JAHRESKREIS
34. WOCHE – MITTWOCH
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GEDULD, STANDHAlTen
Am Ende
des Kirchenjahres.
Wann und wo geduldig sein?
Apostolisches Zeugnis und Geduld.
I. Das Kirchenjahr geht zuende. Die Worte des Herrn im heutigen Evangelium stellen uns das Ende der Geschichte vor Augen. Es geschieht in der prophetischen Sprache, die auf unsere Zeiterfahrung keine Rücksicht nimmt: die verschiedenen Ebenen überlagern sich. Die Zerstörung Jerusalems – die vierzig Jahre später erfolgen wird – weitet sich aus zu einem Bild vom Ende der Welt und richtet den Blick auf die Wiederkunft Christi in Macht und Herrlichkeit. Der Schwerpunkt im heutigen Evangelium1 liegt auf der Zwischenzeit, charakterisiert durch die Bedrängnisse und Verfolgungen, die die Kirche – so lange die Geschichte währt – erleiden wird. Man wird die Jünger Christi festnehmen und verfolgen, aber sie werden Zeugnis geben. Der Herr versichert ihnen schon jetzt seinen göttlichen Beistand. Sie sollen ganz unbesorgt sein, nicht einmal für ihre Verteidigung sollen sie im voraus sorgen: denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben. Eines hebt der Herr besonders eindringlich hervor: Standhaftigkeit und Geduld. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.
Die Voraussage des Herrn für seine Kirche enthält Verfolgung, Bedrängnis, Kampf – aber auch Beistand. Es ist, als sagte er: Nicht Stürmen und Drängen erwarte ich von euch, sondern Ausdauer, Beharrlichkeit, Standhalten und Geduld. Dabei meinten die Jünger immer, das Reich Gottes werde bald anbrechen. Erst nach und nach wird ihnen der Sinn jener Worte aufgegangen sein: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen.2 Verfolgung gehört seit den Anfängen zum Alltag der Kirche, aber sie fällt nicht aus der göttlichen Vorsehung heraus. Auch die Verfolgung wird – gegen den Willen der Verfolger – zum Werkzeug Gottes, sie läßt die Kirche an Liebe und Treue reich werden. Inmitten schlimmster Not gilt: In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.3
Was der Kirche im Ganzen geschieht, geschieht auch im Leben des einzelnen. Er erfährt Angriffe seitens derer, denen die christliche Berufung ein Ärgernis ist, er erfährt Anfeindungen – offen oder verschleiert – von einem Milieu, das Sinn und Gespür für das Christliche verloren hat. Auch aus der eigenen Begrenztheit und Enge stammen Prüfungen. Wer sich hohe Ziele setzt, muß sich anstrengen, muß kämpfen und leiden; und er muß auch gewärtigen, daß Hindernisse ihre Verwirklichung vereiteln können. So manches kann einen klaren Lebensentwurf plötzlich umwerfen: finanzielle Engpässe, familiäre Probleme, Krankheit, berufliche Schwierigkeiten. Unsere Geduld im Kampf wird beständiger, wenn wir den Blick auf Christus richten. Er hilft uns, in seiner Nachfolge zu bleiben und das entscheidende Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Geduld »ist etwas ganz anderes als das wahllose Hinnehmen von irgendwelchen Übeln: >geduldig ist nicht, wer das Übel nicht flieht, sondern wer sich dadurch nicht zu ungeordneter Traurigkeit hinreißen läßt.< Geduldig sein heißt: sich durch die Verwundungen, die aus der Verwirklichung des Guten erwachsen, nicht die Heiterkeit und Klarsichtigkeit der Seele rauben lassen. Geduld bedeutet nicht den Ausschluß von energisch zupackender Aktivität, sondern just und ausdrücklich und einzig den Ausschluß von Traurigkeit und Verwirrung des Herzens.«4 In Geduld können wir, was immer an Leiden auf uns zukommt, klaglos und mit innerer Gelassenheit tragen. Gelegentlich wird es sich um ungewöhnliche Situationen handeln, meistens jedoch um alltägliche Kleinigkeiten. Wir können sie auch als Einübung in das Größere betrachten, immer aber als Anlaß zum Aufopfern. Wir brauchen Geduld, um einen hartnäckigen Fehler beharrlich zu bekämpfen, aber auch um Bagatellen gelassen hinzunehmen: einen Besuch zur Unzeit, den Verkehrsstau oder die Verspätung des Zuges...
