FASTENZEIT
4. WOCHE - MONTAG
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DAS
PERSÖNLICHE GEBET
Der Herr
lehrt uns durch sein Beispiel die Notwendigkeit des Gebetes.
Aussprache vor Gott: niemals anonym, persönlich, konkret.
Voraussetzungen für die innere Sammlung.
I.
Jesus
betete einmal an einem Ort.
Das Evangelium zeigt uns immer wieder, wie Jesus sich zurückzieht, um allein zu
beten.
Dies wird besonders deutlich in den wichtigen Augenblicken seines öffentlichen
Wirkens, bei seiner Taufe,
bei der Berufung der Apostel,
beim Wunder der Brotvermehrung
oder bei der Verklärung auf Tabor.
Beten war für den Herrn eine Selbstverständlichkeit: »Manchmal verbrachte er die
ganze Nacht im innigen Gespräch mit seinem Vater. Mit welcher Liebe muß die
Gestalt des betenden Christus die ersten Jünger erfüllt haben.«7 Auch uns kann
die Betrachtung dieser Szenen helfen, betend ihn mehr zu lieben.
Die
Fastenzeit rückt das Gebet des Herrn im Ölgarten in die Mitte unserer
Betrachtung. Der Beginn seines Leidensweges steht jetzt kurz bevor. Die Apostel
begleiten ihn zum letztenmal nach Getsemani. Jesus kennt den Ort, weil er sich
oft dorthin zum Beten zurückgezogen hatte. Lukas deutet dies an einer Stelle
seines Evangeliums an, wenn er schreibt:
Dann
verließ Jesus die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg.
Diesmal aber bekommt das Gebet des Herrn eine besondere Färbung: er tritt in
sein Todesleiden ein.
Bevor
sich der Herr von den Aposteln trennt, sagt er zu ihnen:
Betet
darum, daß ihr nicht in Versuchung geratet!
Die Stunde des Leidens wird für die Jünger zur Stunde der Versuchung und des
Ärgernisses. Schon im Abendmahlssaal hatte es ihnen der Herr angekündigt, doch
nun erinnert er sie von neuem daran: nur wachend und betend werden sie bestehen
können.
Das Gebet
ist für jeden Christen notwendig. Der Herr lehrt uns, daß wir allezeit beten und
nicht nachlassen sollen,
denn:
getrennt
von mir könnt ihr nichts vollbringen.
Nachlassender Umgang mit Gott läßt das geistliche Leben versiegen. »Wer aufhört
zu beten, lebt noch eine Weile von seinen spirituellen Reserven - und danach vom
Schwindeln.«12 Wir sollen Gottes Nähe eindringlich und in jeder Situation
suchen. Gerade in der Fastenzeit, da wir Jesus auf seinem Weg nach Golgota
begleiten, gilt: »wie schwer ist es, ihn zu begleiten, wenn man nicht betet.«13
Der
heilige Thomas von Aquin »definiert das Gebet als >Ausdruck der Sehnsucht des
Menschen nach Gott<. Damit ist das Gebet mehr als Einkehr und Besinnung, mehr
als Hygiene und Kultur der Seele oder ein bloß psychologisches >Auftanken<. Im
Gebet betrachtet der Mensch sich und seine Situation vor Gott, auf ihn hin und
von ihm her. Dabei erfährt er, daß er ein hilfsbedürftiges Geschöpf ist,
ohnmächtig, selbst sein Dasein und seine Hoffnung zu erfüllen. Allein Gott, der
Grund und das Ziel des Menschen, ist groß genug, um das menschliche Herz ganz
auszufüllen. Darum ist das Gebet Aufbruch zu Gott, Erhebung des Herzens zu Gott,
Begegnung des Menschen mit Gott. Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist das
Einswerden mit Gott, d.h. die Gemeinschaft und die Freundschaft mit ihm. Die
eigentliche Definition des Gebetes lautet deshalb: Das Gebet ist ein >Gespräch
mit Gott<, Austausch der Freundschaft mit ihm (Theresia von Avila).«14
II.
