JAHRESKREIS
31. WOCHE – FREITAG
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das GEBET FÜR DIE VERSTORBENEN
Im
Zeichen der Gemeinschaft der Heiligen.
Das Fegefeuer.
Der Ablaß.
I. Dieser Monat November steht mit Allerheiligen und Allerseelen im Zeichen der Gemeinschaft der Heiligen. Der Brauch, nach Allerheiligen den Gedenktag aller Verstorbenen zu begehen, entstand um das Jahr 1000 in der burgundischen Reformabtei Cluny und bürgerte sich dann in der Gesamtkirche ein. Diese selbstverständliche Gewohnheit rückt die Frage nach dem Sinn des Lebens in den Mittelpunkt: »Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.«1
Die Liturgie erinnert uns daran, daß der Tod die Gemeinschaft derer, die in Christus leben, nicht zerstört, sondern ihr vorübergehend eine andere Gestalt gibt, bis wir alle eins sein werden in Christus. Jene, die wir »die Heimgegangenen« nennen, sind auch nach dem Tod auf unsere Liebe angewiesen, sie brauchen unser Gebet, das ihnen im Fegefeuer hilft oder, wenn sie schon bei Gott sind, anderen, die der Fürbitte noch bedürfen, zugute kommt.
In einer der für die Totenmessen vorgesehenen Lesungen2 hören wir eine Begebenheit aus dem 2. Buch der Makkabäer. Beim Überführen der Gefallenen nach einer siegreichen Schlacht entdeckte man, daß alle Toten unter ihren Kleidern Amulette fremder Gottheiten trugen. Da veranstaltete Judas, der Makkabäer, eine Sammlung, an der sich alle beteiligten, und schickte etwa zweitausend Silberdrachmen nach Jerusalem, damit man dort ein Sündopfer darbringe. Damit handelte er sehr schön und edel; denn er dachte an die Auferstehung. Hätte er nicht erwartet, daß die Gefallenen auferstehen werden, wäre es nämlich überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten. Judas ließ also die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden. Der heilige Text nennt dies einen heiligen und frommen Gedanken.
Die Ahnung, daß wir über den Tod hinaus zusammengehören, ist eine Konstante in allen Religionen. Der Glaube gibt ihr Gestalt und Gewißheit: »Aus der tiefen Anerkennung dieser Gemeinschaft des ganzen mystischen Leibes Jesu Christi hat die pilgernde Kirche seit den Anfängen der christlichen Religion das Gedächtnis der Verstorbenen mit großer Ehrfurcht gepflegt und hat auch Fürbitten für sie dargebracht.«3
Schon sehr früh begann der Brauch, innerhalb der heiligen Messe für die Verstorbenen zu beten. Wir gedenken jener, die uns vorangegangen sind, bezeichnet mit dem Siegel des Glaubens, und die nun ruhen in Frieden. Wir bitten Gott, er möge sie und alle, die in Christus entschlafen sind, in das Land der Verheißung, des Lichtes und des Friedens führen4, damit sie ihn schauen von Angesicht zu Angesicht5. Die Worte der Liturgie greifen uralte Formeln auf, die wir auf Grabinschriften in den Katakomben, den römischen Friedhöfen der ersten christlichen Jahrhunderte und in den Akten der Märtyrer finden.
Während wir diese Zeit des Gebetes halten, können wir an unsere Verstorbenen denken. Sie bleiben uns verbunden. Es ist ein Gott wohlgefälliges Werk der Barmherzigkeit, daß wir sie in unser Gebet einschließen.
