener, der die überlassenen Talente zu mehren suchte, erfährt aus dem Munde des Herrn: Weil du im Kleinsten zuverlässig warst, sollst du Herr über zehn Städte werden16.

Eines Tages sprach Petrus zum Herrn: Du weißt, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt, und Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben.17

Wie könnte der, welcher unsere Treue selbst in den unbedeutendsten Handlungen wahrnimmt, uns von einem Tag auf den andern vergessen? Wer Brot und Fische für eine Menschenmenge vermehrte, die ihm einige Tage folgte, was wird der erst für jene tun, die alles zurückgelassen haben, um ihm für immer zu dienen! Wenn sie eines Tages einer besonderen Gnade bedürfen, um auf ihrem Weg auszuharren, wie könnte Jesus sich ihnen verweigern? Er entlohnt reichlich.

Der Herr entlohnt alles, was man aus Liebe zu ihm gegeben hat, hundertfach. Wer Jesus auf diese Weise folgt, wird nicht nur in diesem Leben ein Vielfaches erhalten, sondern darf sich den Himmel erhoffen. Er wird schließlich Jesu Stimme vernehmen, dem er sein Leben lang gedient hat: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist18. Diese Grußworte an der Schwelle zur Ewigkeit werden der Lohn für alle Großmut sein. Und an der Hand Jesu und Mariens werden wir in das neue Leben eintreten.

 

 Evangelium der Messe vom Tage, Lk 1,39-40. - 2 Lk 1,31. - 3 Joh 2,1 ff. - 4 Mt 10,8. - 5 Apg 20,35. - 6 Johannes Paul II., Ansprache, 1.6.1980. - 7 Gregor der Große, 5. Homilie über die Evangelien. - 8 J. Escrivá, Freunde Gottes, 21. - 9 Joh 12,3. - 10 Mt 25,40. - 11 vgl. Joh 13,4-17. - 12 Apg 10,38. - 13 Theresia von Avila, Weg der Vollkommenheit, 23,3. - 14 1 Kön 17,10 ff. - 15 Mk 12,43. - 16 Lk 19,16-17. - 17 Lk 18,28-30. - 18 vgl. Mt 25,34.

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