Dann
entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und
betete: Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein,
sondern dein Wille soll geschehen.15
Abgründiger Seelenschmerz und grenzenloses Vertrauen zum Vater. Christus spricht
ihn mit der familiären Anrede an, die Kinder gebrauchen:
Abba.
Und er zeigt uns damit, wie das Gespräch mit Gott sein soll: voll kindlichem
Vertrauen, in Zeiten inneren Friedens wie in Zeiten heftigen Ringens oder der
Dunkelheit, und ganz besonders dann, wenn Hoffnungslosigkeit droht. Das Gebet,
das vertrauliche Zwiegespräch mit dem Herrn, ist die gemäße Reaktion auf die
Ohnmacht, die wir manchmal auf dem Weg der Nachfolge so deutlich spüren.
Gemäß dem
Wort des Herrn -
du aber
geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem
Vater
- suchen wir Gott in der Einsamkeit des eigenen Herzens. Aber dies ist keine
Einschränkung gegenüber dem Gebet in der Gemeinschaft, das auch persönliches
Beten ist, wenn wir das gesprochene Wort im Geiste bedenken. Der
Liturgie-Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils zufolge »ist die
Liturgie der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die
Quelle, aus der all ihre Kraft strömt (...). Das geistliche Leben deckt sich
aber nicht schlechthin mit der Teilnahme an der heiligen Liturgie. Der Christ
ist zwar berufen, in Gemeinschaft zu beten, doch muß er auch in sein Kämmerlein
gehen und den Vater im Verborgenen anbeten, ja ohne Unterlaß beten, wie der
Apostel mahnt (1
Thess
5,17) «17.
Jetzt
betrachten wir besonders das persönliche Gebet, in dem wir uns vor Gott
aussprechen, so wie man sich mit einem Freund ausspricht. Wir wissen, daß er
gegenwärtig ist, daß er uns aufmerksam zuhört, daß er uns erleuchtet. Wir beten
ihn an, wir danken ihm, wir bitten ihn um Hilfe, wir versuchen - wie die Apostel
damals - seine Lehre tiefer zu erfassen. »Du hast mir geschrieben: >Beten ist
Sprechen mit Gott. Aber wovon?< - Wovon? Von ihm und von dir, von Freude und
Kummer, von Erfolgen und Mißerfolgen, von hohen Zielen und alltäglichen Sorgen
... Von deinen Schwächen! Danksagungen und Bitten. Lieben und Sühnen. - Kurz,
ihn erkennen und dich erkennen: Beisammen sein!«18
Beten
darf niemals unpersönlich sein. Christus hat nicht eine anonyme Menschenmasse
erlöst, sondern jeden einzelnen Menschen, Heil oder Verdammung sind individuell.
Die eigenen Vorstellungen, Nöte, Sorgen und Freuden, die spezifischen
Angelegenheiten dieses bestimmten Berufes, die Anliegen dieses oder jenes
Freundes ... dies alles tragen wir vor unseren Vater Gott.
III.
Nach dem
Gebet stand er auf, ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend: denn sie
waren vor Kummer erschöpft. Da sagte er zu ihnen: Wie könnt ihr schlafen? Steht
auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet19
Wieder
einmal begegnen uns die Apostel in ihrer Schwäche, ihre Liebe zum Herrn war noch
nicht genug gefestigt. Der Schlaf übermannt sie, sie lassen Jesus allein. Mit
dem Schlaf, Sinnbild der menschlichen Schwachheit, bemächtigen sich ihrer
Niedergeschlagenheit und Resignation.
Nur ein
waches Gespräch mit dem Herrn kann solche Gefahren bannen. Nicht daß wir stets
eigene Gedanken oder Regungen vortragen müßten. Häufig werden uns die Heilige
Schrift, ganz besonders die Evangelien, oder ein geistliches Buch helfen, auf
den Herrn zuzugehen. So haben es auch die Heiligen oft genug getan: »Vierzehn
Jahre hindurch war ich in solcher Verfassung, daß ich niemals meditieren konnte,
wenn ich nicht eine Lesung vor mir hatte« schreibt die heilige Theresia von
Avila20.