II. Geduld angesichts des Leidens ist etwas anderes als Passivität. Sie ist nicht lediglich ein gefühlloses Erdulden und Ertragen. Als Teil des Starkmutes führt sie zur gelassenen Annahme des Leidens und der Prüfungen des Lebens – ob groß oder klein -, die wir als göttliche »Heimsuchung« erkennen. Thomas von Kempen läßt Gott, unseren Vater, sagen: »Mein Sohn, laß dich weder niederdrücken und betrüben durch die Mühseligkeiten, die du um meinetwillen auf dich genommen hast, noch sollen Trübsale dich immerfort niederwerfen; es stärke und tröste dich vielmehr meine Verheißung. Ich bin mächtig genug, dir in jeder Weise und über alles Maß hinaus zu vergelten. Du wirst dich hier nicht lange abmühen und nicht immer mit Leiden beschwert sein. Harre nur ein wenig, und du wirst schnell das Ende deiner Plagen sehen. Es kommt die Stunde, in der jede Mühe und Unruhe aufhört. Geringfügig und kurz ist alles, was mit der Zeit vorübergeht. Vollende also, was du bis jetzt getan hast. Arbeite treu in meinem Weinberg. Ich werde dein Lohn sein. Schreibe, lies, singe, seufze, schweige, bete. Ertrage standhaft die Widerwärtigkeiten; das ewige Leben ist all dieser und noch größerer Kämpfe wert.«5
So ist die Geduld das Fundament der freudigen Hochherzigkeit eines Menschen, der die Mahnung des Briefes an die Hebräer beherzigt: Was ihr braucht, ist Ausdauer, damit ihr den Willen Gottes erfüllen könnt und so das verheißene Gut erlangt. (…) Wir gehören nicht zu denen, die zurückweichen und verlorengehen, sondern zu denen, die glauben und das Leben gewinnen.6
Diese Tugend gilt in ganz verschiedenenen Lebenssituationen. Zuerst brauchen wir Geduld mit uns selbst, damit wir nicht gegenüber Fehlern, die immer wieder vorkommen, den Mut verlieren. Kraft der Geduld werden wir beharrlich bleiben und uns mit dem Gedanken trösten, daß wir, solange wir kämpfen, in der Liebe Gottes bleiben. Nicht krampfhaftes Sich-Anstrengen läßt eine Tugend in uns wachsen oder einen Fehler verschwinden, sondern Demut, Gottvertrauen und das Wissen darum, daß Gott uns Tag für Tag seine Gnade schenkt.
Geduld brauchen wir auch im Umgang mit unseren Mitmenschen, besonders mit jenen, die uns nahestehen. In manchen Fällen trägt man besondere Verantwortung für sie, als Erzieher etwa oder als Begleiter im geistlichen Leben. Dann geht es nicht allein darum, Unvollkommenheiten zu ertragen, sondern im Betroffenen die Einsicht und Bereitschaft zu wecken, etwas gegen sie zu unternehmen. Eine geduldige, verständnisvolle Liebe hilft, den richtigen Augenblick zum Tadeln zu finden, Gespür zu haben für ein aufmunterndes Wort, für ein verständnisvolles Schweigen, für ein Warten voller Vertrauen, das eine verletzende Bemerkung zu überhören oder schlechte Laune zu besänftigen weiß. Das wird uns nicht immer, aber auch nicht so selten gelingen, wenn wir nur auf das Herz Christi schauen.
Schließlich brauchen wir Geduld, wenn eine unerwartete Situation unsere Pläne umwirft: Unpäßlichkeit in einem Augenblick, da wir volle Aufmerksamkeit brauchen, schlechtes Wetter, wo wir gerade einen Ausflug unternehmen wollten, ein defektes Haushaltsgerät, das unseren Zeitplan umwirft, wichtige Unterlagen, die nicht rechtzeitig eintreffen, das Telefon, das uns gerade jetzt stört … Tausend kleine Widerwärtigkeiten! Doch: wie leicht ist es, sie richtig zu bewerten, wenn wir auf Gott hin und in seiner Gegenwart leben. Dann schenkt die Geduld nicht nur Frieden, sondern auch ein wenig vom Charme der Heiligkeit.
