
JAHRESKREIS
34. WOCHE – SAMSTAG
43
ZUM HAUS DES VATERS
Der
Himmel, unser Zuhause.
Gemeinschaft mit Gott.
Vollendung.
I. Mit Bildern vom Himmel endet das Kirchenjahr. Es ist eine Vision, die uns das Ziel unseres irdischen Wandels – das Haus des Vaters, unser endgültiges Zuhause – andeuten will: Der Engel zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus. Zwischen den Straßen der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte (…). Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen, und seine Knechte werden ihm dienen. Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben.1 »Dieses vollkommene Leben mit der allerheiligsten Dreifaltigkeit, diese Lebens- und Liebesgemeinschaft mit ihr, mit der Jungfrau Maria, den Engeln und allen Seligen wird >der Himmel< genannt. Der Himmel ist das letzte Ziel und die Erfüllung der tiefsten Sehnsüchte des Menschen, der Zustand höchsten, endgültigen Glücks.«2
Die Offenbarung des Johannes läßt uns in der Sprache der Bilder und Symbole die Wirklichkeit des ewigen Lebens ahnen, den Himmel als die vollendete Form der menschlichen Existenz. »Der Himmel ist die Enthüllung und die höchste Ausreifung dessen, was auf der Erde gesät wird, aber bis zum Tode verborgen ist. Nach der Heiligen Schrift ist die von Christus in dem Menschen aufgerichtete Gottesherrschaft und das ihm damit geschenkte göttliche Leben in den Tagen der Pilgerschaft zugleich gegenwärtig und zukünftig. Gegenwärtig ist die Gottesherrschaft im Menschen als verborgenes, zukünftig ist sie als offenbarendes Gut.«3
Johannes stellt in der heutigen Lesung die Gemeinschaft derer dar, die auf Erden treu gewesen sind: das Wasser ist Symbol des Heiligen Geistes, ausgehend vom Vater und Sohn. Der Name Gottes auf der Stirn der Auserwählten drückt ihre Zugehörigkeit zum Herrn aus. Die Bilder scheinen anzudeuten, daß alle irdische Schönheit verblaßt, indem unsere Gemeinschaft mit Gott hier auf Erden – im Halbdunkel des Glaubens – dann einen unvorstellbaren Glanz erhält. Wie anders als mit Bildern von Tag und Nacht, Licht und Dunkel konnte der Apostel die Vision wiedergeben? Es wird keine Nacht mehr geben und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.4
»Seliger Aufenthalt in der Stadt des Himmels« heißt es in der Nachfolge Christi, »heller Tag der Ewigkeit, den keine Nacht verdunkelt, sondern die höchste Wahrheit allzeit durchleuchtet, Tag, immer heiter, immer sicher, niemals umschlagend ins Gegenteil.«5
Der Tod jener, die als Kinder Gottes sterben, zeigt sich als Übergang zur Begegnung mit dem Vater. In dem Maße, wie Glaube, Hoffnung und Liebe in uns wachsen, erhellen sich die Konturen dieses Übergangs. Die Sehnsucht nach dem Vater prägt immer mehr unser Leben; sie hellt das natürliche Unbehagen auf, daß Gott uns als Einheit von Leib und Seele gemacht hat, die der Tod gewaltsam zerbricht. Deshalb »ist es nötig, in der Zeit zu leben und zu arbeiten mit der Sehnsucht nach dem Himmel im Herzen«6.
Viele haben die Quellen dieser Sehnsucht versiegen lassen, weil sie so leben, als könnte ein relativer Wohlstand die Realität ungeschehen machen, von der es im Brief an die Hebräer heißt: Wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt.7 Das menschliche Herz, für die ewigen Güter gemacht, wird eng, wenn es sich mit wertlosen oder minderwertigen Dingen anfüllt, Dinge, die jeder am Ende seiner irdischen Zeit sowieso zurücklassen muß.
