
JAHRESKREIS
32. WOCHE – MONTAG
22
ÄRGERNISSE
Ein
hartes Wort.
Hier Rücksicht, dort Courage.
Das Beispiel Jesu.
I. Ein hartes Wort, das Jesus im heutigen Evangelium1 spricht, das Wort vom Mühlstein: Es ist unvermeidlich, daß Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als daß er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt.
Ein Mühlstein? »Anschaulich heißt es im Griechischen >Eselsmühlstein<, das ist jener von den beiden aufeinander sich wälzenden Steinen in der Mühle, der gewöhnlich von einem Esel herumgedreht wurde. In der Mitte hatte dieser Stein natürlich ein Loch, um die Walze durchstecken zu können. Daher heißt es >herumgelegt< - das Wort ist von furchtbarer Anschaulichkeit, mit einem solchen Stein um den Hals konnte er nur in die Tiefe sinken!«2
Während Lukas dieses Wort des Herrn so stehen läßt, stellt es Markus3 in den Kontext des Streits unter den Aposteln, wer von ihnen der Größte sei. Da belehrt sie der Herr: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte. Der Herr wird eines der in der Nähe spielenden Kinder zu sich gerufen haben. Er nahm es in seine Arme. Die Geste wird zum Gleichnis, das zwei Gedanken verbindet: selbst wie ein Kind sein, um in das Himmelreich einzugehen, und sich in acht nehmen, daß man als Erwachsener den Kleinen und Schwachen kein Ärgernis gibt.
Dann ist es, als richteten sich die Gedanken Christi nicht mehr auf die Jünger und ihre kindischen Querelen, sondern auf das lebendige Kind in seinen Armen. Was wird aus diesem zerbrechlichen Wesen werden? Seht euch vor, daß ihr nicht zu einem Stolperstein werdet für andere!
Ärgernis geben heißt einen Menschen dadurch zu Fall bringen, daß man ihm einen Stolperstein auf den Weg wirft. »Das Ärgernis« heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche, »ist eine Haltung oder ein Verhalten, das den anderen zum Bösen verleitet. Wer Ärgernis gibt, wird zum Versucher seines Nächsten. Er gefährdet dessen Tugend und Rechtschaffenheit; er kann seinen Bruder in den seelischen Tod treiben.«4
In den Kleinen, in jenem, das er in seinen Armen hält, wie in allen anderen, sieht Jesus jene Einfachheit, die das Bild Gottes widerspiegelt. Aber ebenso mag er die vielen im Sinn gehabt haben, die auf irgendeine Weise »schwach schwach« und »« sind. »Die christliche Moral hat daher aus diesem Wort jenen Begriff des >scandalum pusillorum< geprägt, des >Ärgernisses für die Schwachen<. Um das geht es hier. Die Unterscheidung wird aufrecht erhalten, daß es >Große< und >Kleine<, Starke und Schwache in der Gemeinschaft gibt und daß sich im Verhalten dieser Starken jener Grundsatz fortsetzen muß, der am Anfang der ganzen Reihe steht, daß der Erste sein muß der Letzte von allen und der Diener aller.«5
Ärgernis richtet Schaden an oder zerstört ein kostbares Gut: »Welchen Wert muß der Mensch in den Augen des Schöpfers haben, wenn >er verdient hat, einen solchen und so großen Erlöser zu haben<, wenn Gott seinen Sohn hingegeben hat, damit er, der Mensch, nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat (vgl. ?«6
Das Blut Christi ist der Preis, den unser Erlöser für jeden Menschen gezahlt hat: »jede Seele ist ein herrlicher Schatz, jeder Mensch ist einzigartig und unersetzlich, jeder Mensch ist das ganze Blut Christi wert.«7
II. Die Kleinen – das sind auch die Schwachen. Paulus hat das Seht euch vor! seines Meisters vor Augen, wenn er verlangt, alles zu meiden, was Schwachen und Labilen zum Ärgernis werden könnte: Gebt acht, daß diese eure Freiheit nicht den Schwachen zum Anstoß wird.8 Paulus schreibt dies den Korinthern, um ihnen Kriterien für den Genuß von Götzenopferfleisch zu geben: Nicht alle haben die Erkenntnis des Starken im Glauben, der weiß, daß es keine Götzen gibt. Deshalb soll der Starke auf einige, die von ihren Götzen nicht loskommen, Rücksicht nehmen. Folgten diese dem Beispiel der anderen, würde dadurch ihr schwaches Gewissen befleckt.