»Die
äußeren Bedingungen können die innere Sammlung erleichtern oder auch erschweren.
Suchen wir deshalb einen geeigneten Ort, möglichst in der Nähe des Tabernakels,
und eine günstige Zeit. Und wenn sich störende Erinnerungen oder Vorstellungen
aufdrängen wollen, dann hilft uns der Geist der Abtötung, um zu vermeiden, daß »deine
Sinne wach sind und deine Seele schläft«21.
»Die
geistlichen Lehrer sprechen immer wieder von der Zerstreuung, dem Zustande, in
welchem der Mensch nicht Mitte noch Einheit hat, seine Gedanken von diesem zu
jenem Gegenstand schweifen, sein Fühlen unbestimmt und sein Wille der
eigentlichen Möglichkeiten nicht mächtig ist. Hier gibt es eigentlich keinen
richtigen >Jemand<, der redet und angeredet werden kann, sondern ein Gewirre von
Gedanken, einen Fluß von Empfindungen, einen Durchgang von Eindrücken. So heißt
Sammlung, daß der Betende sich >zusammennimmt<, wie das Wort sehr anschaulich
sagt; die überallhin entgleitenden Gedanken zurückholt - eine mühselige Arbeit!
- und so dem Gebete ein geeintes Gemüt zur Verfügung stellt. Es ist der Zustand,
aus dem heraus er mit dem Angerufenen der Schrift sagen kann: >Hier bin ich<«22.
Wenn wir
entschieden gegen Zerstreuungen ankämpfen, wird es uns mit der Gnade des Herrn
und der Hilfe unseres Schutzengels gelingen, daß das Gespräch mit ihm nicht
abreißt, auch wenn es hier und dort stockt.
Ungewollte Ablenkungen, die uns eher stören und die wir abzuwehren suchen,
sobald wir sie bemerken, mindern weder Sinn noch Wert des Betens. Eltern macht
schließlich auch das unzusammenhängende Gestammel des kleinen Kindes Freude.
Gelegentlich wird uns das Beten schwer, ja unfruchtbar vorkommen. Aber »Beten
ist keine Frage des Redens oder Fühlens, sondern der Liebe. Und allein schon das
Bemühen, dem Herrn etwas sagen zu wollen, ist ein Zeichen dieser Liebe - auch
wenn man gar nichts sagt«23.
Das Gebet
macht uns reicher, fester, entschiedener. Es »klärt und läutert die Grundhaltung
des Menschen, entlarvt bloßen Schein, mit dem wir uns und den anderen etwas
vormachen. Es gibt uns die Kraft, von unseren Lebenslügen zu lassen und die
Wahrheit über uns und unser Leben anzuerkennen.«24
Niemand
auf dieser Welt hatte einen so liebevollen Umgang mit Jesus wie seine Mutter.
Auf ihre Fürsprache hin werden wir es immer besser verstehen, Jesus nahe zu
sein.
11,1-3. -
vgl.
14,23;
1,35;
5,16; etc. -
vgl.
3,21. -
vgl.
6,12. -
vgl.
6,46. -
vgl.
9,29. -
J. Escrivá,
Christus
begegnen,
119. -
22,39. -
22,40. -
vgl.
18,1. -
15,5. -
J. Escrivá,
Die Spur
des Sämanns,
Nr. 445. -
ders.,
,
Nr. 89. -
Katholischer Erwachsenen-Katechismus,
Bonn 1985, S.87. -
22,41-42. -
6,6. -
II. Vat. Konz., Konst.
Sacrosanctum Concilium,
10 u. 12. -
J. Escrivá,
,
Nr. 91. -
22,45-46. -
Theresia von Avila,
Weg zur Vollkommenheit,
17,4. -
vgl. J. Escrivá,
,
Nr. 368. -
R. Guardini,
Vorschule
des Betens,
Mainz 1986, S.21. -
J. Escrivá,
Die Spur
des Sämanns,
Nr. 464. -
Katholischer Erwachsenen-Katechismus,
Bonn 1985, S.87.