II. Im Katechismus der katholischen Kirche heißt es, daß »die Sünde eine doppelte Folge hat. Die schwere Sünde beraubt uns der Gemeinschaft mit Gott und macht uns dadurch zum ewigen Leben unfähig. Diese Beraubung heißt >die ewige Sündenstrafe<. Andererseits zieht jede Sünde, selbst eine geringfügige, eine schädliche Bindung an die Geschöpfe nach sich, was der Läuterung bedarf, sei es hier auf Erden, sei es nach dem Tod im sogenannten Purgatorium (Läuterungszustand). Diese Läuterung befreit von dem, was man >zeitliche Sündenstrafe< nennt.«6
Mit anderen Worten: Jede Sünde ist nicht nur eine Beleidigung Gottes und Entfremdung von ihm bis hin – im Fall einer Todsünde – zu einer radikalen Verwirkung des Endzieles. Sie verstärkt auch die Neigungen zum mißbräuchlichen Umgang mit der Schöpfung und schadet außerdem dem sozialen Gefüge: eine Tat der Untreue kann das Mißtrauen anderer fördern. Auch wenn die Sünde schon verziehen ist, hat die Schuld oft Folgen, die sündige Tat hinterläßt Spuren. Papst Johannes Paul II. schreibt, daß »eine Seele, die sich durch die Sünde erniedrigt, mit sich auch die Kirche erniedrigt und in gewisser Weise die ganze Welt«7.
Die Läuterung durch zeitliche Sündenstrafen hilft, die verletzte Ordnung wiederherzustellen: »Der Christ soll sich bemühen, diese zeitlichen Sündenstrafen als eine Gnade anzunehmen, indem er Leiden und Prüfungen jeder Art geduldig erträgt und, wenn die Stunde da ist, den Tod ergeben auf sich nimmt.«9 Sie dürfen also nicht »als eine Art Rache verstanden werden, die Gott von außen her ausüben würde, sondern als etwas, das sich aus der Natur der Sünde ergibt. Eine Bekehrung, die aus glühender Liebe hervorgeht, kann zur völligen Läuterung des Sünders führen, so daß keine Sündenstrafe mehr zu verbüßen bleibt.«9
Die Seele, die – noch ungenügend geläutert – diese Welt verläßt, reinigt sich vollständig im Fegefeuer. Dort erfährt sie – zusammen mit dem großen Schmerz, Gott noch nicht schauen zu dürfen – auch eine große Freude; denn sie weiß sich der ewigen Glückseligkeit sicher. »Die volkstümliche Rede von den >armen Seelen< ist insofern berechtigt, als deren Armut darin besteht, daß sie sich nicht aktiv, sondern nur passiv läutern und heiligen können. Im Grunde handelt es sich jedoch nicht um >arme Seelen<, sondern um Seelen, die den ganzen Reichtum der Barmherzigkeit Gottes erfahren und die uns in der Verwirklichung der Hoffnung und in der Nähe zu Gott einen wesentlichen Schritt voraus sind. Ihr Schmerz besteht im Angesicht Gottes eben darin, daß sie noch nicht lauter genug sind, um sich von Gottes Liebe ganz erfüllen und beseligen lassen zu können. Es handelt sich also um den reinigenden Schmerz der Liebe. In dieser Liebe sind alle Glieder des einen Leibes Jesu Christi solidarisch verbunden. Deshalb können sie betend und büßend füreinander einstehen.«10
Dies geschieht vor allem durch die heilige Messe, denn sie ist das Höchste, das wir – verbunden mit Christus – Gott aufopfern können. Die Kirche gedenkt besonders im Verlauf dieses Monats der Seelen im Fegefeuer und ermutigt uns, mit ihnen solidarisch zu sein. Bestimmte Abläße können ihnen zugewandt werden, Werke der Barmherzigkeit, die wir auf Gott hin verrichten, können ihnen zu Hilfe kommen. Wir können die heilige Kommunion, einen Rosenkranz, eine schmerzhafte Krankheit Gott für sie darbringen. Und natürlich können wir auch unsere alltägliche Arbeit aufopfern, die wir dann gewissenhafter zu verrichten suchen, mit menschlicher Vollkommenheit auf Gott hin.