Wir dürfen unseren Einfluß auf andere nicht unterschätzen. Wer eine an sich richtige Verhaltensweise, die für ihn problemlos ist, ohne Rücksicht auf andere durchsetzen will, kann sich der Verfehlung an einem Mitmenschen schuldig machen: Der Schwache geht an deiner >Erkenntnis< zugrunde, er, dein Bruder, für den Christus gestorben ist.9
Etwas anderes ist das Ärgernis, das aus einer ablehnenden oder feindseligen Haltung gegenüber dem Glauben entsteht. Es tritt selten unverhüllt auf, »meist verbirgt es sich, indem es sich gegen einen Menschen richtet, der sie (Gottes Heiligkeit) trägt: Gegen den Propheten, gegen den Apostel, gegen den Heiligen, gegen den überzeugt Frommen. Ein solcher Mensch reizt tatsächlich. Etwas in uns erträgt die dem Heiligen verpflichtete Existenz nicht. Es empört sich dagegen und rechtfertigt sich mit den immer vorhandenen Unzulänglichkeiten des Menschen.«10
Es kann sein, daß man solche Gedanken in sich spürt und als Maske der Bequemlichkeit Ärgernis vorschützt, weil man sich die geahnte Wahrheit vom Leibe halten will. Meister Eckhart schreibt: »Die Menschen kann durchaus Furcht und Bedrückung überkommen, daß das Leben unseres Herrn Jesus Christus und auch das der Heiligen so sehr streng und mühevoll war. Der Mensch ist dem (meist) nicht gewachsen, und er fühlt sich nicht dahin gezogen. Wenn sich darum die Menschen hierin nicht als ebenbürtig empfinden, so erachten sie sich als von Gott entfernt, dem sie nicht nachfolgen könnten Aber der mittelalterliche Mystiker setzt den Gedanken fort: »Es liegt ein großer Schaden vor, daß der Mensch seinen Gott in die Ferne versetzt.«12
Menschen, die nur irdische Maßstäbe gelten lassen wollen, können an einer Lebensführung Anstoß nehmen, die nichts anderes als Ausdruck eines ernstgenommenen Glaubens ist. Wer einem ausschließlich hedonistischen Kalkül verfallen ist, wird eine kinderreiche Familie als Ärgernis betrachten und nicht sehen – oder nicht sehen wollen -, daß dies nur die Folge freudiger Annahme der Gaben Gottes und der Treue gegenüber der empfangenen Berufung ist. In Anlehnung an ein Wort des Propheten Jesaja heißt es im ersten Petrusbrief, Jesus sei geworden zum Stein, an dem man anstößt, und zum Felsen, an dem man zu Fall kommt13. Dies war schon die Weissagung des greisen Simeon an Maria: Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.14
Der Herr lehrt und handelt auch dann, wenn die Pharisäer Anstoß nehmen.15 Manchmal freilich kann es geboten sein, aus Nächstenliebe Äußerungen oder Verhaltensweisen zu unterlassen, die anderen zum Ärgernis werden könnten. Wie taktvoll verhält sich Jesus, als es um die Zahlung der Tempelsteuer geht.16 Er will bei niemand Anstoß erregen und Mißverständnisse bei den Steuereintreibern vermeiden. Deshalb weist er Petrus an, die Steuer zu zahlen. Aber gleichzeitig fügt er hinzu, daß die Könige dieser Welt von ihren eigenen Söhnen keine Steuer verlangen und er deswegen frei davon ist.
Der selige Josemaría Escrivá überträgt diese Haltung auf unseren Alltag: »Ich zweifle nicht an deiner Ehrlichkeit. Ich weiß, daß du in der Gegenwart Gottes handelst. Dennoch gibt es ein >Aber<: Deine Handlungen werden von Menschen gesehen oder könnten von ihnen gesehen werden, und diese könnten menschlich darüber urteilen. Ihnen muß man ein gutes Beispiel geben.«17
Das Ärgernis ist um so schwerwiegender, je größer die Verantwortung ist, die einer aufgrund von Amt oder Ansehen trägt: Eltern, Erzieher, Schriftsteller, Künstler, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Ihnen gilt besonders das Seht euch vor!, denn: »Kennst du den Schaden, den du anrichten kannst, wenn du einen Stein mit verbundenen Augen wegwirfst?