Wir Christen lieben das Leben und all das Gute und Schöne in der Welt: Liebe und Freundschaft, Schönheit, Freude und lauteren Genuß. Wir sehen darin Gaben, die Gott dem Menschen für eine bemessene Zeit schenken will. Und der Glaube gibt uns den unaussprechlichen Trost zu wissen, daß all das Gute, Edle, Schöne in höchster Vollkommenheit bleiben wird; denn »das Leben wird gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet«8.
Deswegen dürfen wir rufen: »Wir sterben ja gar nicht! Wir wechseln nur unsere Wohnung, nichts weiter! Zusammen mit dem Glauben und der Liebe haben wir Christen diese Hoffnung, eine sichere Hoffnung. Der Tod ist nur ein Abschied auf Zeit. Eigentlich müßten wir uns im Sterben verabschieden mit einen Auf Wiedersehen.«9
II. Das Königtum aber werden die Heiligen des Höchsten erhalten, und sie werden es behalten für immer und ewig.10 »Dein Platz im Himmel wird aussehen, als sei er für dich gemacht, und zwar für dich allein, weil du für ihn gemacht worden bist – so wie, Stich für Stich, für eine Hand ein Handschuh gemacht wird.«11
Alles wird neu sein. Die alte Welt »ist wie ein Bild, auf Goldgrund gemalt; und wir sind die Figuren des Bildes. Solange du nicht die Bildebene verläßt und in den weiten Raum des Todes hinaustrittst, vermagst du das Gold nicht zu sehen. Doch bringt es sich dir ständig in Erinnerung. Um ein anderes Bild zu gebrauchen: die Verdunkelung ist nicht ganz vollkommen, es gibt noch Lichtspalten.= 12 Nun werden die Gitter verschwinden wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt13. Der Himmel wird uns nicht fremd sein, sondern die ersehnte Wohnung für das neue Volk Gottes, das am Ziel ist. Neu werden auch Herz, Wille und Gefühl sein – von allen Bedrännissen gereinigt, die uns hier auf Erden nur einen Schatten wahrer Schönheit haben erblicken lassen. Wie beglückend wird die menschliche Sinnlichkeit sein, wenn sie sich einmal – nach der Auferstehung – in einem verherrlichten Leib rein und frei von Trübungen entfaltet! Die Erfüllung in Gott wird die persönlichen Beziehungen auf Erden nicht ausschließen: die Liebe zwischen Mann und Frau, unter Freunden und Verwandten … Sicherlich denken wir oft an unsere Verstorbenen – Weggefährten, die uns hier auf Erden geprägt haben. Wir beten wahrscheinlich oft und gern für jene, die uns vorangegangen sind, bezeichnet mit dem Siegel des Glaubens, und die nun ruhen in Frieden14. Im Himmel werden wir mit ihnen verbunden sein, die wir jetzt wie »jenseits« einer Mauer wähnen. Diese Fülle in Gott ist unser »Schicksal« nicht die Kälte des Grabes.»Doch unsere Vorstellungkraft muß hier versagen. Nur der Glaube und die Heilige Schrift geben uns – zusammen mit der Hoffnung, die nicht trügt – Anhaltspunkte für Denken und Empfinden. Etwa wenn wir im Alten Testament lesen: Sie leiden weder Hunger noch Durst. Hitze und Sonnenglut schaden ihnen nicht. Und dann: Denn er leitet sie voll Erbarmen und führt sie zu sprudelnden Quellen.15 Wir ahnen, weshalb der Herr die ewige Glückseligkeit in Bildern schildert: als Gastmahl der Freunde, als Hochzeit der Liebenden…