III. Gott hat uns das Heil auf eine solidarische Weise vermitteln wollen: Solidarität mit Christus und – in ihm – untereinander. Eine der Ausdrucksformen dieser Solidarität ist der Ablaß. Er »wird gewährt durch die Kirche, die kraft der ihr von Jesus Christus gewährten Binde- und Lösegewalt für den betreffenden Christen eintritt und ihm den Schatz der Verdienste Christi und der Heiligen zuwendet, damit er vom Vater der Barmherzigkeit den Erlaß der für seine Sünden geschuldeten zeitlichen Strafen erlangt.«“ jeder Gläubige kann Teilablässe oder vollkommene Ablässe für sich selbst gewinnen, er kann sie aber auch fürbittweise Verstorbenen zuwenden.12
Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit. Auch die Verstorbenen, die sich im Läuterungszustand befinden, sind Glieder der einen Gemeinschaft der Heiligen. Sie besitzen schon die Gewißheit des Heiles, aber bedürfen unserer betenden Anteilnahme. Wir können unseren Verstorbenen »unter anderem dadurch zu Hilfe kommen, daß wir für sie Ablässe erlangen. Dadurch werden den Verstorbenen im Purgatorium für ihre Sünden geschuldete zeitliche Strafen erlassen.«14
Die Kirche gewährt viele Teilabläße für Gebete und gute Werke: für die Lektüre der Heiligen Schrift, für eine Zeit der Betrachtung, für das Beten des Engel-des-Herrn, für die Verehrung eines Kreuzes, das Tragen einer Medaille usw. Einige sind mit dem vollkommenen Ablaß versehen wie zum Beispiel das Gebet des Rosenkranzes in der Familie, der Kreuzweg oder eine halbe Stunde betrachtenden Gebetes vor dem Allerheiligsten. Die erforderlichen Bedingungen sind der Empfang des Bußsakramentes und der heiligen Eucharistie sowie ein Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters.
Der Allerseelenablaß kann von Allerheiligenmittag an gewonnen werden: am Fest selbst oder am Allerseelentag durch einen Kirchenbesuch, bei dem man das Gebet des Herrn und das Glaubensbekenntnis betet; oder je einmal täglich in der Woche danach durch den Besuch eines Friedhofs, verbunden mit einem Gebet für die Verstorbenen.
Durch das Gebet für unsere Verstorbenen können wir unsere Dankbarkeit ihnen gegenüber über den Tod hinaus bezeugen, weil auch das, was sie uns zu Lebzeiten gegeben haben, in uns weiterwirkt: die Erziehung durch unsere Eltern, das aufmunternde Beispiel eines Freundes, das vorbildliche Leben eines Lehrers. Außerdem dürfen wir annehmen, daß auch wir den Seelen im Fegefeuer in irgendeiner Form gegenwärtig sind und sie für uns beten. Wir legen Fürsprache für sie ein, sie für uns. Beten wir also für sie, so wie die Kirche es in ihrer Liturgie tut: »Nimm deine Diener und Dienerinnen auf in die Herrlichkeit deines Sohnes, mit dem auch wir durch das große Sakrament der Liebe verbunden sind.«15
Gotteslob 656. – 2 2 Makk 12,43-45. – 3 II. Vat.Konz., Konst. Lumen gentium, 50. – 4 Erstes Hochgebet. – 5 Zweites Hochgebet. – 6 Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, 1472. – 7 Johannes Paul II., Apost.Schreiben Reconciliatio et paenitentia, 2.12.84, 16. – 8 Katechismus der Katholischen Kirche, 1473. – 9 ebd. 1472. – 10 Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bonn 1985, S.425. – 11 Katechismus der Katholischen Kirche, 1478. – 12 vgl. CIC, can.994. – 13 1 Kor 12,26. – 14 Katechismus der Katholischen Kirche, 1479. – 15 Gabengebet am Tag Allerseelen.