Ebensowenig kennst du den manchmal schweren Schaden, den du hervorrufen kannst, wenn du herabsetzende Bemerkungen, die dir harmlos erscheinen, ausstreust; denn deine Augen sind durch Unachtsamkeit oder Leidenschaft verblendet.«18
Wer Ärgernis gegeben hat, ist – aus Liebe und manchmal auch aus Gerechtigkeit – verpflichtet, den geistigen oder materiellen Schaden wiedergutzumachen. Wenn dies einmal nicht möglich ist, dann sind Gebet und Sühne besonders dringlich. Sie sind immer möglich.
III. Von Jesus heißt es, er zog umher und tat Gutes und heilte alle.19 Die Kirche setzt dieses Tun fort im Alltag ihrer Verkündigung: »Auf der Linie der Bergpredigt ist und bleibt der christliche Glaube die Verteidigung der Einfachen gegen die elitäre Anmaßung der Intellektuellen. Hier wird nun endlich das ganz demokratische Element sichtbar, das im Kern der Aufgabe des kirchlichen Lehramtes liegt. Ihm ist es aufgetragen, den Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen. Seine Aufgabe ist es, dort zur Stimme der Einfachen zu werden, wo Theologie das Glaubensbekenntnis nicht mehr auslegt, sondern es in Besitz nimmt und sich über das einfache Wort des Bekenntnisses stellt. Insofern wird zwangsläufig das Tun des Lehramts immer den Ruch des Naiven an sich haben. (…) Das kirchliche Lehramt schützt den Glauben der Einfachen; derer, die nicht Bücher schreiben, nicht im Fernsehen sprechen und keine Leitartikel in den Zeitungen verfassen können.«20
Das Wort aus der Apostelgeschichte von der Güte Jesu kann den einzelnen anspornen, Werke der Liebe und Barmherzigkeit zu tun, die oft kaum ins Gewicht fallen, aber die Atmosphäre temperieren: ein aufrichtiges Lächeln, eine kleine Aufmerksamkeit, das verständnisvolle Entschuldigen eines Irrtums, das bereitwillige Revidieren eines Fehlurteils … All dies setzt das Christliche in einer Welt gegenwärtig, die uns als Christi Jünger am von aufrichtiger Liebe grundierten Umgang miteinander erkennen soll.21 Es ist auch ein Maßstab für uns selbst, denn wie sehr wir wirklich aus Gott leben, erweist sich an unserer Haltung gegenüber unseren Mitmenschen.
Gegebenes Ärgernis zerbricht und zerstört, Liebe hält zusammen und baut auf. Das Böse, das viele – vielleicht unbewußt – säen, kann durch das Gute, das wir tun, getilgt werden. Der Herr deutet in den Seligpreisungen an, daß er liebenswürdige Gesichter, herzliche Gesten, gewinnende Worte will. Die anderen brauchen sie und wir auch.
Das Böse, das uns niemals kalt lassen darf, soll in uns den Wunsch wecken, zu sühnen und der Zunahme des Bösen Taten des Guten entgegenzusetzen. Dazu gehört auch das Gebet für jene, die Ärgernis geben und dadurch anderen Schaden zufügen: durch ein böses Wort, ein frivoles Buch, eine infame Fernsehsendung …
Maria, Zuflucht der Sünder, möge uns stärken, dem Ärgernis zu widerstehen und niemals selbst Ärgernis zu geben.
Lk 17,1-6. – 2 J.Dillersberger, Markus, Bd.4, Salzburg 1938, S.98. – 3 vgl. Mk 9,33-37.42. – 4 Katechismus der Katholischen Kirche, 2284 . – 5 J.Dillersberger, a.a.O., S.98. – 6 Johannes Paul II., Enz. Redemptor hominis, 10. – 7 J.Escrivá, Christus begegnen, 80. – 8 1 Kor 8,9. – 9 1 Kor 8,11. – 10 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.49. – 11 Meister Eckhart, Die Gottesgeburt im Seelengrund (Auswahl), Freiburg 1990, S.58. – 12 ebd. – 13 1 Petr 2,8. – 14 Lk 2,34. – 15 vgl. Mt 15,12-14. – 16 vgl. Mt 17,24-27. – 17 J.Escrivá, Der Weg, Nr.275. – 18 J.Escrivá, Der Weg, Nr.455. – Apg 10,38. – 20 J.Ratzinger, Silvesterpredigt, München 1979. – 21 vgl. Joh 13,35.