Die Erscheinungen des Herrn nach der Auferstehung lassen uns einen Zustand ahnen, in dem die Materie sozusagen ihre Schwerkraft verliert zugunsten einer schwebenden Leichtigkeit des Geistes. Die Gotteserkennntis wird nicht vollkommen sein, weil Gott unerschöpflich ist, aber sie wird uns restlos stillen. Wir werden in Gott die makellose Schönheit der Schöpfung erkennen: Menschen und Dinge. Die Wahrheiten des Glaubens, die wir jetzt im Halbdunkel bekennen, werden aufleuchten: die Menschwerdung, die Kirche, Maria, die Gnade, die Sakramente … »Denke daran, wie angenehm Gott, unserem Herrn, der Weihrauch ist, der ihm zu Ehren verbrannt wird; bedenke auch, welch einen geringen Wert die irdischen Dinge besitzen: Kaum haben sie begonnen, sind sie schon vergangen. Im Himmel dagegen erwartet dich eine große Liebe; sie kennt weder Verrat noch Betrug: die Liebe selbst, alle Schönheit, die ganze Fülle, alles Wissen … ! Und ohne Überdruß: Sie erfüllt und sättigt, ohne satt zu machen.«16
III. Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.17 Wie sympathisch-naiv ist dieser ungeduldige Ruf des Philippus beim Letzten Abendmahl! Er kannte die Pläne des Herrn nicht: 18 »Das Entscheidende an der Verbundenheit zwischen Gott und den Menschen im Zustande des Himmels ist die unmittelbare Gottesschau. Es ist Glaubenssatz: Die Seligen im Himmel sehen unmittelbar und unverhüllt Gott selbst von Angesicht zu Angesicht, (…) ohne Bild und ohne Vermittlung in klarer Schau.«19 Das Ausmaß der Seligkeit wird dem Ausmaß unserer Treue auf Erden entsprechen.
»Für den Vollzug des Gedankens, daß der Himmel die Begegnung mit der Liebe in eigener Person ist, fehlt uns in der Pilgerzeit die Erfahrung. Denn in dem irdischen Dasein erleben wir nur Menschen, welche Liebe vollziehen, welche Wahrheit aussprechen, aber nicht die Wahrheit und die Liebe in eigener Person (…). Der Austausch zwischen Gott und dem Menschen ist durch die Dreipersönlichkeit Gottes bestimmt. Das Gespräch mit der Wahrheit und der Liebe in eigener Person ist eine Teilnahme an dem Gespräch, welches zwischen den drei göttlichen Personen immer geführt wird.«20
Es ist gut, die Hoffnung auf den Himmel zu stärken. Manche scheuen sich davor, als wäre das Selbstsucht. Doch: »Der Himmel bietet gar nichts, wonach eine selbstsüchtige Seele verlangen könnte.«21
Die Hoffnung auf den Himmel reinigt das Herz. Diese Hoffnung inspiriert den Umgang mit den irdischen Gütern, schenkt die Einsicht in ihre Vergänglichkeit. Am letzten Tag des Kirchenjahres hören wir im Evangelium: Nehmt euch in acht, daß Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und daß jener Tag euch nicht plötzlich überrascht (…). Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.
Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten. Das Kirchenjahr endet und beginnt von neuem, aber es bezeichnet keinen Kreis, sondern eine Linie, die in den Augenblick der Vollendung der Welt mündet. Wir bitten Maria, sie möge uns Beharrlichkeit schenken. Sie, die demütige Magd von Nazaret, erscheint im Buch der Offenbarung des Johannes als die Gestalt der Vollendung: Eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt24.
Offb 22,1-2.4. – 2 Katechismus der Katholischen Kirche, 1024. – 3 M.Schmaus, Katholische Dogmatik IV/2, München 1959, S.573. – 4 Offb 22,5. – 5 Thomas von Kempen, Nachfolge Christi, 3,48. – 6 Johannes Paul II., Ansprache vom 22.10.1985. – 7 Hebr 13,14. – 8 Präfation von den Verstorbenen I. – 9 J.Escrivá, in: Informationsblatt Nr.1, S.5. – 10 Dan 7,18. – 11 C.S.Lewis, Über den Schmerz, München 1978, S.175. –12 ebd., S.176. – 13 Offb 6,14. – 14 Hochgebet I. – 15 Jes 49,10. – 16 J.Escrivá, Im Feuer der Schmiede, Nr.995. – 17 Joh 14,8. – 18 1 Joh 3,2. – 19 M.Schmaus, a.a.O., S.596. – 20 ebd., S.615. – 21 C.S.Lewis, a.a.O., S.172. – 22 Lk 21,34-36. – 23 Joh 14,2. – 24 Offb 12,1.