III. Die Liebe ist langmütig.7 Eine der tiefsten Äußerungen der Liebe ist das Apostolat. Wenn wir die Menschen erreichen wollen, brauchen wir die Langmut der göttlichen Liebe. Wir schauen auf den Guten Hirten, der die Menschen so nimmt, wie sie sind. »Er sagt von uns Menschen, daß er uns kenne, wie er den Vater kennt. (…) Nur er hat den Zugang zum Eigentlichen des menschlichen Daseins. Will also einer dorthin sprechen, dann muß er durch ihn kommen. Das ist nicht bildlich gemeint, sondern genau. Die innere Form alles Christlichen ist Jesus selbst. Wer so zu einem Menschen sprechen will, daß es dorthin gelangt, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen, muß durch Christus kommen. Er muß sein Denken läutern lassen, indem er es in die Gedanken Christi einfügt. Er muß sein Reden wahr machen lassen, indem er es in sein Reden hineingibt. Dann denkt und redet er richtig, und der Gedanke kommt an die Stelle, wohin er soll. Er muß seine Absicht durch die Gesinnung Christi ausrichten, seinen Willen von Christi Liebe durchwirken lassen.«8
Der Herr lehrt uns Geduld. Von der Menge sagt er gelegentlich, daß sie sehen und doch nicht sehen, (…) hören und doch nicht hören und nichts verstehen9. Aber er hört nicht auf zu predigen. Den Zwölfen sagt er ausdrücklich: Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.10 Jesus berücksichtigt ihre Eigenart, er rechnet mit ihren Vorurteilen, die sie erst nach und nach ablegen. Er weiß: Später werden sie seine treuen Zeugen sein.
Wer in seinem apostolischen Tun keine Geduld hat, möchte unwillkürlich den Rhythmus Gottes durch seinen eigenen ersetzen. Er möchte die Werke Gottes an den Werken von Menschen messen, die, nur auf sich selbst bauend, in Eile sind, weil ihre Zeit kurz ist und sie befürchten, den Augenblick zu verpassen. Auch hinter einem apostolischen Bemühen kann sich die Einstellung des »Machers= verbergen. Dann ist es, als wollte man den Heiligen Geist belehren – oder als hätte man vergessen, daß er es ist, der in den Seelen wirkt. Die Geduld wird so zum Ausdruck der Demut, die uns oft nicht gelingen mag, uns aber gelingen müßte. Geduld bedeutet sich in die Wirklichkeit und in die Zeit einzufügen, aktiv, doch ohne zu versuchen, die Pflanze partout zum Wachsen zu bringen. Die Geduld kennt die eigenen Grenzen und die der anderen. Sie hat die innere Kraft zu warten, wenn sich jemand der wunderbaren Welt des christlichen Glaubens noch nicht öffnet. Nicht selten ist die Sehnsucht nach Gott wie ein unterirdischer Strom, den ein Mensch zuerst ahnt, dann dunkel hört, bis er schließlich durstig wird. Der Gutsbesitzer im Gleichnis11 kennt nicht nur eine Zeit zur Anwerbung von Arbeitern: er geht früh am Morgen, dann um die Mittagszeit, dann am frühen Nachmittag, ja sogar bis zum Abend, Knechte zu dingen, denen er dann den vollen Lohn gibt. Lassen wir Christus Zeit und Rhythmus bestimmen. Arbeiten wir geduldig und beharrlich in seinem Weinberg. Beten wir dafür, unsere Freunde möchten gerade durch unsere Geduld spüren, daß wir sie selbst und nicht bloß ein wenig ihres Lebens Christus zuführen wollen. Und außerdem: Warum ungeduldig sein gegenüber den anderen, wenn der Herr soviel Geduld mit uns hat? Die Liebe, sagt der Apostel, trägt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand12. Sie ist geduldig, beharrlich, ausdauernd und, wann Gott es will, fruchtbar.
Lk 21,12-19. – 2 Joh 15,20. – 3 Joh 16,33. – 4 J.Pieper, Vom Sinn der Tapferkeit, München 1963, S.51. – 5 Thomas von Kempen, Nachfolge Christi, 3,4. – 6 Hebr 10,36.39. – 7 1 Kor 13,4. – 8 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.191. – 9 Mt 13,13. – 10 Joh 16,12. – 11 vgl. Mt 20,1-16. – 12 1 Kor 13,7.
